Sieben und zwanzigster Brief.

An den Herrn Friedrich Müller, Kaufmann in Amsterdam.

[213] Urfstädt den 10ten November 1770.


Mein lieber Sohn!


Diesen Brief wird Dir Deine Schwester geben, an welche ich weitläuftig geschrieben habe – Ihr habt nun keine Mutter, ich keine Gattinn mehr – Dieser Verlust, der meinem Herzen sehr wehethut, bindet uns um desto fester zusammen, indem der Circul immer enger wird, jemehr Glieder aus demselben herausgerissen werden – Wer weiß wie lange ich noch bey Euch bin? –[213] Liebt Euch immer untereinander! Und Du, den itzt das Glück anlächelt, nimm Dich Deiner jüngern Geschwister, als ein zweyter Vater an, wenn ich nicht mehr seyn werde.

Mein armer Baron Leidthal, der in seinen guten Tagen so großmüthig an mir gehandelt hat, ist durch einen unglücklichen Proceß um den größten Theil seines Vermögens gekommen, so daß er seiner Güter mit dem Rücken ansehn muß. Er hinterläßt auf denselben eine Menge Menschen, die ihm ihre ganze Wohlfarth zu danken haben, und itzt ihrem Wohlthäter blutige Thränen nachweinen –

Ich werde ihn in diesen Umständen nicht verlassen, und wenn ich sein Glück mit ihn getheilt habe, auch nun in seiner gegenwärtigen Lage Mittel erfinden, bey ihm zu bleiben, ohne ihm beschwerlich zu werden. Durch meine Arbeit, durch Uebersetzen und dergleichen,[214] will ich mir schon Unterhalt schaffen, ohne Dein Anerbiethen, das ich indessen mit treuem Danke erkenne, zu nützen; und so werde ich doch die Beruhigung haben, ihn bey seinem wiedrigen Geschicke aufzumuntern.

Nun ist aber der Plan vereitelt, den ich mit meinen beyden jüngsten Söhnen vorhatte, und wozu mich die freygebigen Anforderungen meines theuren Baron Leidthals vermogt hatten. Du weißt, daß beyde Knaben studieren sollten; das geht nun nicht an – Und was kömmt auch am Ende dabey heraus? Der Gelehrte, dem es an Gelde und Vorsprache fehlt, kann heut zu Tage lange Jahre hindurch sich plagen, und zum Krüppel und Bettler arbeiten, ehe er es dahin bringt, ein mäßiges Auskommen zu gewinnen. Haben die Kinder Talent; so wird es ihnen in jedem Stande zu statten kommen. Sie mögen also eine Lebensart ergreifen, die der bürgerlichen Gesellschaft[215] eben so nützlich, wo nicht nützlicher, als der Stand eines Gelehrten ist. Sie sollen ein Handwerk lernen.

Ich finde daß ein redlicher und geschickter Handwerker eben so viel, wo nicht mehr Achtung verdient, als ein Rechtsgelehrter, und daß jener oft Gelegenheit hat die Gaben seines Geistes stärker zum Wohl der Welt anzuwenden, als dieser.

Hiebey werde ich mich sehr wenig um das Urtheil der Leute bekümmern. Christoph soll nach Neuwied, wo ihn ein redlicher Hernhuter ohnentgeltlich das Schreinerhandwerk lehren will, und an Petern bitte ich Dich, zu thun, was Du Deinem Vater zuwenden wolltest. Er hat Lust ein Tuchfabricant zu werden. Ich habe die Verfügung getroffen, daß ihn ein sichrer Mann, der Herr van der Slöck, der in acht Tagen hier durch reiset, mit sich bis Nimwegen nimt. Dort wird er erst gegen den 20sten December ankommen,[216] und ich will Dir vorher noch schreiben, wo Du ihn antreffen kannst, um ihn dort abholen zu lassen, und ihn zu seiner künftigen Lebensart anzustellen.

So viel Sorge, so viel Abwechselungen des Glückes, machen mich ganz verwirrt. Der Kummer würkt sehr auf meine Gesundheit, die anfängt schwankend zu werden. Gott stehe Dir und Deiner lieben Frau in Eurem neuen Stande bey. Nächstens ein Mehreres! Vergiß nicht


Deinen

Dich ewig liebenden Vater

H. Müller.[217]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 213-218.
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