Erster Auftritt

[407] Der Kurfürst steht mit Papieren an einem, mit Lichtern besetzten Tisch. – Natalie tritt durch die mittlere Tür auf und läßt sich in einiger Entfernung, vor ihm nieder. Pause.


NATALIE kniend.

Mein edler Oheim, Friedrich von der Mark!

DER KURFÜRST legt die Papiere weg.

Natalie!


Er will sie erheben.


NATALIE.

Laß, laß!

DER KURFÜRST.

Was willst du, Liebe?

NATALIE.

Zu deiner Füße Staub, wie's mir gebührt,

Für Vetter Homburg dich um Gnade flehn!

Ich will ihn nicht für mich erhalten wissen –

Mein Herz begehrt sein und gesteht es dir;

Ich will ihn nicht für mich erhalten wissen –

Mag er sich welchem Weib er will vermählen;

Ich will nur, daß er da sei, lieber Onkel,

Für sich, selbständig, frei und unabhängig,

Wie eine Blume, die mir wohlgefällt:

Dies fleh ich dich, mein höchster Herr und Freund,

Und weiß, solch Flehen wirst du mir erhören.

DER KURFÜRST erhebt sie.

Mein Töchterchen! Was für ein Wort entfiel dir?

– Weißt du, was Vetter Homburg jüngst verbrach?[407]

NATALIE.

O lieber Onkel!

DER KURFÜRST.

Nun? Verbrach er nichts?

NATALIE.

O dieser Fehltritt, blond mit blauen Augen,

Den, eh er noch gestammelt hat: ich bitte!

Verzeihung schon vom Boden heben sollte:

Den wirst du nicht mit Füßen von dir weisen!

Den drückst du um die Mutter schon ans Herz,

Die ihn gebar, und rufst: komm, weine nicht;

Du bist so wert mir, wie die Treue selbst!

War's Eifer nicht, im Augenblick des Treffens,

Für deines Namens Ruhm, der ihn verführt,

Die Schranke des Gesetzes zu durchbrechen:

Und ach! die Schranke jugendlich durchbrechen,

Trat er dem Lindwurm männlich nicht aufs Haupt?

Erst, weil er siegt', ihn kränzen, dann enthaupten,

Das fordert die Geschichte nicht von dir;

Das wäre so erhaben, lieber Onkel,

Daß man es fast unmenschlich nennen könnte:

Und Gott schuf noch nichts Milderes, als dich.

DER KURFÜRST.

Mein süßes Kind! Sieh! Wär ich ein Tyrann,

Dein Wort, das fühl ich lebhaft, hätte mir

Das Herz schon in der erznen Brust geschmelzt.

Dich aber frag ich selbst: darf ich den Spruch

Den das Gericht gefällt, wohl unterdrücken? –

Was würde wohl davon die Folge sein?

NATALIE.

Für wen? Für dich?

DER KURFÜRST.

Für mich; nein! – Was? Für mich!

Kennst du nichts Höhres, Jungfrau, als nur mich?

Ist dir ein Heiligtum ganz unbekannt,

Das in dem Lager, Vaterland sich nennt?

NATALIE.

O Herr! Was sorgst du doch? Dies Vaterland!

Das wird, um dieser Regung deiner Gnade,

Nicht gleich, zerschellt in Trümmern, untergehn.

Vielmehr, was du, im Lager auferzogen,

Unordnung nennst, die Tat, den Spruch der Richter,[408]

In diesem Fall, willkürlich zu zerreißen,

Erscheint mir als die schönste Ordnung erst:

Das Kriegsgesetz, das weiß ich wohl, soll herrschen,

Jedoch die lieblichen Gefühle auch.

Das Vaterland, das du uns gründetest,

Steht, eine feste Burg, mein edler Ohm:

Das wird ganz andre Stürme noch ertragen,

Fürwahr, als diesen unberufnen Sieg;

Das wird sich ausbaun herrlich, in der Zukunft,

Erweitern, unter Enkels Hand, verschönern,

Mit Zinnen, üppig, feenhaft, zur Wonne

Der Freunde, und zum Schrecken aller Feinde:

Das braucht nicht dieser Bindung, kalt und öd,

Aus eines Freundes Blut, um Onkels Herbst,

Den friedlich prächtigen, zu überleben.

DER KURFÜRST.

Denkt Vetter Homburg auch so?

NATALIE.

Vetter Homburg?

DER KURFÜRST.

Meint er, dem Vaterlande gelt es gleich,

Ob Willkür drin, ob drin die Satzung herrsche?

NATALIE.

Ach, dieser Jüngling!

DER KURFÜRST.

Nun?

NATALIE.

Ach, lieber Onkel! –

Hierauf zur Antwort hab ich nichts, als Tränen.

