Zehnter Brief.

An den Herrn von der Hörde, berühmten Banquier in Amsterdam.

[107] Cassell den 26ten November 1769.


Hochgeehrtester Herr!


Die Ursache, warum ich Ihnen mit diesem Briefe beschwerlich falle, ist gleich wichtig für Sie und mich, also entschuldige ich die Freyheit nicht, welche ich mir nehme.

Es ist nemlich, durch einen Zufall, ein Brief, welchen meine älteste Tochter (der, wie Sie wissen werden, Herr und Madam Bovi die Erziehung ihrer Kinder anvertrauet haben) von Ihrem Herrn Sohn aus Hamburg bekommen hat, in meine Hände gefallen. Dieser Brief nun ist in Ausdrücken geschrieben, welche klar genug beweisen, daß[107] beyde junge Leute eine Leidenschaft für einander gefaßt haben, die ihnen, wie ich fürchte, einen Theil ihres Lebens verbittern wird.

Sie wissen, mein Herr! daß unsre Kinder, in meinen glücklichen Tagen, früh mit einander bekannt geworden, und so zusammen aufgewachsen sind. Unsre beyderseitigen Geschäfte haben uns verhindert, genauer auf ihre kleine Schritte Achtung zu geben, und das Zutrauen, welches wir sicher auf sie setzen dürfen, kann uns auch Bürge dafür seyn, daß nur die unschuldigste Liebe diese jungen Leute vereinigt hat. Allein wir haben auch Beyde Ursache, den unglücklichen Folgen dieser heftigen Leidenschaft vorzubeugen.

Unter andern Umständen würde mir eine Verbindung mit Ihrem Hause, durch einen so wackren jungen Menschen, als Ihr Herr Sohn ist, Ehre und Glück seyn – Aber Sie kennen itzt die Lage, darinn ich bin, daß ich[108] nemlich gar kein Vermögen mehr besitze, und darauf werden Sie doch, wenn Sie über kurz oder lang Ihr Kind versorgen wollten, vermuthlich Rücksicht nehmen.

Deswegen nun halte ich es vor Pflicht, Ihnen diese Entdeckung mitzutheilen, damit wir gemeinschaftliche Maaßregeln dagegen nehmen können. An meine Tochter habe ich heute auf eine Art geschrieben, welche ich für die einzige würksame halte, um ihren Verstand gegen die Verirrungen ihres Herzens zu Hülfe zu rufen, ohne das Uebel ärger zu machen.1 Was Sie in Ansehung Ihres Herrn Sohns thun wollen, muß ich Ihrer Klugheit überlassen, und glaube also, nicht nöthig zu haben, Ihnen noch in Erwegung zu bringen, daß diese ganze Sache wohl mit Verschwiegenheit, Sanftmuth, und überhaupt mit nicht gemeiner Vorsichtigkeit wird geführt werden müssen. Das alles werden Sie Sich[109] selbst am besten sagen können, da Sie Ihren Herrn Sohn lieben, und die Lebhaftigkeit seines Temperaments kennen.

Also bedarf ich nichts mehr hinzuzufügen, als die Versicherung der vollkommensten Hochachtung, mit welcher ich zu verharren die Ehre habe,


Ihr

ergebenster Diener,

Heinrich Müller.

Fußnoten

1 Dieser Brief ist nicht hier.


Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 111.
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