Zwanzigster Brief.

An den Herrn von Hohenau in Göttingen.

[179] ... den 19ten August 1770.


Wir kommen eben von Urfstädt, mein lieber Freund! wo wir der glänzenden Hochzeit der ehr- und tugendsamen Jungfer Sievers beygewohnt haben. Der Baron Leidthal, der nun einmal weiß, daß ich ein Mensch bin der bey dergleichen Festen zu gebrauchen ist, ließ uns, meinem ehrlichen Oncle und mich, vor einigen Tage dazu einladen.

Wir kamen des Sonntags früh an, und fanden den guten Leidthal schwächlich aussehend – Sagen Sie mir, was fehlt dem lieben Manne? Die Tage hindurch, da wir bey ihm waren, kam er mir äusserst niedergeschlagen[179] vor, da ich doch sonst eine immer gleiche Gemüthsruhe an ihm gewöhnt bin.

Wir giengen Alle in die Kirche, und hörten von Ihrem redlichen, guten Pfarrer eine wahrhafte Herzenspredigt – Das ist ein Mann, wie ich ihn gern habe – Da war keine künstliche Beredsamkeit, voll Blumen und poetischer Bilder, wie sie meine Phantasie zu Hause mir besser erfinden würde; Da war keine gelehrte dogmatische Abhandlung, aus den Werken sophistischer Dummköpfe zusammen geschmiert, wel che die heilige Religion, die ganz für das Herz gemacht ist, auf kalte Vernunftschlüsse zurückführen, und mir in verwickelten Beweisen darthun wollen, was ich als Knabe schon fühlte, wenn ich mich der schönen Welt freuete, die ganz von Ihm voll ist, dessen Liebe alle Creatur umfaßt; Da war kein Informator-Ton, kein Schreyen über Verderbniß der Welt, die immer, so wie sie itzt gewesen ist, bleiben wird; Kein Schimpfen auf Laster, die nur[180] durch Sanftmuth, Geduld und Beyspiel gemindert werden – Nein! es war eine einfache, sanfte, gefühlvolle, ungekünstelte Beredsamkeit des Herzens, voll Liebe und Wärme, ohne Declamation, Ereiferung, Prahlerey und Uebermuth – Ich hätte den Mann an meine Brust drücken mögen, der ganz in dem Geiste der Apostel die Lehre verkündigte, die nicht Menschen gegen Menschen erbittert noch empört, sondern die Guten näher an einander kettet, daß sie sehen und fühlen, wie freundlich der Herr ist, der seine Sonne aufgehn läßt über Böse und Gute –

Wir speiseten des Mittags in großer Gesellschaft bey Ihrem Pflegevater – Der Henker weiß, wo er alle die Amtmänner, Stadtphystci und Commißionsräthe aufgetrieben hatte! Es war ein ganzes Magazin von Perücken in allerley Formen, wie sie nach und nach in Frankreich Mode geworden waren, von des Ministers Colbert Knotenperücke an,[181] bis auf eine Atzel von Eisendrat, wie sie etwa ein Commis der Régie trägt.

Ich saß zwischen einer wohl gemästeten Commißionsräthinn und einer kleinen zusammengeschrumpften Doctors-Frau, mit einer niedrigen, schwarzen, wollenen Haartour. Die Eine redete immer vom Wetter, und die Andre fragte mich, ob ich die Anatomie in Königsberg gesehn hätte? Des Herrn Commißionsrath Sohn, der Fähndrich, war auch mitgekommen – ein ungeschickter Lümmel der, wie es schien, den Werth eines Officiers darinn setzte, unverschämt, unwissend, und vorwitzig zu seyn, und alle übrigen Stände für klein zu halten. Von zwey bessern Gästen verspare ich mir das Vergnügen, nachhero zu reden.

Nach Tische überraschte uns auf eine angenehme Art der allerliebste Cammerjunker von Morgenschütz. Er trat mit seiner gewöhnlichen Selbstgenügsamkeit herein; sprach[182] ein Wort um das andre französisch und deutsch; bath uns Alle, zu thun, als wenn er nicht zugegen wäre; begegnete niemand mit einiger Achtung als den Wirth vom Hause; sprach beständig von wichtigen Dingen, die keinen von uns intereßierten; wußte unerhört viel Annecdoten von Personen, die wir nicht kannten – »Dies hatte ihm der Fürst gesagt, jenes der Minister en confiance vertrauet – Gestern als er mit der Fürstinn allein in dem Schloßgarten spatzieren gieng, begegnete ihm der – Ueber ein gewisses Projèt dürfe er sich noch nicht erklären – Der Canzler sey ein frommer Mann, voll Préjugés, wie ein Dorfprediger – In Berlin sey jetzt eine herumziehende Bande, un spećtacle allemand, c'est tout dire – Mit dieser Sache würde es gewiß gut gegangen seyn, wenn der Fürst seinen Rath befolgt hätte – Er leiste gewiß keinem Menschen des mauvais offices« – Doch wir wollen den Narren laufen lassen – Und Sie kennen ja alle diese Originale –[183] Um vier Uhr gieng denn die Cäremonie vor sich. Die Jungfer Braut hatte einen gelben damastenen Schlenter von der seligen Baronesse von Leidthal an, und dabey rosenfarbene Bandschleifen. Der Perückenmacher Haberkorn, der die ganze Nachbarschaft mit seinen Kunstwerken versieht, hatte sie, in halb Menschen- halb Pferdehaaren aufgesetzt, und wacker eingepudert. Christoph Birnbaum war von seinem guten Herrn mit einem Scharlachkleide nebst grüner Weste beschenkt worden. Auf dem Rocke war der Platz, wo die Cammerherrnknöpfe und der Stern gesessen hatten, noch deutlich zu sehn.

