Zweiter Auftritt

[205] Käthchen liegt und schläft. Der Graf vom Strahl tritt auf.


DER GRAF VOM STRAHL indem er das Futteral in den Busen steckt. Gottschalk, der mir dies Futteral gebracht, hat mir gesagt, das Käthchen wäre wieder da. Kunigunde zog eben, weil ihre Burg niedergebrannt ist, in die Tore der meinigen ein; da kommt er und spricht: unter dem Holunderstrauch läge sie wieder da, und schliefe; und bat mich, mit tränenden Augen, ich möchte ihm doch erlauben, sie in den Stall zu nehmen. Ich sagte, bis der alte Vater, der Theobald sich aufgefunden, würd ich ihr in der Herberge ein Unterkommen verschaffen; und indessen hab ich mich herabgeschlichen, um einen Entwurf mit ihr auszuführen. Ich kann diesem Jammer nicht mehr zusehen. Dies Mädchen, be stimmt, den herrlichsten Bürger von Schwaben zu beglücken, wissen will ich, warum ich verdammt bin, sie einer Metze gleich, mit mir herumzuführen; wissen, warum[205] sie hinter mir herschreitet, einem Hunde gleich, durch Feuer und Wasser, mir Elenden, der nichts für sich hat, als das Wappen auf seinem Schild. – Es ist mehr, als der bloße sympathetische Zug des Herzens; es ist irgend von der Hölle angefacht, ein Wahn, der in ihrem Busen sein Spiel treibt. Sooft ich sie gefragt habe: Käthchen! Warum erschrakst du doch so, als du mich zuerst in Heilbronn sahst? hat sie mich immer zerstreut angesehen, und dann geantwortet: Ei, gestrenger Herr! Ihr wißt's ja! – – – Dort ist sie! – Wahrhaftig, wenn ich sie so daliegen sehe, mit roten Backen und verschränkten Händchen, so kommt die ganze Empfindung der Weiber über mich, und macht meine Tränen fließen. Ich will gleich sterben, wenn sie mir nicht die Peitsche vergeben hat – ach! was sag ich? wenn sie nicht im Gebet für mich, der sie mißhandelte, eingeschlafen! – – – Doch rasch, ehe Gottschalk kommt, und mich stört. Dreierlei hat er mir gesagt: einmal, daß sie einen Schlaf hat, wie ein Murmeltier; zweitens, daß sie, wie ein Jagdhund, immer träumt, und drittens, daß sie im Schlaf spricht; und auf diese Eigenschaften hin, will ich meinen Versuch grün den. – Tue ich eine Sünde, so mag sie mir Gott verzeihen.


Er läßt sich auf Knien vor ihr nieder und legt seine beiden Arme sanft um ihren Leib. – Sie macht eine Bewegung, als ob sie erwachen wollte, liegt aber gleich wieder still.


DER GRAF VOM STRAHL.

Käthchen! Schläfst du?

KÄTHCHEN.

Nein, mein verehrter Herr.


Pause.


DER GRAF VOM STRAHL.

Und doch hast du die Augenlider zu.

KÄTHCHEN.

Die Augenlider?

DER GRAF VOM STRAHL.

Ja; und fest, dünkt mich.

KÄTHCHEN.

– Ach, geh!

DER GRAF VOM STRAHL.

Was! Nicht? Du hättst die Augen auf?[206]

KÄTHCHEN.

Groß auf, so weit ich kann, mein bester Herr;

Ich sehe dich ja, wie du zu Pferde sitzest.

DER GRAF VOM STRAHL.

So! – Auf dem Fuchs – nicht?

KÄTHCHEN.

Nicht doch! Auf dem Schimmel.


Pause.


DER GRAF VOM STRAHL.

Wo bist du denn, mein Herzchen? Sag mir an.

KÄTHCHEN.

Auf einer schönen grünen Wiese bin ich,

Wo alles bunt und voller Blumen ist.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ach, die Vergißmeinnicht! Ach, die Kamillen!

KÄTHCHEN.

Und hier die Veilchen; schau! ein ganzer Busch.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ich will vom Pferde niedersteigen, Käthchen,

Und mich ins Gras ein wenig zu dir setzen.

– Soll ich?

KÄTHCHEN.

Das tu, mein hoher Herr.

DER GRAF VOM STRAHL als ob er riefe.

He, Gottschalk! –

Wo laß ich doch das Pferd? – Gottschalk! Wo bist du?

KÄTHCHEN.

Je, laß es stehn. Die Liese läuft nicht weg.

