Sechs und zwanzigster Brief.

An den Herrn Commerzienrath Müller in Urfstädt.

[209] Amsterdam den 21sten October 1770.


Mit kindlich gerührtem Herzen melde ich Ihnen, mein liebster, bester Vater! daß Gott meine gute Mutter gestern zu sich aufgenommen hat.

Den 6ten war, wie sie wissen, meines ältesten lieben Bruders Hochzeit; Da befand sie sich, obgleich sie nicht dabey gegenwärtig seyn konnte leidlich wohl, so daß wir anfiengen neue Hofnung zu schöpfen. Allein vom 10ten an wurde es täglich schlimmer mit ihr.[209]

Wir wurden gestern spät des Abends zu ihr gerufen. Sie war sehr schwach, doch völlig bey Verstande, und bethete mit dem guten Domine Steinbach in wahrer christlicher Andacht und Heiterkeit. Der Doctor nahm unterdessen wahr, daß die Vorbothen des Todes nahe waren, und bereitete uns daher vor, sie bald aus unsern Armen gerissen zu sehn.

Ich ergriff ihre Hand, die schon kalt war, und drückte sie an meine Lippen – Sie merkte wohl, daß es bald aus seyn würde, und segnete uns in abgebrochenen Worten, schien auch noch manches auf dem Herzen zu haben, das sie nicht mehr hervorbringen konnte. So lange sie verständlich redete, hatte sie oft sehnlichst gewünscht, Sie, mein theuerster Vater! vor ihrem Ende noch zu umarmen –[210] Endlich verlohr sie gänzlich die Sprache, und bekam zuletzt im Todeskrampfe Zuckungen, wovon sie aber wahrscheinlicherweise nichts mehr empfunden hat.

Mein redlicher Schwiegervater war nicht gegenwärtig; Er kann niemand sterben sehn, und fürchtet selbst den Tod sehr.

Wie sehr dieser Verlust unser häusliches Glück verbittert, werden Sie leicht glauben – Die gute Mutter – Sie hat wenig Freuden in dieser Welt erlebt. Jetzt erst wären wir im Stande gewesen ihr kindlich beyzustehn – Doch schien es ihr ein kräftiger Trost zu seyn, ihre ältesten Kinder, vor ihrem Abschiede noch, versorgt zu sehn.

Uebermorgen wird der entseelte Körper in der Stille beygesetzt werden –[211] Wir sind Alle voll Verwirrung und Betrübniß; deswegen schreibe ich schlecht und eilig – Gott erhalte uns unsern besten Vater gesund und glücklich – Wir küssen Ihnen ehrerbiethigst und zärtlichst die Hände.


Sophie von der Hörde.[212]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 209-213.
Lizenz:
Kategorien: