Vierter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt.

[61] Cassell den 11ten October 1769.


Ich erstaune, verehrungswürdigster Gönner! über des Herrn von Hohenau allgewaltige Beredsamkeit, wünschte aber herzlich, er hätte seine Abhandlung etwas mehr in die Kürze gezogen, damit ich nicht hier so klein, wie ein Magister, schreiben müßte, um nicht noch einen Bogen anzulegen.

Im Grunde gefällt mir indessen, was er gesagt hat, recht gut, obgleich ich dem jungen Herrn das nicht merken lassen darf, denn wozu wäre ich denn sein Hofmeister, wenn ich nicht an allem etwas zu tadeln fände, was er nur unternimt?[61]

Diesen Nachmittag reisen wir zurück nach Göttingen. Wie uns aber die ernsthaften Collegia schmecken werden, nachdem wir uns hier so sehr an den schönen Künsten gelabt haben, das ist eine andre Frage.

Unser junger Held ist ganz von Cassell eingenommen. Nun! ganz Unrecht hat er auch wohl nicht, obgleich seine Sinne leichter bezaubert werden, als die meinigen.

Bekanntschaften haben wir hier wenig gemacht. Während eines so kurzen Aufenthalts sich bey Gelehrten aufzudringen, dabey kömmt nicht viel mehr heraus, als daß man ihnen ein Paar kostbare Stunden stiehlt; unter den Officiers hingegen haben wir sehr feine, sitsame, wackre und bescheidene Leute angetroffen, wovon wir wohl Einige, wenn wir öfterer hierher kommen, näher kennen zu lernen suchen werden.

Die Bibliothek hat wenig sehr Merkwürdiges. Der Landgraf hat aber eine schöne[62] Privat-Büchersammlung, die er nicht blos hingestellt hat, sondern auch liest, welches ihm wohl mehr Ehre macht, als wenn er jährlich für eine große Summe einige Ellen Bücher zu der öffentlichen Bibliothek kaufen liesse, damit, an gewissen Tagen, die Fremden die schönen Bände angaffen könnten.

Was der Herr von Hohenau von dem hier herrschenden französischen Tone schreibt, ist sehr wahr. Mich hat das aber nicht gefreuet. Ueberhaupt ist es ein großes Elend, daß itzt der Deutsche sich wenig um einen eigenthümlichen, festen Character bekümmert. An einem Orte, wo etwa eine englische Prinzessinn ist, muß alles geengländert seyn, und drey Meilen von da findet man wieder ein kleines Volk von Halbfranzosen. Wenn werden wir einmal anfangen einen eigenen Weg zu gehen? Die allgemein in Deutschland nachgeamte feine politische und galante französische Lebensart, der Ton von falschen Artigkeiten und von verbindlichen Dingen, welche[63] man sich vom Morgen bis zum Abend herplappert, macht uns zu elenden Puppen, und verdrängt alles Gefühl von Eigenheit aus unsren zusammengeflickten Conventions-Charactern. Ein Mann, der feinen Weltton hat, muß gerade eben so seyn und handeln, als ein anderer von der Art. Wer daher viel in der großen Welt lebt, wird beynahe immer schon voraus sagen können, was Dieser oder Jener auf dies oder das antworten wird. Und die feinen Züge des Gesichts, in denen sich das Bild der Seele und die kleinen unmerklichen Ebben und Fluthen der Leidenschaften, welche dem Umgange ein so herrliches Interesse geben, abdrücken, das sanfte Lächeln, die zärtliche Unruhe, die Sehnsucht, die edle Schamröthe, und der Abdruck von tausend andern seligen Empfindungen, überkleistern unsre Damen mit einer rothen Farbe, die ihnen das Ansehn einer am hitzigen Fieber leidenden Person giebt – Doch was hilfts, darüber zu reden? allein das alles ist eine höchst jämmerliche Barbarey.[64]

Man hatte mir gesagt, daß man in Cassell sehr frey über Religion denke. Das kann wahr seyn; was mich aber gefreuet hat, ist gewesen, daß man wenigstens nicht frey darüber redet. Der Mann, welcher öffentlich über Dinge spottet, worauf andre Menschen ihre Ruhe bauen, ist ein schlechter Kerl, wäre er auch der Erste im Staate. Ueberhaupt, denke ich, soll man über Religion nie, weder im Guten noch Bösen, in Gesellschaften reden. Zu einer flüchtigen Unterredung ist das keine Materie; überlasse man doch einem Jeden, für sich in der Stille, an der Ruhe seiner Seele zu arbeiten!

Der arme Müller weiß noch nicht recht, wie er das Ding hier angreifen soll. Könnten Sie, mein theuerster Wohlthäter! nicht etwas für ihn thun? Mein junger Freund wollte Sie schon darum bitten, aber er hat den Muth dazu nicht. Er sagt, man müsse nicht immer auf Ihre Wohlthätigkeit losstürmen. Doch, kenne ich Sie denn nicht,[65] verehrungswürdiger Herr? Wie sollte ich mich scheuen, Ihnen eine Aussicht zu zeigen, den Würkungskreis Ihrer großmüthigen Seele zu erweitern?

Mein Papier geht zu Ende, in ein Paar Stunden wollen wir fort, und gegen Abend sind wir in Göttingen, denn die Wege sind ziemlich, und werden bald vortreflich werden. Auch durch Hessen wird, wie ich höre, der Landgraf, der so viel für das gemeine Beste thut, alle Landstraßen bauen lassen, welches sehr nöthig seyn mag.

Habe ich doch kaum noch so viel Platz, den Nahmen zu schreiben,


Ihres

unterthänig treuen Dieners,

Meyer.
[66]

N.S.


Ich habe würklich schon angefangen, einige Hauptscenen aus meinem Leben aufzuzeichnen. Wenn das Ganze fertig ist, werde ich so frey seyn, es Ihnen zu schicken. – Aber Toleranz! Toleranz![67]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 61-68.
Lizenz:
Kategorien: