Erste Scene.

[75] Studenten sitzen an der rechten Seite um einen Tisch und singen und trinken. Zur linken Hand abseits ein Fremder einsam bei seinem Glase mit einem hochrothen wilden, von der Sonne verbrannten Gesichte. Während des Chors treten Faust und Wagner ein. Kellner.


STUDENTENCHOR.

Mihi est propositum

In tabeina mori,

Vinum sit appositum

Morientis ori,[75]

Ut dicant cum venerint

Angelorum chori:

Deus sit propitius

Huic potatori!

STUDENTEN schwingen die Gläser, als sie ausgesungen.

Runda! Hoch!

FAUST unwillig.

Was führst du mich in diese Schlemmerei?

WAGNER.

Mit Gunsten, Würden! Ihr lauft mir zu hastig

Durch's liebe Leben, und stets kreuz und quer!

Dazu nach einem Bilde – Gott verzeih' mir's!

'S ist Phantasei ein Bild, und nichts Reelles!

FAUST.

Ha! Nichts davon!

WAGNER.

Ich bin schon mäuschenstill!

Der Widerspruch erhitzt euch! – Doch mit Gunsten,

Der übereilte Lauf hat mich ermattet,

Und hier ist ein Hospitium für Müde!

FAUST.

Du fügst dich gut und schnell![76]

WAGNER.

Den Wein belangend,

Das geb' ich zu, der ist ein gutes Ding,

Und süßer als der Quell, woraus ich vormals

Mich beim Studiren zu begeistern suchte! –


Dreist rufend.


Drum Wein herbei!


Der Kellner bedient ihn.


FAUST halblaut und beißend, indem er ihn betrachtet.

Wie das Charakterlose

So leicht in jede Form sich gießen läßt!

Ja wett' ich doch, daß eh' ein Jahr vergangen,

Der Bursche dreist dem Teufel selbst sich zutrinkt!

WAGNER indem er trinkt.

Was murmelt ihr gedankenvoll?

FAUST.

Ich meine,

Da mit dem Trinken dir's so gut gelungen,

So wagst du's auch mit meinen raschen Fahrten!

WAGNER kreuzt sich.

Behüte Gott!

DER FREMDE stößt sein Weinglas auf den Tisch, daß es zerbricht.[77]

WAGNER zusammenfahrend.

Was giebt's?

DER FREMDE kurz und tief.

Ein andres Glas!


Der Kellner bringt es ihm.


WAGNER schüttelt nach ihm hinsehend den Kopf.

Der Mann ist heftig –


Mit einer Pantomime, die Betrunkenheit andeutet.


exaltirt, wie's scheint! –

Doch wieder auf die Fahrt zu kommen: – Nein,

Dafür bedank' ich mich – es ist gefährlich!

Und ob ihr's weiße Kunst gleich titulirt,

So fürcht' ich doch, daß mehr dahinter steckt!

ERSTER STUDENT.

Nun munter, Brüder! Gebt was Frisches an!

Ich bin vergnügt – der Teufel soll mich holen!

ZWEITER STUDENT halb betrunken.

Eins singen, Brüderchen!

DRITTER STUDENT.

Der Ton versagt dir!

ZWEITER STUDENT trinkt.

Ich frische an![78]

DRITTER STUDENT.

Du singst dich untern Tisch!

Laßt lieber Schwänke an die Reihe kommen!

ERSTER STUDENT.

Ja, Schwänke, Bruderherz? Da kann ich dienen

Aus Leipzig her – der Teufel soll mich holen!

ZWEITER STUDENT lallend.

Aus Leipzig, ja!

ERSTER STUDENT.

Und zwar vom Teufelskerl,

Vom Doctor Faust!

DRITTER STUDENT.

Du hast den Faust gesehen?

ERSTER STUDENT.

Gesehen? Pah! Wir sind auf du und du!

Der Teufel soll mich holen!

FAUST.

Wohl bekomm's!


Indem er ihm zutrinkt.


ERSTER STUDENT stößt mit ihm an.

Zum schuld'gen Dank!

WAGNER halblaut zu Faust.

Der Bursche lügt sich schwarz![79]

ERSTER STUDENT.

Wir waren dorr ein Herz und eine Seele!


Mit Wohlbehagen.


Es ist ein Kerl – früh Morgens schon betrunken,

Zu Mittag niemals nüchtern, und am Abend

Mit durst'ger Kehle vor dem Zapfen sterbend!

