Fünfte Scene.

[27] Ein Fremder, ganz in einen dunkeln Mantel verhüllt. Faust.


FAUST aufschreckend.

Wer nahet drüben!


[27] Das Licht erlischt in der Kapelle, und es wird ganz finster.


DER FREMDE der in der Nacht wie ein ungewisser Schatten erscheint, tritt etwas näher.

FAUST unwillkührlich grausend.

Ein Nächtlicher vom schwarzen Grabgefolge!


Es donnert dumpf.


Nicht also! – Ha, was spricht mit solcher Wildheit

Zu meinem Geiste? Worte hör' ich nicht,

Doch sind's Gedanken, glühend, wie die Rache,

Die innerlich den meinigen begegnen! –


Zurückbebend.


Hier ist was Schreckliches in meiner Nähe!

DER FREMDE deutet zur linken Hand hinaus.

FAUST.

Dort liegt der Spessar! –


Er fährt sich über die Stirn.


Ha, was ist es denn,

Das mir die Haare grausend aufwärts sträubt,

Und kalten Schweiß aus meinen Poren preßt! –

Wer bist du – rede!


Es donnert stärker.


Ha, im Innern wieder![28]

Und immer wilder! – Donnert nicht der Zorn

Schon laut in mir?


Mit steigender Leidenschaft.


Ja, rächen möcht' ich mich!

Nach Rache brennt's, wie Feuer in dem Busen! –

Betrogen von dem Himmel und der Erde,

Möcht' ich verderbend durch das Leben stürmen,

Und allen Haß in meiner Brust erschöpfen,

Und wenn ich meiner Wuth genug gethan,

Dann hoch und königlich darüber herrschen,

Und seinen vollen Freudenbecher schwingen!

Ha, nieder denn mit diesen engen Schranken,

Ich fühl' mich im Bewußtseyn meiner Macht,

Und wenn ich's will, so kann ich's auch vollbringen!

DER FREMDE lacht halblaut und höhnisch.

FAUST heftiger.

Was soll das Gaukelspiel – weg die Vermummung!

Zeig dich mir selbst – so schrecklich wie du bist;

Ich bin der Faust – dein Herrscher und Gebieter!


Es wetterleuchtet.


DER FREMDE deutet nach der linken Seite.

FAUST.

Zu früh! Rufst du in mir? – Ha, Schattenbildung,[29]

Du zitterst nicht vor meiner Uebermacht?

Das Wort ist mein, und hab' ich's ausgesprochen,

So liegst du wie ein Sklav zu meinen Füßen,

Mein Wink stürmt dich von einem Pol zum andern,

Und fröhnen mußt du meinem Herrscherwillen! –

Heraus denn aus den Nebeln, die dich bergen,

Ich bin ein Mann für dein Entsetzlichstes,

Und will dich schauen!


Indem er auf ihn zustürzt.


Ha, gehorche mir!


Ein Donnerschlag.


DER FREMDE streckt den Arm aus.

FAUST taumelt zu Boden.


Der Donner verhallt langsam.


FAUST rafft sich wüthend empor.

DER FREMDE deutet wieder nach der linken Hand.

FAUST.

Zu viel! Ha, Lügenbildung – Trotz sei dir!

Hinaus zum Spessar! – Eh der Tag beginnt,

Sollst du, ein Sklav, zu meinen Füßen zittern!


Der Fremde schreitet voran. Faust folgt verwegen.
[30]


Quelle:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815 [Nachdruck Wildberg 1996], S. 27-31.
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