Zwei und zwanzigster Brief.

An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt.

[257] Göttingen den 3ten Merz 1770.


Ich kann Ihnen, mein gnädiger Herr! nicht lebhaft genug die Empfindungen der Dankbarkeit ausdrücken, die Ihr gütiges Zutrauen, bey Lesung der so offenherzigen Erzählung Ihrer Lebensumstände, in mir erregt hat. Wenn ein Mann, wie Sie sind, der in so manchem Betracht das beste Schicksal verdient, so viel hat leiden müssen, wie darf denn ich mich beklagen? Ruhe, Freude, Glück und Gesundheit mache indessen den langen Rest Ihres wohlthätigen Lebens sanft und heiter, und dann müsse die Erinnerung überstandener Leiden Ihnen wie ein verscheuchter Traum vorkommen – Olim meminisse iuuabit –[257] Wir haben uns, Ihrem Befehle zu gehorchen, bey der hiesigen Freymaurer-Loge gemeldet, und man hat uns baldige Antwort versprochen.

Ich versichre Sie, daß ich immer eine hohe Meinung von dieser Gesellschaft gehabt habe, und daß die Meinung weder durch die Menge der unnützen Schriften, noch durch die schlechte Wahl ihrer Mitglieder, noch durch die unedlen Spaltungen unter ihnen, woran man freylich wenigstens das Publicum nicht sollte Theil nehmen lassen, weil eine solche Verfolgung doch unter Brüdern (und das sind ja alle Maurer) unanständig ist, daß, sage ich, meine gute Meinung von dem Inneren des Ordens dennoch dadurch nicht ist geschwächt worden. Die darüber geschriebenen Bücher sehe ich nemlich als das Werk junger, forschender Anfänger, oder lügenhafter Betrüger an, die gern mit Kenntnissen prangen mögten, die sie nicht haben. Ein kluger Freymaurer sollte, denke ich, nie über[258] den Orden schreiben. Die Werke und Würkungen desselben müßten sich im Stillen, ohne Worte, ohne Posaune, ausbreiten. Zudem ist wohl die Erkenntniß und der Besitz der größten maurerischen Schätze nur in den Händen einiger Wenigen. Diese können vermuthlich Menschen aller Art zu verschiedenen Triebfedern in der großen Maschine brauchen. Sie lassen wahrscheinlicherweise die Sekten sich untereinander über Dinge zanken, die gar nicht wesentlich sind, so wie man den Kindern den schlechten Hausrath in den Vorhof hinausreicht, und sie damit spielen läßt, weil sie das Gute, womit sie nicht umzugehen wissen, nur verderben würden. Indeß nun diese Unwissenden auf ihre höheren Grade sich viel zu gut thun, Grade, die kaum einen Schatten von versteckter Wahrheit enthalten mögen; so leben vielleicht die weisen, unbekannten Obern unbemerkt, nicht einmal unter dem Nahmen von Maurern versteckt, in stiller Ruhe, und sehen in dem großen Spiegel, wie weit das Werk[259] vorrückt, und warum es in diesem oder jenem Zeitalter nicht weiter hat fortrücken können –

Das sind Gedanken eines Layen. Urtheilen Sie aber nun, bester Herr, ob ich gern den Schritt thue, zu welchem Sie mir die Mittel erleichtert haben!

Ostern rückt heran, und da Sie, theuerster Wohlthäter! uns erlaubt haben, in jeden Ferien eine kleine Reise zu machen; so werden wir diesmal das Eichsfeld besuchen. Man hat uns auf einige Merkwürdigkeiten, die wir daselbst sehen würden, neugierig gemacht.

Eine Geschichte, die man uns erzählte, hat uns auch vorzüglich interessirt. Es soll nemlich in einem Kloster auf dem Eichsfelde ein armer Mönch schon seit mehr als zehn Jahren gefangen sitzen, dessen Verbrechen niemand weiß, der aber ausserordentliche Talente[260] haben soll, aber so enge eingesperrt ist, daß alle Mühe, ihn zu sprechen, vergebens seyn würde. Er sitzt in einem hohen Thurm, und hat schon oft Fremden Zeichen gegeben, als wenn er ihr Mitleid und ihre Hülfe anrufen wollte.

Den Herrn von Hohenau hat diese Erzählung so in Bewegung gesetzt, daß ich ihm anmerke, wie sehr ihn der Gedanke beschäftigt, diesen Unglücklichen, wenn es möglich wäre, zu erretten.

Ich habe dabey aber eine Bemerkung über unsern jungen Mann gemacht. Es kömmt mir nemlich vor, als wenn er seit unserer letzten Reise viel heftiger, empfindsamer, leichter zu erschüttern, und zu großen Handlungen und Ritterdiensten aufgelegter geworden ist. Er hat nicht mehr die immer gleiche unbefangene gute Laune, die den inneren Frieden verkündigt. Kurz! ich glaube, daß er verliebt ist, und das Fräulein von Hundefeld[261] wird wohl der glückliche Gegenstand seyn. Ist es gut, oder schlimm, daß dies neue Ressort bey ihm in Bewegung gekommen ist? Darüber darf ich mir unterthänig Ihre Meinung und zugleich Verhaltungsbefehle ausbitten, wie ich mich dabey aufführen soll. Ich wollte nicht gern für mich allein etwas versäumen.

Wir erwarten den Herrn von Weckel auf seiner Rückreise; doch will ich diesen Brief nicht bis zu seiner Ankunft liegen lassen, sondern ihn mit der Post fortschicken.

Ich habe nichts hinzuzufügen, als daß ich ehrerbiethigst verharre,


Meines theuren Herrn

gehorsamst ergebener Diener,

Meyer.[262]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 257-263.
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