Siebzehnter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt.

[163] Wetzlar den 10ten August 1770.


Mögte ich so glücklich seyn können, Ihnen, gnädiger bester Herr! gute Nachrichten von meinen Ausrichtungen beym Reichscammergerichte zu geben. Allem beyliegender zweyter Aufsatz Ihres Sachwalters1 wird Ihnen leider! das Gegentheil sagen.

Des Herrn von Wallitz Anwalt treibt die Sache aufs heftigste. Er hat Mittel gefunden, sich sehr kräftiger Vorsprache zu versichern, und allem Ansehn nach wird der Handel nicht nur bald geendigt, sondern – mit innigster Betrübniß sage ich es: vermuthlich zu Ihrem Nachtheile geendigt seyn.[163]

Doch sind noch zwey Wege der Sache einen andern Ausschlag zu geben, davon der eine in der beykommenden Schrift angezeigt ist, und der andre auf einen Vergleich beruht, zu dem Sie bald möglichst alle Hände biethen müssen, wenn nur mit Ihrem harten, rauhen Gegner irgend etwas ausgerichtet werden kann.

Wie sehr diese Angelegenheit Tag und Nacht mein Herz bestürmt, vermag ich nicht Ihnen zu sagen. Es ist aber die Bestimmung des Menschen, daß in dieser Welt Glück und Recht so selten auf die Seite der Jugend und Rechtschaffenheit fallen, und daß gewöhnlich der Mann, der des besten Schicksals würdig wäre, die Vergeltung der Wohlthaten, die er Andern erwiesen hat, nur in sich selbst, in der Belohnung seines Gewissens suchen, und erst den ferneren Preis durch manchen Kampf mit der wiederstrebenden, verfolgenden Bosheit erringen muß.[164]

In meine häusliche Geschäfte blickt ein Strahl von Hofnung. Ein geschlossener Brief eines Freundes2 benachrichtigt mich von der Aussöhnung mit dem alten von der Hörde, welche mein lieber Graf Haxstädt zu Stande gebracht hat. Ich habe sogleich an meine Tochter geschrieben, daß sie mit ihrem Manne zurück nach Amsterdam reisen soll – so wäre denn ein großer Kummer von meinem Herzen abgewälzt. Allein ich bin so sehr an die Vergänglichkeit der Freuden dieser Welt gewöhnt, daß ich bey jedem kleinen Sonnenblicke einen nahen Sturm voraus fürchte, und dieser Sturm wäre würklich schon da, wenn mein theurer Wohlthäter itzt ein Schicksal leiden sollte, das mich, wie mein eigenes, zu Boden schlagen würde.

Mein Sohn Ludwig ist Schauspieler – Freude macht mir der Schritt nicht. Zwar bin ich von Vorurtheilen gegen diesen Stand, welcher der bürgerlichen Gesellschaft immer[165] sehr nutzbar seyn könnte, gänzlich frey. Aber doch, so wie die mehrsten Schauspieler itzt sind, und umgeben von Leuten, die nur diesen Stand ergreifen, weil sie sich keiner Zucht noch Ordnung, welche ihnen andre Lebensarten vorschreiben, unterwerfen wollen – gezwungen täglich in fremdem Character aufzutreten – wer wird dabey nicht nach und nach an Gepräge verlieren, wenn er nicht Zeit hat an sein eigenes Ich zu denken? Wenn es wahr ist, daß man durch habitude zum bessern Menschen werden kann; so hat man gewiß Unrecht, wenn man sich zu vertrauet mit Grundsätzen macht, die der Tugend entgegen sind. Zuletzt verliehrt man den Abscheu gegen das Laster, weil man zu bekannt damit geworden ist, so wie diejenigen Leute, die beständig nahe an einem rauschenden Wasserfalle wohnen, zuletzt gar nichts mehr hören. Schon das Lesen der Schauspiele und Romanen kann bey noch nicht ganz gebildeten Menschen die schädlichsten Folgen haben, zumal wenn darinn der[166] Bösewicht wie es denn gewöhnlich in der Welt und in solchen Büchern der Fall ist, eine sehr interessante Seite hat. Ich erinnere mich sehr gut, daß wie ich zum erstenmal Richardsons Clarisse gelesen habe, der feine allerliebste Betrüger Lovelace mir ausnehmend gefallen hat, und daß ich ihm in der ersten Empfindung alle Ränke verziehen habe. Bey einem Schauspieler ist diese Gefahr sehr viel größer. Wie kann derjenige Zeit haben, Fertigkeit in der Tugend zu erwerben, der das ganze Jahr hindurch einen Böse wicht, Wollüstling, Windbeutel, oder dergleichen vorstellen, und wenn er seine Rolle gut spielen will, sich dieselbe ganz zu eigen machen muß?

Unterdessen mag Ludwig, der doch gute Grundsätze hat, sein Glück eine kurze Zeit da versuchen. Vielleicht setzt mich die Versorgung meiner beyden ältesten Kinder bald in den Stand besser zu rathen.[167]

Ich küsse Ihnen die Hände, bester Herr! Wenn ich im Stande bin, etwas Nützliches in Ihren Geschäften auszurichten; so zweifeln Sie nicht an meinem Eifer. Ich erwarte Ihre Befehle, und bin bis in den Tod


Ihr

treu ergebenster Diener

H. Müller.

Fußnoten

1 Auch dieser ist nicht beygefügt.


2 Der folgende.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 169.
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