Vierzehnter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg.

[138] ..... den 4ten Junius 1771.


Ich wünschte nur, mein gütiger Freund! Sie mögten mich jetzt sehen, wie ich den Hausvater mache, überhaupt, welche Figur ich spiele, seitdem ich verheyrathet bin. Ich glaube wohl, es mag mich ziemlich lächerlich kleiden; aber mit dem allen, das versichere ich Sie, hätte ich nicht gedacht, daß ich mich sobald an das häusliche Leben gewöhnen würde.

Freylich stellt man sich das Ding ganz anders vor – Es ist ein ernsthafter Schritt, mein lieber Herr! das fühlt auch der leichtsinnige Weckel. Denn einmal, ein Ehemann nach der Mode mag ich nicht seyn; ich[138] will jede auch noch so geringe Bekümmerniß, jede auch noch so leichte Freude mit dem guten Geschöpfe theilen, das nun an mich geknüpft ist, das ihr Glück in meine Hände gelegt hat, von dem mich nichts trennen kann – Und dann, wie manche kleine Sorge, die ich sonst für nichts achtete, sondern bald wieder abschüttelte, sehe ich jetzt mit ganz andern Augen an! Ich gehöre nicht mehr mir selbst; ich bin fester an die bürgerliche Gesellschaft gebunden; alles was mir begegnet, fällt auf das gute Weib zurück –

Allein ich bin glücklich, recht glücklich, dabey so fröhlich als jemals, und davon, hoffe ich, sollen Sie bald selbst Zeuge seyn. Denn gestern habe ich an unsern ehrlichen Meyer geschrieben, und ihn gebethen, bald möglichst Urlaub zu nehmen, um zu mir zu reisen. Vielleicht findet sich dazu noch vor dem Winter Gelegenheit; wo nicht; so soll doch gewiß im nächsten Frühjahre nichts dazwischen kommen. Ich behalte dann den lieben[139] Mann einige Wochen bey mir, gehe darauf mit ihm und meiner guten Frau von hier nach Hamburg, und besuche unsern theuren, vortreflichen Baron Leidthal, von welchem ich so oft mit meiner Frau rede, daß sie nicht lange mehr der Versuchung wird widerstehen können, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.

Uebrigens reiset der Herr Hauptmann von Weckel nicht mehr so viel, als in seinem ledigen Stande, kann also auch dem curiosen Liebhaber nicht mehr mit so viel Reiseanecdoten aufwarten. Doch habe ich, gleich nach meiner Hochzeit einen kleinen Ritterzug gemacht, um meine Frau und mich ihren und meinen Verwandten vorzustellen. Unter diesen habe ich denn freylich auch manche comische Originale, aber auch manche wackre, brave Leute kennen gelernt.

Es versteht sich, daß wir Alle uns von beyden Theilen Mühe gaben, unsre glänzendsten[140] Seiten auswärts zu kehren. Das ist wahrlich für einen Dritten recht lustig anzusehn, wenn so ein Paar Leute zusammenkommen, die gern von einander bewundert werden mögten, oder die sehr viel Gutes von einander gehört haben. Da drehen und wenden sich dann die Kerlchen, (wenn sie Verstand haben, versteht sich) um sich wechselsweise die schwache Seite abzujagen! und wenn sie aus einander gehn, findet sich immer, daß der Eine den Andern vortreflich findet, wenn dieser ihm entweder Gelegenheit gegeben hat, seine Talente auszukramen, oder wenn beyde Narren sich auf gleiche sympathetische Thorheiten ertappt haben.

Sie wissen es, mein theuerster Freund! Mein Grundsatz ist: daß man (Ich rede nicht von bleibenden, auf verdiente Hochachtung gestützten, sondern von vorübergehenden Eindrücken) daß man, sage ich, in dem ersten Angriffe, mit den Menschen machen[141] kann, was man will, wenn man nur Gelegenheit gehabt hat, sie vorher zu studieren. Man hat sie dann am Stricke, faßt sie bey der schwachen Seite, und setzt sich so, ohne alles Anklopfen, grade in ihr Herz hinein.

