Achter Auftritt

[385] Graf Georg von Sparren und der Wachtmeister treten auf. – Die Vorigen.


KURFÜRSTIN.

O stürzt mich zweimal nicht zum Abgrund nieder!

NATALIE.

Nein, meine teure Mutter!

KURFÜRSTIN.

Friedrich lebt?

NATALIE hält sie mit beiden Händen aufrecht.

Des Daseins Gipfel nimmt Euch wieder auf!

WACHTMEISTER auftretend.

Hier ist der Offizier!

DER PRINZ VON HOMBURG.

Herr Graf von Sparren![385]

Des Herrn Durchlaucht habt Ihr frisch und wohlauf,

Beim Truchßschen Corps, in Hackelwitz, gesehn?

GRAF SPARREN.

Ja, mein erlauchter Prinz, im Hof des Pfarrers,

Wo er Befehle gab, vom Stab umringt,

Die Toten beider Heere zu begraben!

DIE HOFDAMEN.

O Gott! An deine Brust –


Sie umarmen sich.


KURFÜRSTIN.

O meine Tochter!

NATALIE.

Nein, diese Seligkeit ist fast zu groß!


Sie drückt ihr Gesicht in der Tante Schoß.


DER PRINZ VON HOMBURG.

Sah ich von fern, an meiner Reuter Spitze,

Ihn nicht, zerschmettert von Kanonenkugeln,

In Staub, samt seinem Schimmel, niederstürzen?

GRAF SPARREN.

Der Schimmel, allerdings, stürzt', samt dem Reuter,

Doch wer ihn ritt, mein Prinz, war nicht der Herr.

DER PRINZ VON HOMBURG.

Nicht? Nicht der Herr?

NATALIE.

O Jubel!


Sie steht auf und stellt sich an die Seite der Kurfürstin.


DER PRINZ VON HOMBURG.

Sprich! Erzähle!

Dein Wort fällt schwer wie Gold in meine Brust!

GRAF SPARREN.

O laßt die rührendste Begebenheit,

Die je ein Ohr vernommen, Euch berichten!

Der Landesherr, der, jeder Warnung taub,

Den Schimmel wieder ritt, den strahlendweißen,

Den Froben jüngst in England ihm erstand,

War wieder, wie bis heut noch stets geschah,

Das Ziel der feindlichen Kanonenkugeln.

Kaum konnte, wer zu seinem Troß gehörte,

Auf einen Kreis von hundert Schritt ihm nahn;

Granaten wälzten, Kugeln und Kartätschen,

Sich wie ein breiter Todesstrom daher,

Und alles, was da lebte, wich ans Ufer:

Nur er, der kühne Schwimmer, wankte nicht,[386]

Und, stets den Freunden winkend, rudert' er,

Getrost den Höhn zu, wo die Quelle sprang.

DER PRINZ VON HOMBURG.

Beim Himmel, ja! Ein Grausen war's, zu sehn.

GRAF SPARREN.

Stallmeister Froben, der, beim Troß der Suite,

Zunächst ihm folgt, ruft dieses Wort mir zu:

»Verwünscht sei heut mir dieses Schimmels Glanz

Mit schwerem Gold in London jüngst erkauft!

Wollt ich doch funfzig Stück Dukaten geben,

Könnt ich ihn mit dem Grau der Mäuse decken.«

Er naht, voll heißer Sorge, ihm und spricht:

»Hoheit, dein Pferd ist scheu, du mußt verstatten,

Daß ich's noch einmal in die Schule nehme!«

Mit diesem Wort entsitzt er seinem Fuchs,

Und fällt dem Tier des Herren in den Zaum.

Der Herr steigt ab, still lächelnd, und versetzt:

»Die Kunst, die du ihn, Alter, lehren willst,

Wird er, solang es Tag ist, schwerlich lernen.

Nimm, bitt ich, fern ihn, hinter jenen Hügeln,

Wo seines Fehls der Feind nicht achtet, vor.«

Dem Fuchs drauf sitzt er auf, den Froben reitet,

Und kehrt zurück, wohin sein Amt ihn ruft.

Doch Froben hat den Schimmel kaum bestiegen,

So reißt, entsendet aus der Feldredoute,

Ihn schon ein Mordblei, Roß und Reuter, nieder.

In Staub sinkt er, ein Opfer seiner Treue,

Und keinen Laut vernahm man mehr von ihm.