DER GRAF VOM STRAHL lächelt.

Meinst du? – Nun denn, so sei's!


Pause.

Er rasselt mit seiner Rüstung.


Mein liebes Käthchen!


Er faßt ihre Hand.


KÄTHCHEN.

Mein hoher Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Du bist mir wohl recht gut.

KÄTHCHEN.

Gewiß! Von Herzen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Aber ich – was meinst du?

Ich nicht.

KÄTHCHEN lächelnd.

O Schelm![207]

DER GRAF VOM STRAHL.

Was, Schelm! Ich hoff –?

KÄTHCHEN.

O geh! –

Verliebt ja, wie ein Käfer, bist du mir.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ein Käfer! Was! Ich glaub du bist –?

KÄTHCHEN.

Was sagst du?

DER GRAF VOM STRAHL mit einem Seufzer.

Ihr Glaub ist, wie ein Turm, so fest gegründet! –

Sei's! Ich ergebe mich darin. – Doch, Käthchen,

Wenn's ist, wie du mir sagst –

KÄTHCHEN.

Nun? Was beliebt?

DER GRAF VOM STRAHL.

Was, sprich, was soll draus werden?

KÄTHCHEN.

Was draus soll werden?

DER GRAF VOM STRAHL.

Ja! hast du's schon bedacht?

KÄTHCHEN.

Je, nun.

DER GRAF VOM STRAHL.

– Was heißt das?

KÄTHCHEN.

Zu Ostern, übers Jahr, wirst du mich heuern.

DER GRAF VOM STRAHL das Lachen verbeißend.

So! Heuern! In der Tat! Das wußt ich nicht!

Kathrinchen, schau! – Wer hat dir das gesagt?

KÄTHCHEN.

Das hat die Mariane mir gesagt.

DER GRAF VOM STRAHL.

So! Die Mariane! Ei! – Wer ist denn das?

KÄTHCHEN.

Das ist die Magd, die sonst das Haus uns fegte.

DER GRAF VOM STRAHL.

Und die, die wußt es wiederum – von wem?

KÄTHCHEN.

Die sah's im Blei, das sie geheimnisvoll

In der Silvesternacht, mir zugegossen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Was du mir sagst! Da prophezeite sie –?

KÄTHCHEN.

Ein großer, schöner Ritter würd mich heuern.

DER GRAF VOM STRAHL.

Und nun meinst du so frischweg, das sei ich?

KÄTHCHEN.

Ja, mein verehrter Herr.


[208] Pause.


DER GRAF VOM STRAHL gerührt.

– Ich will dir sagen,

Mein Kind, ich glaub, es ist ein anderer.

Der Ritter Flammberg. Oder sonst. Was meinst du?

KÄTHCHEN.

Nein, nein!

DER GRAF VOM STRAHL.

Nicht?

KÄTHCHEN.

Nein, nein, nein!

DER GRAF VOM STRAHL.

Warum nicht? Rede!

KÄTHCHEN.

– Als ich zu Bett ging, da das Blei gegossen,

In der Silvesternacht, bat ich zu Gott,

Wenn's wahr wär, was mir die Mariane sagte,

Möcht er den Ritter mir im Traume zeigen.

und da erschienst du ja, um Mitternacht,

Leibhaftig, wie ich jetzt dich vor mir sehe,

Als deine Braut mich liebend zu begrüßen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ich wär dir –? Herzchen! Davon weiß ich nichts.

– Wann hätt ich dich –?

KÄTHCHEN.

In der Silvesternacht.

Wenn wiederum Silvester kommt, zwei Jahr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Wo? In dem Schloß zu Strahl?

KÄTHCHEN.

Nicht! In Heilbronn;

Im Kammerlein, wo mir das Bette steht.

DER GRAF VOM STRAHL.

Was du da schwatzst, mein liebes Kind. – Ich lag

Und obenein todkrank, im Schloß zu Strahl.


Pause.

– Sie seufzt, bewegt sich, und lispelt etwas.


DER GRAF VOM STRAHL.

Was sagst du?

KÄTHCHEN.

Wer?

DER GRAF VOM STRAHL.

Du!

KÄTHCHEN.

Ich? Ich sagte nichts.


[209] Pause.


DER GRAF VOM STRAHL für sich.

Seltsam, beim Himmel! In der Silvesternacht –


Er träumt vor sich nieder.


– Erzähl mir doch etwas davon, mein Käthchen!

Kam ich allein?

KÄTHCHEN.

Nein, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nicht? – Wer war bei mir?

KÄTHCHEN.

