Ein und zwanzigster Brief.

An den Herrn Hauptmann von Weckel.

[190] Urfstädt den 21sten August 1770.


Es hat mir weh gethan, mein lieber Freund! daß Sie gestern nicht zu mir kommen konnten; Ich hätte Sie so gern gesprochen! – Wenn man etwas auf dem Herzen hat; so ist kein süßerer Trost, als einem Freunde sein Leiden zu klagen. Ich habe recht viel auf dem meinigen, und bin jetzt ganz allein. Dazu weiß ich, wie lebhaften, herzlichen Antheil Sie an allem nehmen, was mir begegnet, und wie gütig Sie meine Freunde als die Ihrigen betrachten. So will ich Ihnen denn wenigstens schriftlich erzählen, was ich Ihnen mündlich klagen wollte, wovon mich aber Ihre und meine Unpäßlichkeit abhält.[190]

Ich erhielt gestern einen Brief von Meyer,1 auf dem Eichsfelde geschrieben, mit der traurigen Nachricht von meines Freundes Tode. Eben in dem Augenblicke, da ich diesen ersten Gespielen meiner Jugend, nach langjährigem Trübsal in meine Arme zu schliessen, und noch ein paar glückliche Jahre mit ihm zu verleben hoffte, wird er mir, für diese Welt, entrissen.

Meyer kam mit meinem Carl den 13ten Abends auf das Eichsfeld, und ihre erste Sorge war, wie man den ken kann, sich nach dem armen Gefangenen zu erkundigen. Sie erfuhren, er sey sehr schwach, und werde schwerlich noch ein paar Tage leben. Nun zeigte Meyer den Befehl des Churfürsten, den Leidenden, bis zu vollbrachter Untersuchung, in eine bequeme Wohnung zu führen. Dies schien einigen Herrn nicht zu gefallen, und sie brauchten allerley Vorwand die Fremden abzuhalten, den Unglücklichen zu sehn, obgleich[191] sie sich äusserlich ganz gleichgültig bey dem Handel und der bevorstehenden Untersuchung stellten.

Den 14ten führte man endlich meine beyden Abgeordneten in den Kerker, und da gab es einen Auftritt, den der geschickteste Maler nur schwach darstellen würde.

Meyer fand es nöthig, den jungen Hohenau vorzubereiten, seinen sterbenden Vater in dem Gefangenen zu umarmen, aber der Jüngling gerieth darüber in einen Gemüthszustand, der alle Anwesenden in Furcht und Schrecken setzte. Er stürzte sinnlos in das Gefängniß und – noch einmal! was für eine Scene da vorgieng, bis zu dem Augenblicke, da der Vater verschied, daran vermag ein zärtliches Herz nicht ohne Wehmuth zu denken.

Carl hatte nie, auch nur eine dunkle Ahndung gehabt, daß sein Vater noch lebe –[192] Ihn hier, in dem Zustande, mit gebrochenen Augen wiederzufinden – und dabey das Herz durch die heftigste Leidenschaft der Liebe in Aufruhr gebracht – Zum erstenmal in seinem Leben den Urheber seines Daseyns in diesen Umständen an seine Brust drücken – den ersten väterlichen Segen von sterbenden Lippen auffangen zu müssen – Ach! mein Bester! denken Sie, wie traurig das war –

Mein alter Freund starb, wie er gelebt hatte, mit einem liebevollen Blick in die Welt zurück, in der er doch viel Tage des Trübsals, und so wenig Wonne erlebt hatte – Er zog seinen von Schmerz erstarrten Sohn, mit schwacher Hand zu sich her – Seine verlöschenden Augen glänzten noch einmal von stummer Freude – Er hob sie zum Himmel empor, und es war, als wenn seine Lippen sich bewegen wollten – Aber sie versagten ihm den letzten Dienst – Sein heiliges Gebeth sollte durch keine irdischen Töne mehr entweiht werden – In der Sprache[193] der Verklärten brachte es der Zeuge des Herrn, sein Engel, vor den Thron des Allmächtigen, vor dem er itzt steht – Dort wo kein Kummer, kein Geschrey mehr ist – Von geprüften Freunden umgeben, lobt sein von den groben Banden erlöster Geist den Vater, der ihn in seinem Prüfungsstande den einzigen Weg gehn ließ, der ihn zu dieser höheren Vollkommenheit führen konnte –

Mein Herz ist zerrissen, von sehr viel traurigen Vorstellungen zerrissen – Was mache ich mit meinen Carl? Das beste wird doch seyn, ihn bald zu mir kom men, und ihn, nach einem kurzen Aufenthalte, wenn der erste Schmerz überwunden seyn wird, eine Reise thun zu lassen.

Mein sterbender Freund hat, während seiner Gefangenschaft, die Erzählung seiner letzten Leiden stückweise aufgeschrieben. Das Manuscript fand man; Er zeigte nemlich auf den Ort, wo es verborgen lag, und Meyer[194] bemächtigte sich desselben, alles Wiederstrebens der Anwesenden ohngeachtet. Noch ist es nicht in meinen Händen, aber mich verlangt sehnlichst darnach.2

Könnten Sie nicht, mein lieber Freund! in diesen Tagen zu mir kommen? Ich hoffe doch nicht, daß Ihre Unpäßlichkeit von Bedeutung ist, und ich habe Ihnen sehr viel Dinge zu sagen, deren Mittheilung mein Herz erleichtern wird.

Empfehlen Sie unterdessen dem würdigen Herrn Oncle bestens,


Ihren

treuen Freund

Leidthal.

Fußnoten

1 welcher aber nicht eingerückt ist.


2 Diese Handschrift, welche eine gewisse innere Einrichtung schilderte, wird nicht im dritten Theile vorkommen obgleich dies anfangs der Plan war. Der Herausgeber befürchtet, ein Stand, für den er die aufrichtigste Verehrung hat, mögte durch das Bild einiger seiner Mitglieder, deren es doch in allen Ständen gute und schlechte giebt, beleidigt werden.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 196.
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