Erster Auftritt

[219] Der Kaiser auf dem Thron. Ihm zur Seite der Erzbischof von Worms, Graf Otto von der Flühe und mehrere andere Ritter, Herren und Trabanten. Der Graf vom Strahl, im leichten Helm und Harnisch, und Theobald, von Kopf zu Fuß in voller Rüstung; beide stehen dem Thron gegenüber.


DER KAISER.

Graf Wetterstrahl, du hast, auf einem Zuge,

Der durch Heilbronn dich, vor drei Monden, führte,

In einer Törin Busen eingeschlagen;

Den alten Vater jüngst verließ die Dirne,

Und, statt sie heimzusenden, birgst du sie

Im Flügel deiner väterlichen Burg.

Nun sprengst du, solchen Frevel zu beschönen,

Gerüchte, lächerlich und gottlos, aus;

Ein Cherubim, der dir zu Nacht erschienen,

Hab dir vertraut, die Maid, die bei dir wohnt,

Sei meiner kaiserlichen Lenden Kind.

Solch eines abgeschmackt prophet'schen Grußes

Spott ich, wie sich's versteht, und meinethalb

Magst du die Krone selbst aufs Haupt ihr setzen;

Von Schwaben einst, begreifst du, erbt sie nichts,[219]

Und meinem Hof auch bleibt sie fern zu Worms.

Hier aber steht ein tiefgebeugter Mann,

Dem du, zufrieden mit der Tochter nicht,

Auch noch die Mutter willst zur Metze machen;

Denn er, sein Lebelang fand er sie treu,

Und rühmt des Kinds unsel'gen Vater sich.

Darum, auf seine schweren Klagen, riefen wir

Vor unsern Thron dich her, die Schmach, womit

Du ihre Gruft geschändet, darzutun;

Auf, rüste dich, du Freund der Himmlischen:

Denn du bist da, mit einem Wort von Stahl,

Im Zweikampf ihren Ausspruch zu beweisen!

DER GRAF VOM STRAHL mit dem Erröten des Unwillens.

Mein kaiserlicher Herr! Hier ist ein Arm,

Von Kräften strotzend, markig, stahlgeschient,

Geschickt im Kampf dem Teufel zu begegnen;

Treff ich auf jene graue Scheitel dort,

Flach schmettr ich sie, wie einen Schweizerkäse,

Der gärend auf dem Brett des Sennen liegt.

Erlaß, in deiner Huld und Gnade, mir,

Ein Märchen, aberwitzig, sinnverwirrt,

Dir darzutun, das sich das Volk aus zwei

Ereignissen, zusammen seltsam freilich,

Wie die zwei Hälften eines Ringes, passend,

Mit müß'gem Scharfsinn, aneinandersetzte.

Begreif, ich bitte dich, in deiner Weisheit,

Den ganzen Vorfall der Silvesternacht,

Als ein Gebild des Fiebers, und so wenig

Als es mich kümmern würde, träumtest du,

Ich sei ein Jud, so wenig kümmre dich,

Daß ich gerast, die Tochter jenes Mannes

Sei meines hochverehrten Kaisers Kind!

ERZBISCHOF.

Mein Fürst und Herr, mit diesem Wort, fürwahr,

Kann sich des Klägers wackres Herz beruh'gen.

Geheimer Wissenschaft, sein Weib betreffend,

Rühmt er sich nicht; schau, was er der Mariane[220]

Jüngst, in geheimer Zwiesprach, vorgeschwatzt:

Er hat es eben jetzo widerrufen!

Straft um den Wunderbau der Welt ihn nicht,

Der ihn, auf einen Augenblick, verwirrt.

Er gab, vor einer Stund, o Theobald,

Mir seine Hand, das Käthchen, wenn du kommst

Zu Strahl, in seiner Burg, dir abzuliefern;

Geh hin und tröste dich und hole sie,

Du alter Herr, und laß die Sache ruhn!

THEOBALD.

Verfluchter Heuchler, du, wie kannst du leugnen,

Daß deine Seele ganz durchdrungen ist,

Vom Wirbel bis zur Sohle, von dem Glauben,

Daß sie des Kaisers Bänkeltochter sei?

