Ein und zwanzigster Brief.

An den Herrn Secretair Meyer in Dresden.

[184] Berlin den 19ten Junius 1771.


Wenn ich Ihnen auch in etwas langer Zeit nicht geschrieben habe; so bin ich doch oft in Gedanken bey Ihnen, und wünschte Sie hierher; Berlin sollte Ihnen jetzt schon gefallen; Es hat würklich tausendfache Annehmlichkeiten, sowohl für einen Gelehrten, als für den, der blos Vergnügen sucht.

Ich bekenne Ihnen wenigstens, daß ich anfange recht zufrieden von meinem hiesigen Aufenthalte zu seyn. Es giebt so mancherley Unterhaltungen und Zerstreuungen hier, die ich begierig ergreife, um die Erinnerung dessen, was ich gelitten habe, in meinem Herzen auszulöschen. Sie werden mir, mein[184] bester Freund! dies nicht verdenken; Ich glaubte zwar nie, daß ich so viel über mich würde erhalten können; aber ich habe es versucht, und fühle nun täglich mehr, wie unrecht der Mensch handelt, wenn er sich selbst plagt, sich dem Schmerze über ein verlohrnes Gut überläßt, das er nicht wieder bekommen kann, und indeß die gegenwärtigen Freuden ohngenützt vorübergehen läßt.

Und warum sollte ich mich auch quälen? – Ueber die Untreue eines Mädgens? – Sind sie nicht Alle leichtfertig, wankelmüthig? Ach! ich habe das Geschlecht hier kennen gelernt – Zwar fand ich keine, die werth gewesen wäre, meiner Charlotte die Schuhriemen aufzulösen – Aber Alle waren Weiber; Alle nicht fähig wahrhaftig und treu zu lieben, so zu lieben, wie ich einst das Ideal davon in meinem Herzen trug. Sie werden von Eitelkeit, Temperament oder Launen regiert – Ja! Wenige haben nur einmal Temperament. Sie spielen mit den[185] heiligsten Gefühlen, und wissen sich damit auszustaffiren, als wenn es Schminke und Bänder wären, so oft sie es nöthig halten – Kurz; keine verdient, daß ein ehrlicher, treuer Mann eine Thräne um sie weine. Und mit dem allen gestehe ich Ihnen, daß die Wunde meines Herzens noch oft im Verborgenen blutet – Aber die Zeit wird alles heilen – Wir wollen nicht mehr davon reden –

Jetzt muß ich Ihnen, mein lieber Freund! nur noch eine Sache erzählen. Sie wissen, daß ich immer den Verdacht hatte, als wenn der Franzose, der sich mir in Donnergrund so dienstfertig aufdrang, mich damals unsern Werbern verkauft hätte. Mancherley Ursachen hielten mich in der ersten Zeit ab, der Aufklärung dieses Argwohns weiter nachzuspüren, bis ich vor etwa vier Wochen, in einem gewissen Hause, wohin ich zuweilen aus Gefälligkeit gegen andre Officiers gehen muß, und um mich nicht auszuzeichnen, denselben Franzosen antraf.[186]

Er schien betroffen, als er mich da fand; doch faßte er sich bald wieder, und stellte sich nur äusserst verwundert, mich in Officierskleidern zu sehen. Er fragte, ob ich seine Briefe nach Baruth bekommen hätte, erzählte viel von seiner unnützen Bemühung das Fräulein zu finden, und schien in die größte Bestürzung zu gerathen, als ich ihm sagte, wie ich von dem Unterofficier sey behandelt worden, und was mir ferner begegnet wäre –1[187]

Wenn man voraussieht, daß man in dem Augenblicke nicht auf den Grund einer Sache kommen kann; so ist es am besten gethan, ganz darüber hinaus zu gehn, bis man mehr Gewißheit vor sich hat. Ich zeigte ihm also gar kein Mistrauen, that nicht, als wenn ich glaubte, er habe Antheil an meiner Anwerbung, und nahm mir nur vor, den Menschen näher zu beobachten. Er hat aber seit dieser Zeit sorgfältig meine Gegenwart vermieden, und endlich habe ich auch nicht oft mehr an ihn gedacht.

Allein vorgestern bekomme ich ein Billet von Hundefeld, der hieher nach Berlin gereiset war, um mich zu sprechen, sich einem Franzosen anvertrauet, der sich erbothen hatte ihm mein Quartier zu zeigen, und als er denselben erwartet, einen Befehl vom Gouverneur[188] bekömmt, sogleich die Stadt zu räumen –

Sollte nun dies nicht derselbe la Saltière seyn, der ihm diesen Streich gespielt hätte? – Zwar kann ich noch nicht einsehn zu welchem Endzwecke – Aber doch –

Noch eins! Habe ich nicht irgend schon einmal den Nahmen: la Saltière, gehört, oder gelesen? Besinnen Sie Sich nichts dergleichen?

Jetzt arbeite ich nur daran, bey dem Gouverneur, Hundefelds Sache zu erläutern, und zu erfahren, was man gegen ihn vorgebracht haben mag, und dann soll sich bald das übrige aufklären.

Ich werde gestöhrt – Leben Sie wohl, mein Theuerster! Bald will ich weitläuftiger schreiben.


Hohenau.

Fußnoten

1 Hier vergesse man nicht, daß Leidthal und Meyer, um den jungen Hohenau nicht noch mehr zu beunruhigen, ihm die Geschichte von Charlottens Entführung, wozu er durch seinen, dem la Saltière anvertraueten Brief, freylich Gelegenheit gegeben hatte, verschwiegen hielten. Hätte er diesen Umstand gewußt; so würde er gewiß jetzt den Franzosen nicht so leicht haben laufen lassen. Auch wäre er in diesem Falle nicht in die Ausschweifungen gerathen, zu welchen ihn die Verzweiflung über seiner Geliebten vermeintliche Untreue brachte; Und in so fern wäre es besser gewesen, ihm alles zu entdecken – Aber wer kann die Folgen jeder kleinen Handlung voraussehn.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 190.
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