DER KURFÜRST betroffen.

Warum, mein Töchterchen? Was ist geschehn?

NATALIE zaudernd.

Der denkt jetzt nichts, als nur dies eine: Rettung!

Den schaun die Röhren, an der Schützen Schultern,

So gräßlich an, daß überrascht und schwindelnd,

Ihm jeder Wunsch, als nur zu leben, schweigt:

Der könnte, unter Blitz und Donnerschlag,

Das ganze Reich der Mark versinken sehn,

Daß er nicht fragen würde: was geschieht?

– Ach, welch ein Heldenherz hast du geknickt!


Sie wendet sich und weint.
[409]

DER KURFÜRST im äußersten Erstaunen.

Nein, meine teuerste Natalie,

Unmöglich, in der Tat?! – Er fleht um Gnade?

NATALIE.

Ach, hättst du nimmer, nimmer ihn verdammt!

DER KURFÜRST.

Nein, sag: er fleht um Gnade? – Gott im Himmel,

Was ist geschehn, mein liebes Kind? Was weinst du?

Du sprachst ihn? Tu mir alles kund! Du sprachst ihn?

NATALIE an seine Brust gelehnt.

In den Gemächern eben jetzt der Tante,

Wohin, im Mantel, schau, und Federhut

Er, unterm Schutz der Dämmrung kam geschlichen:

Verstört und schüchtern, heimlich, ganz unwürdig,

Ein unerfreulich, jammernswürd'ger Anblick!

Zu solchem Elend, glaubt ich, sänke keiner,

Den die Geschicht als ihren Helden preist.

Schau her, ein Weib bin ich, und schaudere

Dem Wurm zurück, der meiner Ferse naht:

Doch so zermalmt, so fassungslos, so ganz

Unheldenmütig träfe mich der Tod,

In eines scheußlichen Leun Gestalt nicht an!

– Ach, was ist Menschengröße, Menschenruhm!

DER KURFÜRST verwirrt.

Nun denn, beim Gott des Himmels und der Erde,

So fasse Mut, mein Kind; so ist er frei!

NATALIE.

Wie, mein erlauchter Herr?

DER KURFÜRST.

Er ist begnadigt! –

Ich will sogleich das Nötg' an ihn erlassen.

NATALIE.

O Liebster! Ist es wirklich wahr?

DER KURFÜRST.

Du hörst!

NATALIE.

Ihm soll vergeben sein? Er stirbt jetzt nicht?

DER KURFÜRST.

Bei meinem Eid! Ich schwör's dir zu! Wo werd ich

Mich gegen solchen Kriegers Meinung setzen?

Die höchste Achtung, wie dir wohl bekannt,

Trag ich im Innersten für sein Gefühl:[410]

Wenn er den Spruch für ungerecht kann halten

Kassier ich die Artikel: er ist frei! –


Er bringt ihr einen Stuhl.


Willst du, auf einen Augenblick, dich setzen?


Er geht an den Tisch, setzt sich und schreibt.

Pause.


NATALIE für sich.

Ach, Herz, was klopfst du also an dein Haus?

DER KURFÜRST indem er schreibt.

Der Prinz ist drüben noch im Schloß?

NATALIE.

Vergib!

Er ist in seine Haft zurückgekehrt. –

DER KURFÜRST endigt und siegelt; hierauf kehrt er mit dem Brief wieder zur Prinzessin zurück.

Fürwahr, mein Töchterchen, mein Nichtchen, weinte!

Und ich, dem ihre Freude anvertraut,

Mußt ihrer holden Augen Himmel trüben!


Er legt den Arm um ihren Leib.


Willst du den Brief ihm selber überbringen? –

NATALIE.

Ins Stadthaus! Wie?

DER KURFÜRST drückt ihr den Brief in die Hand.

Warum nicht? – He! Heiducken!


Heiducken treten auf.


Den Wagen vorgefahren! Die Prinzessin

Hat ein Geschäft beim Obersten von Homburg!


Die Heiducken treten wieder ab.


So kann er, für sein Leben, gleich dir danken.


Er umarmt sie.


Mein liebes Kind! Bist du mir wieder gut?

NATALIE nach einer Pause.

Was deine Huld, o Herr, so rasch erweckt,

Ich weiß es nicht und untersuch es nicht.

Das aber, sieh, das fühl ich in der Brust,

Unedel meiner spotten wirst du nicht:[411]

Der Brief enthalte, was es immer sei,

Ich glaube Rettung – und ich danke dir!


Sie küßt ihm die Hand.


DER KURFÜRST.

Gewiß, mein Töchterchen, gewiß! So sicher,

Als sie in Vetter Homburgs Wünschen liegt.


Ab.


Szene: Zimmer der Prinzessin.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 407-412.
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