FAUST zu Wagner mit Laune.

Der macht den Bruder Lüderlich aus mir!

ERSTER STUDENT.

Wir tranken oft uns in Gesellschaft voll,

Und dann gab's immer Händel, tolle Streiche!

So, eines Tages, als beim Auerbach

Im Keller drunten brav wir commercirt,

Fährt draußen uns ein Fuder Heu entgegen,

Worüber unser Mann sich hoch erzürnt,

Und wild dem Bauer droht, ihm auszuweichen,

Doch als der ruhig in dem Gleise leiert,

Da sperrt mein Faust – der Teufel soll mich holen!

Den Mund gleich einem Wallfischrachen auf,

Und frißt das Fuder Heu, sammt Pferd' und Wagen.

DRITTER STUDENT erstaunt.

Hoho![80]

ZWEITER STUDENT mit aufgerissenen Augen.

Das ist ein starkes Stück!

DRITTER STUDENT.

Nicht möglich!

ERSTER STUDENT.

Ich war dabei – der Teufel soll mich holen!

So auch ein andres Mal, als er ein Weinfaß

Beritten machte in demselben Keller,

Und hopsasa! darauf hinaus trottirte!

ZWEITER STUDENT lallend.

Haha! das hätt' ich sehen mögen Bruder!

DRITTER STUDENT.

Der Kerl ist ja des Teufels ganz und gar!

FAUST zu Wagner.

Da hörst du's, was der Pöbel aus mir macht!


Ergrimmt.


Ich hätte Lust, dem Kerl mein Fratzenbild

Mit heiß gemünztem Golde zu bezahlen,

Bedenk' ich, daß er's so zur Nachwelt liefert!

ZWEITER STUDENT noch immer mit aufgerissenen Augen.

Das geht doch nie mit rechten Dingen zu![81]

ERSTER STUDENT.

Bewahre Brüderchen! Der Teufel hilft ihm;

Sein Diener nennt sich Mephistopheles,

Das ist der Freund quaestionis – hu ein Kerl

Mit rothem Haar, auf beiden Augen schielend,

Und in dem Stiefel steckt der Pferdefuß! –

Er hat mit mir auch Brüderschaft getrunken!

DRITTER STUDENT schaudernd.

Du bist ja ruchlos!

ZWEITER STUDENT mit schwerer Zunge.

Ein verwegner Kerl!

ERSTER STUDENT renomirend.

Von Alters her! – Der Teufel soll mich holen! –

So fuhr ich auch auf Doctor Fausti Mantel

Einmal im Fluge mit ihm durch die Luft

Nach Merseburg, das Bier dort anzuzapfen!

ZWEITER STUDENT starrt ihn, den Kopf auf beide Arme gestützt, an.

Die Möglichkeit –!

ERSTER STUDENT schlägt auf den Tisch.

Der Teufel soll mich holen!

FAUST klopft ihm in dem Momente stark auf die Schulter.[82]

ERSTER STUDENT fährt heftig erschrocken in die Höhe.

O wehe mir!

FAUST hält ihm gebietend seinen Becher entgegen.

Stoßt an!

ERSTER STUDENT bemüht sich, wieder Fassung zu erlangen.

Was – soll das, Herr?

FAUST wie vorher.

Stoßt an! – Nun wird's – der Teufel soll mich holen!

ERSTER STUDENT greift zitternd nach dem Becher.

Ja so – ha, ha!

FAUST stark.

Der Faust bringt euch das Glas!


In dem Augenblicke schlängelt sich eine blaue Flamme aus der Seitencoulisse über den Tisch hin, und entzündet den Becher des Studenten, daß er in Flammen auflodert, und mit einem Knalle zerspringt. Zugleich fährt ein Blitz durch's Gewölbe, auf den ein starker Donnerschlag folgt.


ERSTER STUDENT zurückstürzend.

Der Faust – es brennt!

FAUST mit lauter Stimme.

Der Teufel soll dich holen![83]

ZWEITER STUDENT auftaumelnd.

Der Teufel!

DRITTER STUDENT eben so.

Hülfe!

ERSTER STUDENT reißt aus.

Er hat mich in Klauen!


Die Studenten stürzen fort. Der Kellner ist schon früher abgegangen.


Quelle:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815 [Nachdruck Wildberg 1996], S. 75-84.
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