Zweiter Auftritt

[223] DER KAISER wendet sich unter der Tür. Hinweg! Es soll mir niemand folgen! Den Burggrafen von Freiburg und den Ritter von Waldstätten laßt herein; das sind die einzigen Männer, die ich sprechen will! Er wirft die Tür zu. – – – Der Engel Gottes, der dem Grafen vom Strahl versichert hat, das Käthchen sei meine Tochter: ich glaube, bei meiner kaiserlichen Ehre, er hat recht! Das Mädchen ist, wie ich höre, funfzehn Jahr alt; und vor sechzehn Jahren, weniger drei Monaten, genau gezählt, feierte ich der Pfalzgräfin, meiner Schwester, zu Ehren das große Turnier in Heilbronn! Es mochte ohngefähr eilf Uhr abends sein, und der Jupiter ging eben, mit seinem funkelnden Licht, im Osten auf, als ich, vom Tanz sehr ermüdet, aus dem Schloßtor trat, um mich in dem Garten, der daran stößt, unerkannt, unter dem Volk, das ihn erfüllte, zu erlaben; und ein Stern, mild und kräftig,[223] wie der, leuchtete, wie ich gar nicht zweifle, bei ihrer Empfängnis. Gertrud, soviel ich mich erinnere, hieß sie, mit der ich mich in einem, von dem Volk minder besuchten, Teil des Gartens, beim Schein verlöschender Lampen, während die Musik, fern von dem Tanzsaal her, in den Duft der Linden niedersäuselte, unterhielt; und Käthchens Mutter heißt Gertrud! Ich weiß, daß ich mir, als sie sehr weinte, ein Schaustück, mit dem Bildnis Papst Leos, von der Brust losmachte, und es ihr, als ein Andenken von mir, den sie gleichfalls nicht kannte, in das Mieder steckte; und ein solches Schaustück, wie ich eben vernehme, besitzt das Käthchen von Heilbronn! O Himmel! Die Welt wankt aus ihren Fugen! Wenn der Graf vom Strahl, dieser Vertraute der Auserwählten, von der Buhlerin, an die er geknüpft ist, loslassen kann: so werd ich die Verkündigung wahrmachen, den Theobald, unter welchem Vorwand es sei, bewegen müssen, daß er mir dies Kind abtrete, und sie mit ihm verheiraten müssen: will ich nicht wagen, daß der Cherub zum zweitenmal zur Erde steige und das ganze Geheimnis, das ich hier den vier Wänden anvertraut, ausbringe!


Ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 223-224.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe
Das Käthchen von Heilbronn: oder die Feuerprobe. Studienausgabe
Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe: Reclam XL - Text und Kontext
Prinz Friedrich von Homburg / Der zerbrochene Krug / Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe.
Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe: Ein großes historisches Ritterschauspiel. Berlin 1810 (Suhrkamp BasisBibliothek)
Hamburger Lesehefte, Nr.56, Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe