Fünfter Brief.

An die ehr- und tugendsame Jungfer, Anna Maria Sievers, Haushälterinn in Diensten von Ihro Gnaden, den Herrn Baron von Leidthal, in Urfstädt.

[68] Göttingen den 20ten October 1769.


Meine hertzlich liebe und werthe Jungfer!


In der Hofnung, daß diese wenigen Sie werden in guten Gesundheits-Umständen antreffen, kann ich nicht unterlassen, an Sie zu schreiben, wie ich versprochen habe, wiewohl dieses spät, welches zu excusiren bitte, Ursach dessen, weil wir in Cassell gewest seyn.

Ach! meine liebe Jungfer! was ist das vor eine charmante Stadt, und für ein excellent Leben in dem Cassell! Und alles ist so[68] lustig da. Was müssen die Herrn nicht alle vor Geld haben! Auch seyn sehr artige und freundliche Frauenspersonen da, und wenn einer des Abends spazieren geht; so sieht man Damens, die so hübsch angezogen seyn, als die Frau Pfarren in Urfstädt, und noch hübscher, die einen doch grüßen, und gar nicht stolz seyn, aber das habe ich nun erfahren, daß eine gar böse conduite gefunden werden soll in dem Cassell, doch ist keine so hübsch, als meine liebe Herzens-Jungfer Sievers.


Und wann mir auch mein Herze bricht,

Vergeße ich doch Ihrer, meine allerliebste Jungfer Sievers! nicht.


Ich habe auch ein Paar Kummedien gesehen, aber das hat mir, die Wahrheit zu sagen, nicht gefallen wollen. Da war Eine, die sollte ganz unschuldig thun, und liebäugelte doch immer nach einem Officier, von den großen schönen Ofciers, die der Herr Landgraf sich hält. Was sie sagten, das verstand ich eigentlich nicht, obgleich ich ein bisgen[69] französch kann. Sie plappern das gar zu geschwind weg, weil sie es auswendig wissen, und gern bald fertig seyn wollen. Aber alle Augenblick fieng einer mitten im Sprechen an zu singen, das konnte ich auch nicht begreifen warum.

Göttingen ist gar nicht schön, aber die Herrn Pursche seyn doch sehr lustig. Spazieren gehen kann man gar nicht, denn es ist hier kein Garten. Wenn mein Herr sich im Sommer wird wollen eine Verlustirung machen; so wird er müssen ausreiten auf ein Dorf, und da ist auch kein gut plaisir. Die Herrn Professors sollen nicht sehr lustig in Gesellschaft seyn, und haben alte Frauen. Es ist gewaltig theuer hier, und die Juden wird man gar nicht los. Sie betrügen die Herrn Studenten gar abscheulig, aber das darf jedermann hier thun, besonders der eine Gumprecht das ist ein rechter Schelm. Mein Herr und Herr Meyer die gehen nicht viel aus, ausser in die Collegi, und dann, so[70] wohnt in unserm Hause ein junger Herr von Hundefeld, mit dem gehen sie viel um, und sein Bedienter, der Musjö Haber, der ist mein sehr guter Freund.

Adje, meine herzliebe Jungfer! Ich schreibe heute keinen weitläuftigen Brief, weil ich meines Herrn seine neue Stiefel in Glänz-Wachs setzen muß; so kann ich Ihr heute keinen längeren zufügen.


Doch verbleibe ich stets im Herzen,

Im Glück und Unglück, Noth und Schmerzen,


Meiner allerliebsten Jungfer Sievers


Ihr treu ergebenster Freund

Christoph Birnbaum.[71]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 68-72.
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