Neunte Scene.

[130] Käthe kehrt zurück mit einer Weinkanne und zwei Pokalen. Faust.


KÄTHE sanft und mit Unterwürfigkeit.

Mein lieber Herr!

FAUST sucht sich immer mehr gegen sie aufzureizen.

Ich hasse sklavisch Wesen!

KÄTHE.

Den vor'gen Ungehorsam sollt' es strafen!

FAUST wild.

Nur Heuchelei dazu? – So ist das Weib!

KÄTHE aus tiefer Brust.

Ich halte deinem Zorn geduldig still!

FAUST.

Den Wein!

KÄTHE mit großer Innigkeit.

Doch wirst du wieder milde werden!


Faust trinkt hastig und viel, während sie, wie vorher, fortfährt.


Ich bitte dich!

FAUST hält ihr störrisch den Becher entgegen.

Mehr Wein![130]

KÄTHE indem sie ängstlich eingießt.

O lieber Faust!

FAUST.

Laß das! Hinweg! –


Nachdem er getrunken.


Jetzt wird mir wohl und glühend!


In einer Betäubung wild auflachend.


Haha! – jetzt soll's –


Er gießt rasch und mit einer Wendung das Fläschchen in den zweiten Pokal, dann blickt er scheu auf Käthen.


Was bist du denn geschmückt?

So weiß, wie eine –


Tief in sich hinein abbrechend.


Todte –!

KÄTHE wieder Muth fassend.

Deine Braut!

FAUST indem er sie erschrocken zurückdrängt.

Was Braut – – so weiß!!

KÄTHE.

Kennst du die Braut nicht mehr?

Dein Käthchen lieb! – wie einst am Traualtare!

FAUST.

Nun denn –[131]

KÄTHE mit steigender Innigkeit.

Ach Faust – warum nicht mehr so lieb?

FAUST.

Wozu – das weiße Kleid!


Hestig.


Weg mit dem Kleide!

KÄTHE.

Nein, laß dich's an die alte Zeit erinnern,

Bin ich doch jetzt erst eingeweiht zur Frau!


Mit heißer Liebe.


O Faust! Mein Faust!

FAUST wüst.

Jetzt nicht – ein andres Mal!

KÄTHE dringender.

Jetzt muß es seyn – 's ist dein Geburtstag heute!

FAUST mit heimlichem Grausen.

G'rad heute!! –

KÄTHE.

Lieber Faust – jetzt bring' ich's dir –

Mein heilig Angebinde!

FAUST.

Ha, was soll's!

Weg mit dem Spielwerk![132]

KÄTHE wirft sich außer sich an seine Brust.

Nein, das ist es nicht! –

HELENENS STIMME sehr nahe mit einem Schrei der Verzweiflung.

Weh! Wehe mir!

FAUST außer sich.

Zu Hülfe!

KÄTHE zu Faust, ohne die Stimme gehört zu haben.

Gott, was giebt's?

FAUST wild und hastig.

Hörst du es!

KÄTHE ängstlich.

Nichts! –

FAUST auf den Boden stampfend, in heftiger Angst.

Sie stirbt! Ich will sie sehen!


Die Tiefe des Theaters beleuchtet sich plötzlich, und man sieht in der Entfernung wie einen Schatten Helenens Gestalt vor einem schwarzen Hintergrunde mit fliegendem Haare, und einen Dolch hoch gegen sich erhebend.


KÄTHE schaudernd.

Weh mir – wem rufst du zu?

FAUST zu der Gestalt.

Ha! halte ein![133]

KÄTHE.

Was sprichst du schrecklich – dort zu dem Gerippe?!

FAUST hält Käthen wild den vergifteten Becher entgegen.

Trink mir es zu!

KÄTHE.

Der Wein hat dich erhitzt!

FAUST wüthend.

Trink, sag' ich!

KÄTHE sanft.

Gern, mein Faust!


Sie trinkt.


FAUST hastig und schaudernd.

Halt!

HELENENS STIMME ein lautes tückisches Gelächter anschlagend.

Hahaha!


Die Gestalt im Hintergrunde schlendert den Dolch hoch in die Luft, und verschwindet bei einem Blitzstrahle.

Faust taumelt zurück, und sinkt in sich zusammen.


KÄTHE erschrocken.

Hilf, Gott – der Schädel dort – er lachte grinsend!


Schaudernd.


Was friert mich so?![134]

FAUST richtet sich auf, und fragt mit heimlicher tiefer Stimme.

Hast du vom Wein getrunken?

KÄTHE.

Wie du befahlst!

FAUST.

Nun – wohl bekomm' es dir!!

KÄTHE.

O nicht so wild und schrecklich! – Sei mir hold;

Bin ja dein altes Käthchen noch –!

FAUST.

Schon recht!

Drum gute Nacht! –

KÄTHE.

Es ist noch hoch am Tage!

Die Sonne scheint so wärmend!

FAUST.

Schlafenszeit!


Plötzlich auffahrend.


Und blick mir nicht so freundlich in das Auge! –


Wieder den Ton ändernd, und fast sanft.


Nun schlummre ein – und süß –![135]

KÄTHE mit inniger Liebe.

Das bist du wieder! –

O ja, es ist noch Rettung!

FAUST hastig und wild, es auf sie beziehend.

Nein! Nein! Nein!

KÄTHE mit steigenderem Tone.

Und sollte mein Gebet den Himmel stürmen!

Ein liebend Weib vermag ja heiß zu bitten;

Noch mehr der Unschuld Lallen – – O mein Faust,

Jetzt fühl' ich's erst, wie ich dich glühend liebe.

FAUST tief.

Zu spät!!

KÄTHE.

Der Gnade Vorn ist unerschöpflich!

Drum fasse Muth, wie du dich auch vergarnt;

Ein reiner Engel unterstützt mein Flehen,

Verdoppelt steigt es auf zu seinen Höhen!

FAUST hastig sie zurückdrängend.

Hinweg! –

KÄTHE in einem Anklange wilder Begeisterung.

Ja, müßt' ich selbst mich für dich opfern;

Wenn alles reißt – ich bin dazu bereit![136]

FAUST.

Hinaus!

KÄTHE kühn und gewaltsam.

Stürz mich hinab!!

FAUST wild.

Hinaus ins Weite!

KÄTHE in der höchsten Bewegung.

Ich rette deinem Kinde ja den Vater!

FAUST stürzt zurück, und schaut sie mit einem furchtbaren Blicke an.

KÄTHE.

Denn Mutter bin ich! – Das mein Angebinde!

FAUST ein Moment der Erstarrung, dann bricht er in einen Schrei aus.

Verfluchter!!

KÄTHE.

Faust!

FAUST wie in die Ferne hinhörend.

Zwei! donnert's!

KÄTHE.

Höre mich!

FAUST.

In einer – zwei –! Und Kinderm– –[137]

KÄTHE.

Faust!

FAUST.

Ha, Rache!!


Er stürzt hinaus.


Quelle:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815 [Nachdruck Wildberg 1996], S. 130-138.
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