Kurze Pause.


DER PRINZ VON HOMBURG.

Er ist bezahlt! – Wenn ich zehn Leben hätte,

Könnt ich sie besser brauchen nicht, als so!

NATALIE.

Der wackre Froben!

KURFÜRSTIN.

Der Vortreffliche!

NATALIE.

Ein Schlechtrer wäre noch der Tränen wert!


Sie weinen.
[387]

DER PRINZ VON HOMBURG.

Genug! Zur Sache jetzt. Wo ist der Kurfürst?

Nahm er in Hackelwitz sein Hauptquartier?

GRAF SPARREN.

Vergib! der Herr ist nach Berlin gegangen,

Und die gesamte Generalität

Ist aufgefordert, ihm dahin zu folgen.

DER PRINZ VON HOMBURG.

Wie? Nach Berlin! – Ist denn der Feldzug aus?

GRAF SPARREN.

Fürwahr, ich staune, daß dir alles fremd! –

Graf Horn, der schwed'sche General, traf ein;

Es ist im Lager, gleich nach seiner Ankunft,

Ein Waffenstillstand ausgerufen worden.

Wenn ich den Marschall Dörfling recht verstanden,

Ward eine Unterhandlung angeknüpft:

Leicht, daß der Frieden selbst erfolgen kann.

KURFÜRSTIN.

O Gott, wie herrlich klärt sich alles auf!


Sie steht auf.


DER PRINZ VON HOMBURG.

Kommt, laßt sogleich uns nach Berlin ihm folgen!

– Räumst du, zu rascherer Beförderung, wohl

Mir einen Platz in deinem Wagen ein?

– Zwei Zeilen nur an Kottwitz schreib ich noch,

Und steige augenblicklich mit dir ein.


Er setzt sich nieder und schreibt.


KURFÜRSTIN.

Von ganzem Herzen gern!

DER PRINZ VON HOMBURG legt den Brief zusammen und übergibt ihn dem Wachtmeister; indem er sich wieder zur Kurfürstin wendet, und den Arm sanft um Nataliens Leib legt:

Ich habe so

Dir einen Wunsch noch schüchtern zu vertraun,

Dess' ich mich auf der Reis entlasten will.

NATALIE macht sich von ihm los.

Bork! Rasch! Mein Halstuch, bitt ich!

KURFÜRSTIN.

Du? Einen Wunsch mir?

ERSTE HOFDAME.

Ihr tragt das Tuch, Prinzessin, um den Hals![388]

DER PRINZ VON HOMBURG zur Kurfürstin.

Was? Rätst du nichts?

KURFÜRSTIN.

Nein, nichts!

DER PRINZ VON HOMBURG.

Was? Keine Silbe? –

KURFÜRSTIN abbrechend.

Gleichviel! – Heut keinem Flehenden auf Erden

Antwort ich: nein! was es auch immer sei;

Und dir, du Sieger in der Schlacht, zuletzt!

– Hinweg!

DER PRINZ VON HOMBURG.

O Mutter! Welch ein Wort sprachst du?

Darf ich's mir deuten, wie es mir gefällt?

KURFÜRSTIN.

Hinweg, sag ich! Im Wagen mehr davon!

DER PRINZ VON HOMBURG.

Kommt, gebt mir Euren Arm! – O Cäsar Divus!

Die Leiter setz ich an, an deinen Stern!


Er führt die Damen ab; alle folgen.

Szene: Berlin. Lustgarten vor dem alten Schloß. Im Hintergrunde die Schloßkirche, mit einer Treppe. Glockenklang; die Kirche ist stark erleuchtet; man sieht die Leiche Frobens vorübertragen, und auf einen prächtigen Katafalk, niedersetzen.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 385-389.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Prinz Friedrich von Homburg
EinFach Deutsch: Heinrich von Kleist, Prinz Friedrich von Homburg: Ein Schauspiel. Erarbeitet und mit Anmerkungen versehen, Für die Gymnasiale Oberstufe
Prinz Friedrich von Homburg
Prinz Friedrich von Homburg: Ein Schauspiel. Studienausgabe
Prinz Friedrich von Homburg: Ein Schauspiel. Erstdruck (Suhrkamp BasisBibliothek)
Amphitryon / Prinz Friedrich von Homburg: Dramen

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon