Ein und zwanzigster Brief.

An den Herrn Commerzienrath Müller, in Urfstädt.

[254] Amsterdam den 1ten Merz 1770.


In der größten Angst und Unruhe meines Herzens schreibe ich Dir, mein lieber Mann, um Dir eine traurige Nachricht von unserer ungecathenen Tochter zu geben. –

Sie ist fort, mit ihrem Bösewicht von Verführer auf und davon gegangen, und macht mir in meinem Unglücke noch das Herzeleid, daß ich mich vor jedermann schämen muß, ein solches liederliches Geschöpf auf die Welt gesetzt zu haben –

Aber nun siehst Du, was Deine Nachsicht und Gelindigkeit für Früchte bringt. Als ich[254] merkte, daß die guten Worte und Deine Briefe bey ihr nicht helfen wollten, und der alte Hörde (der stolze, schlechte Kerl!) mir einmal über das andre sagen ließ: »sein Sohn sey wie toll nach dem Mädgen, ich sollte machen, daß sie von ihm abliesse,« da ließ ich Sophien kommen, und redete ihr hart zu. Nun gab es ein Gewinsele und Geheule: »Ja, sie könne nicht dafür, sie sey selbst unglücklich genug dadurch« u.s.f. »Nun, wenn du nicht dafür kannst, verliebte Närrin!« sagte ich, »so schreibe mir gleich hier auf der Stelle an den Kerl, daß er sich nicht unterstehen solle, dir wieder mit seinen Briefen vor die Augen zu kommen, damit deine Eltern nicht ferner um deinetwillen sich müssen beschimpfen lassen.« Stelle Dir vor! das Mädgen wollte den Brief nicht schreiben. »Das wäre zu hart,« sagte sie. Darauf lief ich denn zu Madam Bovi, und sagte ihr von allem Bescheid. Nun scheint es haben sie dem Mädgen scharf zugesetzt, und sie mag wohl an den Taugenichts geschrieben,[255] und sich beklagt haben – Da kömmt der Pursche vor einigen Tagen hierher, wirft sich dem Vater zu Füßen, wie ein Commödiant, droht endlich gar fortzugehen, als sich der Alte nicht will erweichen lassen, und gestern Nachmittag bittet Sophie Madam Bovi um Erlaubniß, zu mir zu gehen. Statt dessen aber packt sie sich mit ihrem Kerl in ein Schiff, und geht fort, wie Du aus beyliegendem Briefe1 sehen wirst, den sie zurückgelassen hat.

Nun sitze ich da, und muß mich in der Seele schämen vor allen Menschen – Ich bitte Dich um Gotteswillen, mein lieber Mann! rathe mir, sage nur, was wir thun sollen. Ich bin ganz von Sinnen, und warte mit Schmerzen auf Deine Antwort.


Christine Müller.

Fußnoten

1 Dieser findet sich nicht.


Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 257.
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