An Cramer, den Franken

[143] Wunderbar war's, war neu, es geschah, was nie noch geschehn ist!

Ein Riese sank danieder, und starb;

Aber er blieb nicht todt: denn es kam ein Geist, und belebte

Den Todten wieder. Der richtet sich auf,

Steht, und schauet umher mit Feuerblicken. Die Seele,

Nun Schatten, umirret ihn, bebet vor ihm.

Volk ist der Name des Riesen; des Schattens Namen ist König;

Des Geistes Nazionalassamblec.

Aber du bist ja so wild! so sprach der Geist zu dem Riesen,

Dir siedet zu heiss in der Ader das Blut!

Strömt die Galle zu loh! Du musst mir gehorchen. So will es

Die Weisheit, welche nur glücklich uns macht;[144]

Will es die Harmonie, so zwischen dem Geist' und dem Leib' ist,

Und ohne die du zum zweytenmal stirbst!

Ach, und wer wird dann das zweytemal in das Leben

Dich rufen? von neuem Retter dir seyn?

»Geist, gebeut! ich gehorche. Doch lass zuvor mich ein wenig

Der Jugend mich freuen, die du mir gabst.

Wankt' ich nicht siech umher? lag schmachtend und bleich auf dem Strohe,

Und starb? Du hast den Jammer gesehn!

Lass denn ein wenig mich taumeln beym Wollustmahle der Freyheit,

Mich kränzen mein Haar, und schwören beym Schwert!

Doch der verstummende Schatten, der einst mir Seele war, schwebet

So traurig vor mir, und tröstet sich nicht!

Ginge wohl lieber hinab zu Elysiens Schatten, und schöpfte

Aus Lethe's Strome den labenden Trunk.

Sage, was soll ich thun, dass ich des Wünschenden Kummer

Besänftige? mindre des Zagenden Angst?«[145]

Schweben muss er vor dir! so wills die Klugheit. Auch hat er

Noch sonst wo ein grosses, ernstes Geschäft:

Wandelt um Mitternacht in der Könige Schlössern; dann wehklagt's,

Als flösse die blutige Thräne des Volks!

Klingt's mit der Krone, als fiele sie ab! mit dem Zepter, als bräch' er!

(Die horchenden, blassen Höflinge graut!)

Komt stets näher! schliesst den grossen goldenen Saal auf,

Und rüttelt am Thron', ein warnend Gespenst!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 143-146.
Lizenz:
Kategorien: