Zweite Scene.

[13] Wagner mit einer Lampe. Die Vorigen.


WAGNER hereintretend.

Nehmt mich in Schutz, ihr guten Geister!

DIETHER.

Wer redet da?

WAGNER um sich blickend.

Gottlob, ihr seid's, Herr Diether!

Ich schaute Licht hier durch das Bogenfenster,

Drob furcht' ich mich in meiner Kammer drüben,

Dieweil's fast Mitternacht, und mir's bewußt war,

Daß Würden, unser Doctor, nicht daheim!

Doch da ich öfter schon zur selben Stunde

Hier Lichtschein in dem Zimmer wahrgenommen,

So faßt' ich mir ein Herz, schlug guten Muthes

Mein Kreuzlein vor der Thür, mich benedeiend,

Und schritt so, wohl gerüstet, kühn herein,

Nach Licht und Feuer sorgsam umzuschauen!

KÄTHE die sich allmählig erholt hat.

Jetzt wird die enge Brust mir wieder frei!


Zurückfahrend, als sie das noch offene Buch erblickt.


Was hab' ich angeschaut![13]

WAGNER schlägt es heftig zu.

Ihr guten Geister! –

Kehrt euren Blick hinweg von diesen Zeichen;

Das ist – auch mich trieb neulich solcher Vorwitz! –

O schlingt die Kette wieder fest darum –

Gebt her –


Er windet die Kette wieder um das Buch.


Das muß in starken Fesseln liegen!

DIETHER.

Ich ahnte es! –

KÄTHE ängstlich.

Erklärt euch deutlicher!

WAGNER.

Nur was mir wiederfuhr, kann ich berichten!

Sonst pflegte Würden, unser Doctor, immer

Dies Schreckensbuch in sicherm Schloß zu halten,

Und wenn ich oft ihn um den Inhalt fragte,

So gab er dies und jenes mir zur Antwort,

Das nimmer auf den Grund der Sache führte.

Drob brannte mich die Neugier immer mehr –

Man ist ein Menschenkind – und als ich neulich

Die Kette offen fand und unverschlossen,

So wollt' ich rasch mich an den Inhalt machen;[14]

Doch ob ich gleich in Sprachen wohl bewandert,

So war hier meine Wissenschaft am Ende,

Denn nie sah ich vorher dergleichen Zeichen.

Indeß verspürt' ich heimliches Gelüsten,

Und mußte wider Willen weiter blättern,

Und immer krauser wurden die Figuren,

Und wie ein Rausch stieg mir's empor zum Haupte,

Daß ich fürwahr von Wildheit fast ergriffen;

Bis mir, gleichsam ein Schreckniß vor mir selber,

Der Name Gottes von den Lippen fuhr;

Da knistert' es wie Flammen aus dem Buche,

Und mich ergriff ein fürchterliches Grauen,

Daß sich die Haare auf dem Schädel sträubten,

Und ich hinweg floh, wie verfolgt vom Bösen!

DIETHER tief erschüttert.

Der war's fürwahr!

KÄTHE.

O redet nicht so schrecklich!

DIETHER.

Was ich mit bangem Schauder oft geahnt,

Es ist gewiß – der Faust treibt schwarze Kunst!

KÄTHE bebend.

Welch finstrer Name![15]

DIETHER.

Das sind ihre Zeichen!

Die locken ihn, die garnen ihn hinein,

Bis endlich er, vom Argen überlistet,

Hinunterstürzt in Hölle und Verdammniß!

WAGNER ängstlich.

Behüt' uns Gott!

KÄTHE außer sich.

Du tödtest mich, mein Vater!

O laß uns fort von diesem Schreckensorte!

DIETHER zu Wagner.

Ihr seid sein Schüler – ihr müßt darum wissen!

WAGNER.

Behüte! – Ich bin frommer Leute Kind,

In Armuth und in Gottesfurcht erzogen;

Und weil ich Würden, unserm Doctor, diene

Als Famulus in den Collegiis,

So räumt er mir mein Plätzchen gratis ein,

Daß ich umsonst bei ihm mich klug studire!

Der Herr hat einen grundgelehrten Geist,

Und ist in Metaphysicis bewandert,

Wie weiland Plato selbst es nicht gewesen!

Doch geht mit Gott dem Herrn das Ganze zu![16]

DIETHER.

So habt ihr nimmer mehr etwas bemerkt?

WAGNER.

Bis auf das Schreckensbuch und meinen Schwindel,

Auch oftermal'gen Lichtglanz hier zur Nachtzeit,

Den ich auf Electricität geschoben,

Nicht das Geringste weiter, Ehrenfester!

Obgleich ich auch bescheidentlich bekenne,

Daß mancher Satz in Metaphysicis,

Den ich vernahm, noch nicht von mir ergründet.

So grübelt' ich noch jetzo ob dergleichen,

Als ich das Licht durchs Fenster hier erblickte.

KÄTHE.

Umsonst hast du mir Furcht gemacht, mein Vater!

Wie kannst vom Faust so Schreckliches besorgen?

DIETHER.

Gott gebe, daß die inn're Stimme log;

Allein sein wilder Sinn, der zu den Sternen

Und zu dem Himmel kühn empor ihn stürmt,

Kann ihn zur Hölle auch hinunterstürzen!

WAGNER erschreckend.

Wer nahet da so spät zur Mitternacht?[17]

KÄTHE freudig auffahrend.

Das ist der Gang des Faust! – Er ist's! Er ist's!


Quelle:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815 [Nachdruck Wildberg 1996], S. 13-18.
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