Achter Auftritt

[161] Fräulein Kunigunde von Thurneck im Reisekleide, mit entfesselten Haaren. – Die Vorigen.


KUNIGUNDE wirft sich vor dem Grafen vom Strahl nieder.

Mein Retter! Wer Ihr immer seid! Nehmt einer

Vielfach geschmähten und geschändeten

Jungfrau Euch an! Wenn Euer ritterlicher Eid

Den Schutz der Unschuld Euch empfiehlt: hier liegt sie

In Staub gestreckt, die jetzt ihn von Euch fordert!

FREIBURG.

Reißt sie hinweg, ihr Männer!

GEORG ihn zurückhaltend.

Max! hör mich an.

FREIBURG.

Reißt sie hinweg, sag ich; laßt sie nicht reden!

DER GRAF VOM STRAHL.

Halt dort ihr Herrn! Was wollt ihr!

FREIBURG.

Was wir wollen?

Mein Weib will ich, zum Henker! – Auf! ergreift sie!

KUNIGUNDE.

Dein Weib? Du Lügnerherz![161]

DER GRAF VOM STRAHL streng.

Berühr sie nicht!

Wenn du von dieser Dame was verlangst,

So sagst du's mir! Denn mir gehört sie jetzt,

Weil sie sich meinem Schutze anvertraut.


Er erhebt sie.


FREIBURG.

Wer bist du, Übermütiger, daß du

Dich zwischen zwei Vermählte drängst? Wer gibt

Das Recht dir, mir die Gattin zu verweigern?

KUNIGUNDE.

Die Gattin? Bösewicht! Das bin ich nicht!

DER GRAF VOM STRAHL.

Und wer bist du, Nichtswürdiger, daß du

Sie deine Gattin sagst, verfluchter Bube,

Daß du sie dein nennst, geiler Mädchenräuber,

Die Jungfrau, dir vom Teufel in der Hölle,

Mit Knebeln und mit Banden angetraut?

FREIBURG.

Wie? Was? Wer?

GEORG.

Max, ich bitte dich.

DER GRAF VOM STRAHL.

Wer bist du?

FREIBURG.

Ihr Herrn, ihr irrt euch sehr –

DER GRAF VOM STRAHL.

Wer bist du, frag ich?

FREIBURG.

Ihr Herren, wenn ihr glaubt, daß ich –

DER GRAF VOM STRAHL.

Schafft Licht her!

FREIBURG.

Dies Weib hier, das ich mitgebracht, das ist –

DER GRAF VOM STRAHL.

Ich sage Licht herbeigeschafft!


Gottschalk und die Köhler kommen mit Fackeln und Feuerhaken.


FREIBURG.

Ich bin –

GEORG heimlich.

Ein Rasender bist du! Fort! Gleich hinweg!

Willst du auf ewig nicht dein Wappen schänden.

DER GRAF VOM STRAHL.

So, meine wackern Köhler; leuchtet mir!

FREIBURG schließt sein Visier.

DER GRAF VOM STRAHL.

Wer bist du jetzt, frag ich? Öffn' das Visier.[162]

FREIBURG.

Ihr Herrn, ich bin –

DER GRAF VOM STRAHL.

Öffn' das Visier.

FREIBURG.

Ihr hört.

DER GRAF VOM STRAHL.

Meinst du, leichtfert'ger Bube, ungestraft

Die Antwort mir zu weigern, wie ich dir?


Er reißt ihm den Helm vom Haupt, der Burggraf taumelt.


SCHAUERMANN.

Schmeißt den Verwegenen doch gleich zu Boden!

WETZLAF.

Auf! Zieht!

FREIBURG.

Du Rasender, welch eine Tat!


Er erhebt sich, zieht und haut nach dem Grafen; der weicht aus.


DER GRAF VOM STRAHL.

Du wehrst dich mir, du Afterbräutigam?


Er haut ihn nieder.


So fahr zur Hölle hin, woher du kamst,

Und feire deine Flitterwochen drin!

WETZLAF.

Entsetzen! Schaut! Er stürzt, er wankt, er fällt!

FLAMMBERG dringt vor.

Auf jetzt, ihr Freunde!

SCHAUERMANN.

Fort! Entflieht!

FLAMMBERG.

Schlagt drein!

Jagt das Gesindel völlig in die Flucht!


Die Burggräflichen entweichen; niemand bleibt als Georg, der über den Burggrafen beschäftigt ist.


DER GRAF VOM STRAHL zum Burggrafen.

Freiburg! Was seh ich? Ihr allmächt'gen Götter!

Du bist's?

KUNIGUNDE unterdrückt.

Der undankbare Höllenfuchs!

DER GRAF VOM STRAHL.

Was galt dir diese Jungfrau, du Unsel'ger?

Was wolltest du mit ihr?[163]

GEORG.

– Er kann nicht reden.

Blut füllt, vom Scheitel quellend, ihm den Mund.

KUNIGUNDE.

Laßt ihn ersticken drin!

DER GRAF VOM STRAHL.

Ein Traum erscheint mir's!

Ein Mensch wie der, so wacker sonst, und gut.

– Kommt ihm zu Hülf, ihr Leute!

