Drey und zwanzigster Brief.

An den Herrn Meyer.

[263] Urfstädt den 20ten Merz 1770.


Wenn Carl verliebt ist; so ist das ein Schicksal, welches ihn doch, früh oder spät, müßte betroffen haben – Ich würde meine Hand von ihm abziehen, wenn er nie verliebt werden könnte – Hoffentlich wird Ihnen das auch die Mühe bey der Bildung seines weichen Herzens sehr erleichtern; das Bild eines tugendhaften Mädgens wird über seine Unschuld wachen; die edelste der Leidenschaften wird seine Seele allen sanften Eindrücken öfnen – Und für die Folgen seyen Sie unbesorgt! Dafür wird der Himmel sorgen, der nie, ohne unsere eigene Schuld, durch gute Gefühle unser Unglück bauet –[263] Ich antworte Ihnen nichts auf den Punct der Freymaurerey. Sehen Sie selbst zu, ob Ihre vorgefaßten Begriffe etwa, nach Ihrer Aufnahme, auf das passen, was Sie werden erfahren haben.

Aber nun von einer mir äusserst am Herzen liegenden Sache! Ihre Erzählung von dem Mönch hat bey mir die Erinnerung erneuert, daß ich Ihnen noch die Geschichte von Hohenaus Vater schuldig bin – Mögte meine Ahndung eintreffen! – Hören Sie nur!

Als Carls Vater Officier in ... war, wurde er in dem Hause eines Edelmanns bekannt, der eine schöne Tochter hatte, welche aber, aus eigennützigen Bewegungsgründen der Familie, für das Kloster-Leben bestimmt wurde. Hohenau liebte das Mädgen, und sie ihn, allein, da er keinen Reichthum zu ihrer Eltern Füße legen konnte; so war alle seine Mühe, ihre Einkleidung zu hintertreiben, vergebens. Sie weyhete also ihrem Gott[264] ein Herz voll irdischer Liebe, und alle Religions-Uebungen waren kraftlos, diese unglückliche Leidenschaft auszulöschen.

Endlich, nachdem sie lange geheime Zusammenkünfte mit meinem Freunde unterhalten hatte, wurden sie einig, miteinander zu entfliehen. Er entführte sie aus dem Kloster, ließ sich mit ihr trauen, nahm seinen Abschied, und lebte unerkannt, klein und eingezogen, aber in häuslichem Frieden glücklich, in einer Bauerhütte mit ihr – Ich allein wußte den Ort seines Aufenthalts –

Nach Jahres Frist brachte sie meinen Carl zur Welt, aber seine Geburth kostete sie das Leben – Wir vertraueten darauf den lieben Knaben einer ehrlichen Frau in Urfstädt an, und ich bewog meinen armen Freund, mit mir auf Reisen zu gehen, wie ich Ihnen erzählt habe.

Hohenau glaubte itzt vor jeder Nachstellung der Geistlichkeit sicher zu seyn, indeß[265] diese alle seine Schritte genau beobachten ließ. Als wir nun den 22ten Februar 1744 nahe bey Florenz, des Abends durch ein Wäldgen fuhren, wurde unsre Kutsche von einem Haufen vermummter Männer, die wir für Banditen hielten, angegriffen. Wir wehrten uns, so viel wir konnten – Ich schoß nach Einem, der auch hinstürzte – Endlich aber wurden wir übermannt; die Leute banden mir, meinem Bedienten und dem Kutscher Hände und Füsse, nahmen uns nichts, rissen aber meinen Freund mit Gewalt fort, hefteten ihn auf ein Pferd, und jagten mit ihm davon, nachdem sie vier theils Todte, theils Verwundete (unter den Todten war auch mein anderer Bedienter) auf die Seite geschafft, und mir einen Brief in die Tasche gesteckt hatten –

So lag ich denn wehrlos, die ganze Nacht durch, bis gegen Morgen andre Reisende mich in dem Zustande antrafen, und mich nebst meinen Gefährten befreyeten. Darauf erbrach ich den Brief, und fand ohngefehr folgenden Inhalt:
[266]

»Mein Herr!


Ihr Freund hat in Deutschland ein Kind der Kirche geraubt und verführt. Um dies Verbrechen zu bestrafen, hat man ihn aufgesucht, und endlich entdeckt, daß er mit Ihnen in diesen Ländern reiset. Itzt ist er in der Gewalt seiner Rächer, und Sie werden ihn nie wiedersehen. Wenn Sie nun, wie man das von Ihrer Klugheit erwarten kann, ruhig sind und schweigen; so dürfen Sie für Ihre Person fernerhin unbesorgt seyn. Reisen Sie glücklich, und hüten sich künftig vor der Gemeinschaft mit Menschen, auf welchen der Fluch der Kirche ruht!«

Sie können Sich leicht vorstellen, wie sehr dieser Brief mich erschreckte, doch hielt er mich nicht ab, ins Geheim die mühsamsten Nachforschungen anzustellen – Alles war aber vergebens, nur erfuhr ich durch einen gewissen Gesandten, daß man meinen Freund nach Deutschland geführt habe. Allein auch hier spürte ich umsonst, und bekam keine nähere[267] Nachricht, ausser daß man wahrscheinlich vermuthete, er sey nach Maynz abgeliefert worden.

Vor ohngefehr sechs Jahren bekam ich wiederum einen Brief von unbekannter Hand, darinn schrieb man mir: »Man hat Ihren Freund, mit dem Sie einst in Italien gereiset sind, während seiner zwanzigjährigen Gefangenschaft, sehr viel gelinder behandelt, als er, vermöge seines Verbrechens, verdient hätte. Seine wiederholten Versuche aber, der heiligen Gerechtigkeit zu entwischen, haben uns endlich gezwungen, ihn in engere Verwahrung zu bringen. Man warnet Sie nochmals, weil einiger Verdacht da ist, daß Sie mit demselben einen geheimen Briefwechsel unterhalten haben, Sie mögen ja überlegen, was Sie thun. Es kann Sie Ihre Sicherheit, und Ihren Freund das Leben kosten« – Dieser Brief kam auch aus der Gegend von Maynz –[268] Nun urtheilen Sie selbst, ob die Geschichte eines gefangenen Mönchs (es ist doch nicht gewiß, daß er gerade ein Mönch ist), der in einem, unter maynzischer Hoheit stehenden Kloster sitzt, nicht einen Schatten von Hofnung, daß ich Hohenaus unglücklichen Aufenthalt entdeckt hätte, in mir rege machen muß – Gott! wenn er es wäre! – Wie wäre aber dann das Ding anzufangen? – Doch, ich will nicht vor der Zeit mich mit Planen täuschen – Wenden Sie nur alles an, mein Lieber! Um genauer von den Umständen unterrichtet zu werden – Aber freylich mit Vorsichtigkeit – Und nicht Ein Wort von der Sache gegen meinen Carl! das versteht sich.


Leben Sie wohl, mein Freund! Ich bin ewig

der Ihrige,

Leidthal.


Ende des ersten Theils.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 263-269.
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