Neunter Brief.

An den Herrn Bröck in Amsterdam.

[107] Fulda den 24sten May 1770.


Laß mich meine Klagen in Deinen Schooß ausschütten, einziger Freund! und entziehe Dein Mitleid nicht dem Unglücklichen, dem Elend und Jammer auf jedem Fußtritte nachfolgt. Von aller Welt verlassen, unter gefühllosen Menschen herumirrend, ist der Busen eines Freundes der einzige Platz, wo mein Herz Ruhe findet. O! könnte ich mit meiner Sophie zugleich einschlummern, zu ewiger Ruhe einschlummern, und nicht wieder erwachen! – Wie gern wollten wir aus dieser Welt hinaus eilen, wo der Edle keine einzige frohe Stunde haben kann! –

Wüßtest Du, was ich unterdessen gelitten habe, wie hundertfältig der kühne Schritt,[107] den ich gethan habe, bestraft ist – ach! und zugleich an dem armen Weibe bestraft ist, das mit leiden muß, und nichts verschuldet hat – Für ihre treue Liebe, die dem Himmel selbst heilig seyn sollte –

Kurz! wir sind unglücklicher als jemals, irren ohne Aussichten umher, und wer weiß, aus welchem Orte ich Dir das nächstemal einen Brief schicken werde? Diese Zeilen schreibe ich in einem Wirthshause; Neben mir ist meine Sophie, ermüdet von der Reise, eingeschlummert. Zur Seite steht eine Wiege, darinn ein kleines Kind der Wirthinn schläft – Glückliches, kummerloses Alter! Ich drückte vorher einen liebevollen Kuß wehmüthig auf die blühenden Wangen, die noch kein Verdruß, keine Aufwallung irgend einer unedlen Leidenschaft je bleich gemacht hat. Das junge Herz schlägt so ruhig, kein ängstlicher Traum drückt es – O! warum bleiben wir nicht immer so? In dem Alter, wo der ganze Reichthum des[108] Spielzeugs, der Werth weniger Groschen, ein Wesen beneidenswürdig glücklich macht, das nachher oft mit Millionen keine Ruhe, keine Freude erkaufen kann –

Der Mond scheint ins Fenster – der treueste Freund, der immer dasselbe Gesicht hat –

Es kommen so viel Umstände hinzu, die mich heute in eine solche Stimmung setzen – Gerade heute ist mein Geburtstag – Vier und zwanzig Jahre des Jammer-Lebens sind dahin – Mein erster Laut war ein Schrey gegen das Schicksal. Der elende Knabe empörte sich schon gegen den Zwang, und hob die kurzen Arme, die sie ihm binden wollten, zum Himmel empor.

Doch zurück zu der Erzählung meiner traurigen Begebenheiten! Schon hoffte ich in Waldorf einige Aussicht zu besserem Auskommen zu haben, als der heuchlerische Prediger[109] des Orts einmal des Morgens den Pachter, unsern Wirth, zu sich rufen ließ, und ihm vorhielt, wie sehr er sich der obrigkeitlichen Ahndung und dem göttlichen Strafgerichte aussetzte, indem er Leute bey sich beherbergte, die niemand kennte, die vermuthlich gottlose, nicht einmal durch priesterliche Einsegnung verbundene Leute, sondern loses Volk, ohne Gottes- und Menschenfurcht, wären. Mit einem Worte! er verlangte von ihm, er sollte uns fortschaffen, oder er würde die Sache ernstlich treiben. Der Pachter klagte mir seine Verlegenheit, und ich beschloß selbst zu dem Pfarrer zu gehen. Ich that es, aber die Art wie er mich empfieng – Mit einem Geschenke hätte ich alles ausgerichtet – Allein theils hatte ich nicht viel zu entbehren, und dann bauete ich auch auf das natürliche Recht, das jeder redliche unschädliche Mensch haben muß, auf Gottes Erdboden zu leben, wo er will, sobald er niemand im Wege ist. Ich sagte ihm das, und verdarb dadurch meine Sache gänzlich. Er verschrie mich nun[110] als einen wiederspenstigen, gefährlichen Landstreicher – Er predigte sogar wieder uns – Kurz! wir mußten fort, und unsre Zuflucht war das nahgelegene Städtgen, in welchem uns unser Wirth Arbeit auszuwürken versprochen hatte. Kaum hatten wir uns aber nach einer kleinen Wohnung umgesehn, als ich fand, daß auch hier der Bösewicht im Priesterkleide Verdacht gegen uns erregt hatte. Niemand wollte uns aufnehmen – Wer meinst Du, wer endlich die Barmherzigkeit an uns that, die ein Lehrer des Christenthums uns entziehen wollte? – Ein Jude – Dieser both uns eine Wohnung bey sich an. Wir bezogen ohne Bedenken ein Zimmerchen in seinem Hause, und dieser redliche Mann sparte keine Mühe, uns Mittel, Unterhalt zu finden, an die Hand zu geben. Aber es hielt nicht nur äusserst schwer die geringste Gelegenheit dazu zu finden, sondern der gute Israelite selbst war in so armseligen Umständen, und so vielfältig von Christen betrogen worden, denen er zuviel Credit gegeben hatte,[111] daß ich wohl sahe, wie wenig er im Stande war, Andern zu helfen. Wir faßten also den letzten Entschluß, weil wir noch einen kleinen, Geldvorrath hatten, nach Frankfurt am Mayn zu reisen, um in dieser großen Stadt, wo so Mancher Brod findet, das Aeusserste zu versuchen, uns eine Aussicht zu eröfnen –

Und da sind wir nun unterwegens – Wenn dies letzte mislingt, dann weiß ich keinen Rath – Der Gedanke zerreißt mein Innerstes – Wenn ich das liebe Weib ansehe, wie geduldig, wie so voll Zuversicht auf die weise Vorsicht sie alles leidet, dann blutet mein Herz, und es nagt mich, daß ich schwächer bin an Glauben, als sie – Zu hoffen, wo wahrscheinliche Hülfe nahe ist, das kann freylich jeder schwache Geist – – Aber itzt gilt es, die Last meines Kummers liegt schwer auf meinem Herzen – Ich angle vergebens nach kleinen Freuden; Alles trauert um mich. Der schöne Frühling, der jedem[112] Pflänzgen, jeder Creatur, neues Leben, frische Kraft und Wonne einhaucht, bewegt mein Innerstes, stimmt die leidende Seele zu Klagen, und preßt mir Thränen aus –

Wenn Du mich noch irgend liebst, Freund meines Herzens! – Wenn Du einer der bessern Menschen bist, die mit den Weinenden weinen können – o! so schreib mir doch nur ein paar trostvolle Zeilen, und schicke sie gerade nach Frankfurt. Ich will sie im Posthause abholen –


G. von der Hörde.[113]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 107-114.
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