FLAMMBERG.

Auf! Greift an!

Und tragt ihn dort in jener Hütte Raum.

KUNIGUNDE.

Ins Grab! Die Schaufeln her! Er sei gewesen!

DER GRAF VOM STRAHL.

Beruhigt Euch! – Wie er darnieder liegt,

Wird er auch unbeerdigt Euch nicht schaden.

KUNIGUNDE.

Ich bitt um Wasser!

DER GRAF VOM STRAHL.

Fühlt Ihr Euch nicht wohl?

KUNIGUNDE.

Nichts, nichts – Es ist – Wer hilft? – Ist hier kein Sitz?

– Weh mir!


Sie wankt.


DER GRAF VOM STRAHL.

Ihr Himmlischen! He! Gottschalk! hilf!

GOTTSCHALK.

Die Fackeln her!

KUNIGUNDE.

Laßt, laßt!

DER GRAF VOM STRAHL hat sie auf einen Sitz geführt.

Es geht vorüber?

KUNIGUNDE.

Das Licht kehrt meinen trüben Augen wieder. –

DER GRAF VOM STRAHL.

Was war's, das so urplötzlich Euch ergriff?

KUNIGUNDE.

Ach, mein großmüt'ger Retter und Befreier,

Wie nenn ich das? Welch ein entsetzensvoller,

Unmenschlicher Frevel war mir zugedacht?

Denk ich, was ohne Euch, vielleicht schon jetzt,

Mir widerfuhr, hebt sich mein Haar empor,

Und meiner Glieder jegliches erstarrt.

DER GRAF VOM STRAHL.

Wer seid Ihr? Sprecht! Was ist Euch widerfahren?

KUNIGUNDE.

O Seligkeit, Euch dies jetzt zu entdecken!

Die Tat, die Euer Arm vollbracht, ist keiner[164]

Unwürdigen geschehen; Kunigunde,

Freifrau von Thurneck, bin ich, daß Ihr's wißt;

Das süße Leben, das Ihr mir erhieltet,

Wird, außer mir, in Thurneck, dankbar noch

Ein ganz Geschlecht Euch von Verwandten lohnen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ihr seid? – Es ist nicht möglich? Kunigunde

Von Thurneck? –

KUNIGUNDE.

Ja, so sagt ich! Was erstaunt Ihr?

DER GRAF VOM STRAHL steht auf.

Nun denn, bei meinem Eid, es tut mir leid,

So kamt Ihr aus dem Regen in die Traufe:

Denn ich bin Friedrich Wetter Graf vom Strahl!

KUNIGUNDE.

Was! Euer Name? – Der Name meines Retters? –

DER GRAF VOM STRAHL.

Ist Friedrich Strahl, Ihr hört's. Es tut mir leid,

Daß ich Euch keinen bessern nennen kann.

KUNIGUNDE steht auf.

Ihr Himmlischen! Wie prüft ihr dieses Herz?

GOTTSCHALK heimlich.

Die Thurneck? hört ich recht?

FLAMMBERG erstaunt.

Bei Gott! Sie ist's!


Pause.


KUNIGUNDE.

Es sei. Es soll mir das Gefühl, das hier

In diesem Busen sich entflammt, nicht stören.

Ich will nichts denken, fühlen will ich nichts,

Als Unschuld, Ehre, Leben, Rettung – Schutz

Vor diesem Wolf, der hier am Boden liegt. –

Komm her, du lieber, goldner Knabe, du,

Der mich befreit, nimm diesen Ring von mir,

Es ist jetzt alles, was ich geben kann:

Einst lohn ich würdiger, du junger Held,

Die Tat dir, die mein Band gelöst, die mutige,

Die mich vor Schmach bewahrt, die mich errettet,

Die Tat, die mich zur Seligen gemacht![165]


Sie wendet sich zum Grafen.


Euch, mein Gebieter – Euer nenn ich alles,

Was mein ist! Sprecht! Was habt Ihr über mich beschlossen?

In Eurer Macht bin ich; was muß geschehn?

Muß ich nach Eurem Rittersitz Euch folgen?

DER GRAF VOM STRAHL nicht ohne Verlegenheit.

Mein Fräulein – es ist nicht eben allzuweit.

Wenn Ihr ein Pferd besteigt, so könnt Ihr bei

Der Gräfin, meiner Mutter, übernachten.

KUNIGUNDE.

Führt mir das Pferd vor!

DER GRAF VOM STRAHL nach einer Pause.

Ihr vergebt mir,

Wenn die Verhältnisse, in welchen wir –

KUNIGUNDE.

Nichts, nichts! Ich bitt Euch sehr! Beschämt mich nicht!

In Eure Kerker klaglos würd ich wandern.

DER GRAF VOM STRAHL.

In meinen Kerker! Was! Ihr überzeugt Euch –

KUNIGUNDE unterbricht ihn.

Drückt mich mit Eurer Großmut nicht zu Boden! –

Ich bitt um Eure Hand!

DER GRAF VOM STRAHL.

He! Fackeln! Leuchtet!


Ab.


Szene: Schloß Wetterstrahl. Ein Gemach in der Burg.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 161-166.
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