Hast du den Tag nicht, bei dem Kirchenspiel,

Erforscht, wann sie geboren, nicht berechnet,

Wohin die Stunde der Empfängnis fällt;

Nicht ausgemittelt, mit verruchtem Witze,

Daß die erhabne Majestät des Kaisers

Vor sechzehn Lenzen durch Heilbronn geschweift?

Ein Übermütiger, aus eines Gottes Kuß,

Auf einer Furie Mund gedrückt, entsprungen;

Ein glanzumfloßner Vatermördergeist,

An jeder der granitnen Säulen rüttelnd,

In dem urew'gen Tempel der Natur;

Ein Sohn der Hölle, den mein gutes Schwert

Entlarven jetzo, oder, rückgewendet,

Mich selbst zur Nacht des Grabes schleudern soll!

DER GRAF VOM STRAHL.

Nun, den Gott selbst verdamme, gifterfüllter

Verfolger meiner, der dich nie beleidigt,

Und deines Mitleids eher würdig wäre,

So sei's, Mordraufer, denn, so wie du willst.

Ein Cherubim, der mir, in Glanz gerüstet,

Zu Nacht erschien, als ich im Tode lag,

Hat mir, was leugn ich's länger, Wissenschaft,

Entschöpft dem Himmelsbronnen, anvertraut.[221]

Hier vor des höchsten Gottes Antlitz steh ich,

Und die Behauptung schmettr ich dir ins Ohr:

Käthchen von Heilbronn, die dein Kind du sagst,

Ist meines höchsten Kaisers dort; komm her,

Mich von dem Gegenteil zu überzeugen!

DER KAISER.

Trompeter, blast, dem Lästerer zum Tode!


Trompetenstöße.


THEOBALD zieht.

Und wäre gleich mein Schwert auch eine Binse,

Und einem Griffe, locker, wandelbar,

Von gelbem Wachs geknetet, eingefugt,

So wollt ich doch von Kopf zu Fuß dich spalten,

Wie einen Giftpilz, der der Heid entblüht,

Der Welt zum Zeugnis, Mordgeist, daß du logst!

DER GRAF VOM STRAHL er nimmt sich sein Schwert ab und gibt es weg.

Und wär mein Helm gleich und die Stirn, die drunter,

Durchsichtig, messerrückendünn, zerbrechlich,

Die Schale eines ausgenommnen Eis,

So sollte doch dein Sarraß, Funken sprühend,

Abprallen, und in alle Ecken splittern,

Als hättst du einen Diamant getroffen,

Der Welt zum Zeugnis, daß ich wahr gesprochen!

Hau, und laß jetzt mich sehn, wes Sache rein?


Er nimmt sich den Helm ab und tritt dicht vor ihn.


THEOBALD zurückweichend.

Setz dir den Helm auf!

DER GRAF VOM STRAHL folgt ihm.

Hau!

THEOBALD.

Setz dir den Helm auf!

DER GRAF VOM STRAHL stößt ihn zu Boden.

Dich lähmt der bloße Blitz aus meiner Wimper?


Er windet ihm das Schwert aus der Hand, tritt über ihm und setzt ihm den Fuß auf die Brust.


Was hindert mich, im Grimm gerechten Siegs,

Daß ich den Fuß ins Hirn dir drücke? – Lebe!


[222] Er wirft das Schwert vor des Kaisers Thron.


Mag es die alte Sphinx, die Zeit, dir lösen,

Das Käthchen aber ist, wie ich gesagt,

Die Tochter meiner höchsten Majestät!

VOLK durcheinander.

Himmel! Graf Wetterstrahl hat obgesiegt!

DER KAISER erblaßt und steht auf.

Brecht auf, ihr Herrn!

ERZBISCHOF.

Wohin?

EIN RITTER aus dem Gefolge.

Was ist geschehn?

GRAF OTTO.

Allmächt'ger Gott! Was fehlt der Majestät?

Ihr Herren, folgt! Es scheint, ihr ist nicht wohl?


Ab.


Szene: Ebendaselbst. Zimmer im kaiserlichen Schloß.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 219-223.
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