Fünfter Brief.

An den Herrn Commerzienrath Müller in Urfstädt.

[57] Amsterdam den 26sten Merz 1770.


Ew. Hochedelgebohren habe ich die Ehre einliegenden Brief meines Freundes, des jungen von der Hörde, an mich zu überreichen, einen Brief, der gewiß Ihr Vaterherz mit Mitleiden gegen den unglücklichen Zustand Ihrer armen Frau Tochter, und ihres guten, von allen seinen Freunden und Verwandten verlassenen Gatten, erfüllen wird. Wenn Sie helfen können, redlicher Mann, Ach! so thun Sie es doch ja! Es ist Ihre einzige Tochter, welche Sie immer so sehr geliebt haben. Ich weiß wohl, daß Ew. Hochedelgebohren itzige Lage Sie ausser Stand setzt das Schicksal dieser Flüchtlinge unmittelbar zu erleichtern. Aber Sie haben ja einen großmüthigen[57] Freund an dem Herrn Grafen von Haxstädt, der gewiß keine Mühe sparen wird, die Hördische Familie, welche itzt äusserst aufgebracht und unversönlich scheint, zu besänftigen.

Es thut mir leid, daß ich Denenselben bey dieser Gelegenheit nicht verschweigen darf, daß Ihre Frau Gemahlinn sich nicht die mindeste Mühe geben will, die Sache ins Gleiche zu bringen, daß sie nicht nur auf ihre Tochter in den härtesten Ausdrücken schmält, sondern auch in ihren Reden die von der Hörde gar nicht schont, welches denn natürlicherweise die Gemüther immer mehr erbittert, und den Handel schlimmer macht.

In der Hofnung, daß Sie diese meine Bitte und aufrichtige Aeusserung nicht ungütig aufnehmen werden, habe ich die Ehre Sie zu versichern, daß ich mich blos deswegen geradezu an Sie wende, um Ihnen zu zeigen, wie groß mein Zutrauen zu Ihrem[58] menschenfreundlichen Character, und wie ungeschminkt die Hochachtung ist, mit welcher ich stets verharren werde,


Ew. Hochedelgebohren

ergebenster Diener

J. Julius Bröck.


Nachschrift. Noch halte ich es für meine Pflicht Ihnen, wenn Sie nicht kürzlich Nachricht von Ihrem Herrn Sohn Ludwig haben, gehorsamst zu rathen, Sich ein wenig genau nach ihm zu erkundigen. Er ist im Begriff, ohne Ihrer Frau Gemahlinn Wissen, eine Lebensart zu ergreifen, von welcher ich nicht gewiß weiß, ob Sie den Schritt dazu billigen würden.[59]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 57-60.
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