Nach der Trauung, während welcher die theure Braut, wie ein Schloßhund, heulte, versammlete sich in des Verwalters Wohnung die ganze Gesellschaft, und eine artige Collation erwartete sie daselbst. Unter den hohen Anwesenden waren Schreiber, Schulmeister mit ihren Weibern, und andre; Lauter artige Leute, welche zuletzt recht laut und fröhlich[184] wurden. Wir giengen ab und zu, und mischten uns von Zeit zu Zeit unter sie.

Ich bemerkte gern, wie das junge Paar sich mit derjenigen Würde zu betragen wußte, die ihm seine Standeserhöhung und des Herrn Barons Schutz einflößte. Der Schulmeister aus Urfstädt machte allerley lustige Schwänke, zu Ehren der Jungfer Braut, unter andern schnitt er aus einer Pflaume ein Wickelkindchen. Auch trank er allerley witzige Gesundheiten, als: »Was den Muth stärkt, und zum Herzen geht« »Ueber ein Jahr um diese Zeit« »Auf eine unruhige Nacht« u. d gl. Ferner hatte er den geschlungenen Namen von Braut und Bräutigam mit Kohlen auf seine Hand gemalt, und drückte das seinem Vetter, dem Cammerscribenten, vor die Stirn.

Gegen sieben Uhr fieng man an zu tanzen, und zwar nicht blos landmäßig, sondern auch englische Tänze. In der Zwischenzeit[185] speiseten wir Alle an einer großen Tafel, und dann endigte sich um Mitternacht das Fest in Ordnung und Fröhligkeit.

Jetzt will ich Ihnen sagen, wer die beyden Gäste waren, von denen ich vorhin redete. Herr und Madam Becker waren es, welche auch eingeladen und erschienen waren.1 Glauben Sie mir, diese Leute intereßieren mich ungemein. Von ihrer Geschichte weiß ich wenig, aber das Wenige ist sonderbar genug. Madam Becker hatte in ihrer Jugend einen Menschen geliebt, der mit ihr aufgewachsen war.2 Die Eltern aber hatten, wie es scheint, in diese Heyrath nicht willigen wollen, sondern die Tochter gezwungen einen Andern (ihren jetzigen Mann) zu heyrathen,[186] für den sie keine Neigung hatte. Daher lebten sie vermuthlich in den ersten Jahren nicht sehr vergnügt von beyden Theilen, und das Mistrauen des Herrn Beckers, als wenn seiner Frauen Herz noch von der ersten Liebe voll seyn, und sie vielleicht gar ein geheimes Verständniß mit dem Freunde ihrer Jugend unterhalten mögte, bewog ihn, in eine ferne Gegend zu ziehn. Er nahm sogar einen fremden Namen an, riß sich von allen bisherigen Verbindungen los, und nachdem er so von seinem Vermögen, das hinreichend seyn soll ihn zu unterhalten, in verschiedenen Städten gelebt hatte, zog er endlich mit seiner Frau in diese Gegend. Die Gewohnheit mit einander umzugehn, nachgebende Gefälligkeit der Frau, und die Uebereinkunft ihrer Denkungsart, welche zuletzt durch Herabstimmung von beyden Seiten, und Abschleifen der rauhen Ecken ihrer Charactere entstanden ist, hat in ihre Ehe nach und nach eine conventionelle Glückseligkeit gebracht, und ich bemerkte nicht, daß[187] unzufriedene Blicke unter ihnen gewechselt wurden.

Ueberhaupt glaube ich, daß es mehr glückliche Ehen giebt, als man gewöhnlich meint. Eine gewisse idealische Glückseligkeit, auf welche man überhaupt in dieser Welt Verzicht thun muß, kann man auch hier nicht erwarten. Das erste Feuer der Liebe, das durch Schwierigkeit, Ungewißheit, Neuheit, seinen Reiz bekömmt, fällt wohl unter Eheleuten nach und nach weg; aber es tritt an dessen Stelle eine ruhige Wärme, die durch gegenseitige Gefälligkeit, Treue, verbundenes Interesse, Gewohnheit, Gemeinschaft im Guten und Bösen, unterhalten wird; und da wird manche sonst unangenehme Sorge zu einem neuen Bande. Selbst die Eifersucht ist dann oft ein Glied in der Kette häuslicher Glückseligkeit, freylich nicht die grobe, unvernünftige Art Eifersucht, sondern die zu rechter Zeit in Bewegung gesetzte zärtliche Besorgniß: man könnte ein Herz verliehren,[188] das uns so theuer, so nothwendig geworden ist. Ja! Ich bin überzeugt, daß Personen von ganz entgegengesetzten Temperamenten sehr zufrieden, vielleicht zufriedener als solche, die Sympathie vereint hat, wenigstens nach ein paar Jahren Zeit, mit einander leben können. Wenn sie vernünftig sind, so werden sie bald einer des andern Schwachheiten ertragen können. Die kleinen scharfen Ecken stoßen zuerst hie und da einmal zusammen, aber sie reiben sich bald ab, wenn sie irgend biegsam sind, und sind ja einige zu harte Stellen da; so weiß man sie so zu drehen, daß der Freund nicht dawieder rennt. –

Ich glaube, mein junger Herr! daß Sie gern etwas von häuslicher Glückseligkeit hören, deswegen schreibe ich dies. Nun will ich aber aufhören. Leben Sie wohl, und lieben ferner


Ihren

ergebensten Diener

v. Weckel.

Fußnoten

1 Man sehe im ersten Theile den ersten Brief, Seite 27 unten.


2 Was gilt's, das ist die Wilhelmine, von welcher im ersten Theile im eilften Briefe, S. 122, Meyer Erwähnung thut? Wie doch in den Romanen die Leute zusammenkommen!


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 190.
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