Es ist mir oft wiederfahren zu wissen, daß die Leute gegen mich eingenommen waren – Immerhin! Ein einziges Gespräch unter vier Augen; und sie sind mein – Aber auf diese elende Kunst, so sehr sie auch beynahe die Triebfeder aller menschlichen Handlungen ist, bilde ich mir eben so wenig ein, als ich durch Vorurtheile beunruhigt werde, die mancher Mensch, ohne mein Herz zu kennen, ja! ohne mich je gesehn zu haben, durch die Gespräche irgend eines alten Weibes oder dergleichen, von mir gefaßt hat.

Das war eine kleine Ausschweifung; Jetzt zu meiner Reise. Wir giengen zuerst zu einem Oncle meiner Frau, der, weil wir ihm unsere Ankunft nicht vorher gemeldet,[142] hatten, abwesend, doch in der Nachbarschaft bey einer Verwandtinn war; Also zogen wir dahin, und trafen ihn dort an.

Es war aber Mittagszeit; Wir wollten also nicht gern nüchtern fortgehn, bathen uns daher bey dem Herrn Gerichtshalter zu Gaste, der uns denn auch, mit unzähligen Complimenten, vorlieb zu nehmen bath, und uns darauf folgendes vorsetzte: Hirse mit Milch; sauren Kohl und Schweinefleisch; und zuletzt Quetschen mit Senf.

Ich will Sie, mein lieber Herr! nicht mit Erzählung derjenigen sonderbaren Revolutionen aufhalten, welche diese, in der That nichts weniger als einförmige Malzeit, in uns erregte. Es sey mir genug, Ihnen zu sagen, daß wir, ohne mehr als etwa sechsmal a Person auszusteigen, glücklich bey der Frau Tante ankamen.[143]

Der Herr Vetter, von dem ich eben Erwähnung gethan habe, kam uns bis an das Hofthor entgegen. Er hatte einen blauen manschesternen Rock, und eine grüne Weste an. Nachdem er meine Frau, mit aller Violenz, aus dem Wagen gehoben hatte, trat er (denn es regnete) erst die Füße auf der Strohmatte ab, und ließ unterdessen seine Dame allein da stehn.

Wir fanden oben eine kleine Gesellschaft, die aus dem Pfarrer des Dorfs, und einem Edelmanne aus der Nachbarschaft bestand.

Der Edelmann lag so entsetzlich, daß es nicht möglich war, mit dem besten Köhlerglauben, dagegen Stich zu halten. Er hatte unter andern einen Mann gekannt, der so gut schiessen konnte, daß er, wenn er den Schlüssel zu seinem Schranke in eine Pistole ladete, denselben nach Belieben in das Schlüsselloch, mit einer solchen Gewalt zu schiessen verstand, daß derselbe sich umdrehete, und[144] den Schrank öfnete. Ein Knabe war einst in seiner Gegenwart vom Kirchthurm gefallen und, durch den Wind aufgehalten, so unbeschädigt geblieben, daß er noch Gegenwart des Geistes genug besessen hatte, ein Stück Butterbrod, welches er eben im Munde hielt, nicht zu verliehren, sondern ruhig unten zu verzehren. Eine schwangere Frau hatte sich dermaßen an einem Officier von der würtenbergischen Garde versehen, daß sie mit einem Kinde niedergekommen war, welches Schleufen von geschlagenem Silber, auf den ganzen Leib hinunter, mit auf die Welt gebracht hatte.

Der Pfarrer hielt sich ruhig, solange es zu essen, zu trinken, und nichts zu zanken gab. Gegen Ende der Abendmalzeit aber geriethen beyde in einen heftigen Wortwechsel über die Rechtmäßigkeit des geistlichen Zehntrechts. Der Edelmann gieng indessen früher fort. »Das ist ein grober Herr!« rief der Prediger, sobald jener aus dem Hause war. »Und ich weiß nicht, worauf[145] sich der Mann etwas einbildet; Er ist ein Erz-Atheist.«

Wir blieben zwey Tage an diesem Orte. Die Tante ist eine gute, einfache Frau, schlecht und recht, ohne große Forderungen. Mit ihr reiseten wir dann weiter, drey Meilen von da, nach ......