Ach, so geh!

DER GRAF VOM STRAHL.

So rede!

KÄTHCHEN.

Das weißt du nicht mehr?

DER GRAF VOM STRAHL.

Nein, so wahr ich lebe.

KÄTHCHEN.

Ein Cherubim, mein hoher Herr, war bei dir,

Mit Flügeln, weiß wie Schnee, auf beiden Schultern,

Und Licht – o Herr! das funkelte! das glänzte! –

Der führt', an seiner Hand, dich zu mir ein.

DER GRAF VOM STRAHL starrt sie an.

So wahr, als ich will selig sein, ich glaube,

Da hast du recht!

KÄTHCHEN.

Ja, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL mit beklemmter Stimme.

Auf einem härnen Kissen lagst du da,

Das Bettuch weiß, die wollne Decke rot?

KÄTHCHEN.

Ganz recht! so war's!

DER GRAF VOM STRAHL.

Im bloßen leichten Hemdchen?

KÄTHCHEN.

Im Hemdchen? – Nein.

DER GRAF VOM STRAHL.

Was! Nicht?

KÄTHCHEN.

Im leichten Hemdchen?

DER GRAF VOM STRAHL.

Mariane, riefst du?

KÄTHCHEN.

Mariane, rief ich!

Geschwind! Ihr Mädchen! Kommt doch her! Christine![210]

DER GRAF VOM STRAHL.

Sahst groß, mit schwarzem Aug, mich an?

KÄTHCHEN.

Ja, weil ich glaubt, es wär ein Traum.

DER GRAF VOM STRAHL.

Stiegst langsam,

An allen Gliedern zitternd, aus dem Bett,

Und sankst zu Füßen mir –?

KÄTHCHEN.

Und flüsterte –

DER GRAF VOM STRAHL unterbricht sie.

Und flüstertest, mein hochverehrter Herr!

KÄTHCHEN lächelnd.

Nun! Siehst du wohl? – Der Engel zeigte dir –

DER GRAF VOM STRAHL.

Das Mal – Schützt mich, ihr Himmlischen! Das hast du?

KÄTHCHEN.

Je, freilich!

DER GRAF VOM STRAHL reißt ihr das Tuch ab.

Wo? Am Halse?

KÄTHCHEN bewegt sich.

Bitte, bitte.

DER GRAF VOM STRAHL.

O ihr Urewigen! – Und als ich jetzt,

Dein Kinn erhob, ins Antlitz dir zu schauen?

KÄTHCHEN.

Ja, da kam die unselige Mariane

Mit Licht – – – und alles war vorbei;

Ich lag im Hemdchen auf der Erde da,

Und die Mariane spottete mich aus.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nun steht mir bei, ihr Götter: ich bin doppelt!

Ein Geist bin ich und wandele zur Nacht!


Er läßt sie los und springt auf.


KÄTHCHEN erwacht.

Gott, meines Lebens Herr! Was widerfährt mir!


Sie steht auf und sieht sich um.


DER GRAF VOM STRAHL.

Was mir ein Traum schien, nackte Wahrheit ist's:

Im Schloß zu Strahl, todkrank am Nervenfieber,

Lag ich danieder, und hinweggeführt,

Von einem Cherubim, besuchte sie

Mein Geist in ihrer Klause zu Heilbronn![211]

KÄTHCHEN.

Himmel! Der Graf!


Sie setzt sich den Hut auf, und rückt sich das Tuch zurecht.


DER GRAF VOM STRAHL.

Was tu ich jetzt? Was laß ich?


Pause.


KÄTHCHEN fällt auf ihre beiden Knie nieder.

Mein hoher Herr, hier lieg ich dir zu Füßen,

Gewärtig dessen, was du mir verhängst!

An deines Schlosses Mauer fandst du mich,

Trotz des Gebots, das du mir eingeschärft;

Ich schwör's, es war ein Stündchen nur zu ruhn,

Und jetzt will ich gleich wieder weitergehn.

DER GRAF VOM STRAHL.

Weh mir! Mein Geist, von Wunderlicht geblendet,

Schwankt an des Wahnsinns grausem Hang umher!

Denn wie begreif ich die Verkündigung,

Die mir noch silbern wiederklingt im Ohr,

Daß sie die Tochter meines Kaisers sei?

GOTTSCHALK draußen.

Käthchen! He, junge Maid!

DER GRAF VOM STRAHL erhebt sie rasch vom Boden.

Geschwind erhebe dich!

Mach dir das Tuch zurecht! Wie siehst du aus?


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 205-212.
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