Vierzehnter Brief.

Dieser Brief gelange an den Mosje Christoph Birnbaum, in Diensten bey dem jungen gnädigen Herrn, in Göttingen.[174] 1

Urfstädt den 18ten December 1769.


Gott zum Gruß!

Mein allerliebster Mosje Birnbaum!


Ich kann nicht unterlassen an Ihn zu schreiben, und Ihm herzlich zu danken vor das Schreiben, so Er an mich hat gelangen lassen. Ach du lieber Himmel! was wollte ich auch anfangen, wenn Er die Treue thäte brechen, und mich unglückliches Mädgen sitzen[174] lassen. Ich traue fest auf Sein Versprechen, welches Ihm muß bewußt seyn, wie oft Er mir's gethan hat, und dabey geflucht und geschworen. Auch halte ich fest auf meine Ehre, und bin nicht wie wohl Andre sind, als die Haushälterinn auf dem Amte, die neue, mit der großen Haube. Das weiß doch jedermann, in welchen Lüsten die mit dem Informator lebt, mit dem Mosje Kranz. Aber ich denke immer, was geschrieben steht: Ich verachte das, was hinter mir ist, und strecke mich nach dem, was fornen ist, denn mit solchen gottlosen Leuten hat es doch niemals ein gutes Ende, wie man auch gesehen hat an dem Sohn von dem Herrn Reitmeier, der die Liesebeth hat sitzen lassen, und nun soll er in die weite Welt nach Frankfurt und Paris gegangen seyn, und sich zu den Freymaurern halten.

Da ist denn auch in der Stadt ein Pärchen angekommen. Er schreibt sich Herr Becker, und die er bey sich hat, ist ein hübsches[175] Mensch, aber ich glaube nimmermehr, daß es seine Frau ist. Sie soll auch immer weinen, wenn sie allein ist, und hat doch gewiß schöne Kleider und Sachen.

Nun! was ich noch sagen wollte, mein herzallerliebster Schatz! denn das Schreiben wird mir etwas sauer, behalte Er mich lieb, und hüte Er sich vor bösen Wegen. Wenn Er nur erst wieder hierher kömmt! Das sollte ein Leben werden, die ich allstets bin


Seine

bis in den Tod getreue

Anna Sievers.

Fußnoten

1 Man hat mit Vorsatz die fehlerhafte Schreibart, darinn dieser Brief geschrieben war, nicht beybehalten.


Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 177.
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