Sie können Sich leicht vorstellen, daß ich keinen großen Beruf fühlte, an den dortigen sogenannten fürstlichen Hof zu gehn, sondern daß ich ruhig in dem Circul meiner Familie blieb. Doch lief ich einmal durch das Städgen und den Schloßgarten, und sahe auch hier allerley drollichtes Zeug.

Einer von den Hof Cavalieren begegnete mir reitend, und las zu Pferde – das war schon ganz hübsch!

Man begrub grade an dem Tage den Canzelleydirector – Ich hatte hier wieder Gelegenheit meine Anmerkungen über die Schiefigkeit des Geschmacks zu machen, welche in unserm Zeitalter noch so sehr groß ist; Nemlich, daß wir unsre Augen gewöhnt haben,[146] Unschicklichkeiten zu übersehen, und die Vereinigung der allercontrastierendsten Gegenstände zu ertragen. Zum Beyspiel: Eine Kutsche, welche hinter der Leiche eines alten Mannes herfährt, sollte doch etwas ehrwürdiges haben. Wenn aber Amoretten auf dem Kasten gemalt sind; Wenn ein Kutscher mit einem Schnurrbarthe einen schwarzen Mantel umgehängt hat, und dabey weisse Handschuhe trägt; Wenn voran ein Schulmeister mit einem Haufen muthwilliger Knaben, die sich unterwegens einander necken und kneipen, unter gräßlichen Gebehrden, in fürchterlichen Mistönen, nach der elendesten Melodie, ein Lied brüllt, wovon die Poesie eben so erbärmlich ist; so giebt doch wohl das alles einen mehr lächerlichen als feyerlichen Anblick.

Der fürstliche Garten steht aus, wie die Marzipangärten, welche man den Kindern zum Weinachtsgeschenke giebt. Auf jeder Taxuspyramide ist oben ein Fürstenhut ausgeschnitten, und in einem kleinen Bassin sah ich ein Paar steinerne Schwaane ganz dünne[147] Wasserstrahlen speyen, indem sie auf ihren ausgebreiteten Flügeln das fürstliche Wapen eingegraben trugen.

Als ich nach Haus kam, fand ich eine ganz artige Gesellschaft zum Mittagsessen eingeladen. Es war aber auch ein Leibchirurgus dabey, der ausserordentlich neugierig schien; denn er fragte nach einer Menge kleiner Geschichtgen aus dieser Gegend, um welche ich mich nie bekümmert habe, oder von denen ich, wenigstens an einem fremden Orte zu reden, für unklug halte. Und weil ein vorwitziger Neugieriger auch immer ein unvorsichtiger Schwätzer ist; so konnte er manche Anecdote von seiner gnädigsten Herrschaft nicht auf dem Herzen behalten, die er wohl hätte verschweigen können. Dabey wollte er belesen und gelehrt scheinen, redete auch von Alchymie, verwickelte sich aber oft in seinen Erzählungen, und sagte unsinniges Zeug. Unter andern versicherte er: er habe einen Mann gesprochen, der den Theophrastus Paracelsus,[148] Carl V. Leibmedicus, von Person gekannt hatte. Ich ließ das alles so hingehn; denn, obgleich ich gern über einen Narren lache; so beschäme ich doch nicht gern jemand und es thut mir allzeit weh, wenn ich irgend ein Geschöpf in Verlegenheit sehe –

Allein ich merke, daß ich so ziemlich wieder in meinen alten Reisebeschreiberton verfalle – Nun will ich aber auch schleunig abbrechen. Zudem geht mein Papier zu Ende; Ich muß machen, daß ich noch vor dem Schlusse nach Hause komme – Also kurz! Nachdem wir die ganze Familie rund umher besucht hatten, kamen wir wieder hierher, woselbst würklich noch zu der jetzigen Stunde sitzt, und diesen Brief schreibt,


Ihr

ergebenster Diener,

Franz von Weckel.[149]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 138-150.
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