Erster Auftritt.

[3] Der Berg Parnassus; die Musen steigen herab und tanzen, drauf kömmt Apollo mit Thalien herab.


APOLLO. So erlustiget euch denn in den Lorbeerwäldern, meine Geliebten. Meine liebe Thalia, nun kann ich dich ruhig anhören.

THALIA. Du allein kannst mir Gerechtigkeit verschaffen, Gott der Künste. Man will mein Reich zerstöhren, man will Munterkeit und Scherz verjagen, man hat aus Mangel eigner Talente zum Drama die schwärzeste Verschwörung wider mich gemacht.

APOLLO. Ich weiß, wen deine Klage betrift. Mit tausend Freuden will ich dir Recht schaffen. O wer hätte sich vorgestellet, daß dieses anfangs so liebenswürdige Mädchen, die Critick, das das beste Herz von der Welt hatte, das nie ein niedriger elender Neid zerfleischte, das ohne alle Bosheit war, in eine so schreckliche Furie ausarten sollte?

THALIA. Ich habe sie auch anfangs wie meine Schwester geliebt; sie leitete meine Pflegsöhne, sie gab ihnen vortrefliche Vorschriften; allein itzt – Ach sie wird endlich noch Cabalen wider dich selbst machen, sie wird dich vom Parnaß herabstürzen, sie wird sich mit ihrem verhaßten Liebhaber, dem Momus, darauf setzen wollen; sie hat schon eine ganze Bande Pflegesöhne wider uns aufgehetzet, die den Momus zu deinem Schimpfe als ihren Beschützer angenommen haben, mit dem sie nächtliche Zusammenkünfte[3] halten, und das Gift da in finstern Löchern zubereiten, das sie alsdenn über diejenigen ausschütten, welche ihren Nacken nicht unter ihr Joch beugen, welche mir getreu sind, und die Welt noch mit Comödien vergnügen wollen.

APOLLO. Ja, du hast Recht. Die Sache ist ernsthaft, und noch heute muß sie entweder ihren verhaßten Liebhaber verlassen, oder ich verbanne sie auf ewig von dem Parnasse, und bitte meine Schwester Minerva, ihre Verrichtungen auf demselben zu übernehmen, und mir die wahrhaft würdigen Geister zuzuführen; nicht die, welche ihr ganzes Leben mit Beurtheilung anderer zubrachten, sondern diese, welche eigne Werke des Witzes erschufen; denn Critikaster bringt die Natur alle Tage tausend hervor, aber das ganze Jahr kaum ein einziges Genie.

THALIA. Ja, und noch mehr. Ist denn das Gerücht gegründet, daß sie schon mit dem Momus eine Tochter erzeugt hat, welche die boshafte Spötterey heißt, die sie unter die Sterblichen ausgeschicket hat, um sie wider uns, und besonders wider mich zu empören?

APOLLO. Leider ist es nur mehr als zu gewiß. Doch da kömmt sie; laß uns ihr ein Beyspiel der Bescheidenheit und der Sanftmuth geben, vielleicht sieht sie ihr Unrecht ein.


Quelle:
Chr[ristian] G[ottlob] Klemm: Der auf den Parnass versetzte grüne Hut. Wien 1883, S. 3-4.
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