Drey und zwanzigster Brief.

An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin.

[193] Hamburg den 1sten Julius 1771.


Deine Briefe, mein lieber Carl! werden immer seltener, und doch (verzeihe mir diesen kleinen Vorwurf!) dächte ich, Deine Geschäfte wären nicht so überhäuft, daß Du nicht solltest Zeit finden können, zuweilen an Deinen alten Freund ein Paar Zeilen zu schreiben.

Freylich hat ein Officier, wenn er nicht Soldat nach dem ganz gemeinen Schlage seyn will, unzählige Dinge zu lernen, die auf sein Handwerk nützlichen Einfluß haben, und da können denn schon seine Stunden sehr besetzt seyn. Auch soll mich es freuen, wenn dies die Ursache Deines Stillschweigens ist.[193] Geschäftigkeit und Fleiß sind ein herrliches beruhigendes Mittel gegen alle Arten von Leiden und Versuchungen.

Unterdessen kann man sich leicht an Ordnung oder an Nachlässigkeit im Briefschreiben, so wie in allen andern Fächern, gewöhnen. Ich kenne Leute, die nicht durch Geschäfte, noch übermäßige Zerstreuungen (ich hoffe, das Letzte ist auch Dein Fall nicht) abgehalten werden, aber dennoch so unerträglich faul in diesem Puncte sind, daß sie eher den größten Verlust leiden, als zu einer bestimmten Zeit einen Brief schreiben wollten. Das ist würklich schimpflich, und zeugt von schlechter Erziehung, oder geringer Achtsamkeit und Gewalt über sich selbst. Wie leicht ist nicht ein Brief geschrieben! Wie viel Nutzen oder Freude kann ich nicht oft damit stiften! Und wo ist der Mensch, dem seine Geschäfte oder sein Gemüthszustand nicht täglich eine viertel Stunde frey liessen? – Das macht doch jährlich 365 Briefe, und manche fröhlige[194] Stunde unsern entfernten Freunden, die vielleicht, in unangenehmen, trüben Minuten, durch Eine Zeile von uns erheitert würden.

Ich kenne aber Deine Ordnung von dieser Seite, und also trifft Dich, mein lieber Hohenau! dieser Vorwurf nicht. Eben deswegen aber ahnde ich andere Ursachen Deines Stillschweigens. Sollte Dein Gemüth wohl nicht in demjenigen glücklichen Gleichgewichte seyn, in welchem wir, gestützt auf die Tugend und den Adel unserer Handlungen, einem Freunde unser ganzes unschuldiges Herz ausschütten dürfen? – Das würde mir sehr wehthun, mein Sohn! Aber wenn es so ist; so scheue Dich dennoch nicht, mich zum Vertraueten Deiner Verirrungen zu machen!

Soll ich Dir mit meinem Bekenntnisse entgegen kommen? Sehr gern! Ich glaube aus Deinen Briefen zu sehen, daß Du, nach dem Verluste Deiner Geliebten, nicht diejenige[195] Art von Trost gesucht hast, wel che des festen Characters eines Mannes würdig ist, und wozu uns Weisheit und Pflicht aufrufen. Ich fürchte vielmehr, Du suchst Dich in sinnlichen Ergötzungen zu berauschen, um zu vergessen, was Du Dir selbst schuldig bist –

Das würde eine unglückliche Gemüthslage für Dich seyn. Denn nicht nur würdest Du kein wahres Glück, keine Seelenruhe, die Du doch wünschen wirst, auf diesem Wege finden, sondern Du würdest auch Deine schönsten Tage verliehren; das Leere, welches diese üppigen Vergnügungen, deren man sehr früh überdrüssig wird, in der Seele zurücklassen, würde Deine natürliche Thätigkeit in Gährung bringen, und weil Du Dich dann von edlern Geschäften entfernt hättest, würdest Du vielleicht, um den gänzlichen Müssiggang zu fliehen, Dir aus Dingen ein Gewerbe machen, die Unglück, Elend und Reue über Dein Haupt sammlen würden.[196]

Solltest Du, mein bester Carl! auf dem Wege zu diesem Labyrinthe seyn; so höre die Stimme eines treuen und erfahrnen Freundes, und kehre zurück! – Es ist gewiß noch Zeit; Und daran kannst Du erkennen, ob es noch Zeit ist, wenn dieser Brief Dich ein Paar Stunden lang ernsthaft oder misvergnügt macht.

Schütte also Dein Herz in meinen Busen aus! Ich erwarte mit väterlicher Sehnsucht Dein Bekenntniß – Jetzt wollen wir von andern Dingen reden –

Ich lebe noch immer hier äusserst einfach, aber zufrieden. Müller wird mich nun auch bald verlassen; Doch, zu seinem Glücke; denn ich zweifle nicht, daß er in Dännemark guten Unterhalt und Gelegenheit finden wird, seine Kenntnisse nützlich anzuwenden.

Mein einziger Umgang hier ist mit dem Herrn von B ..... einem alten, würdigen,[197] obgleich von vielen sehr verkannten Manne. Er war, wie Du weißt, Minister in seinem Vaterlande, hatte dem Herrn, dem er vierzig Jahre seines Lebens widmete, sehr beträchtliche Dienste geleistet, und war der Schöpfer alles desjenigen Guten, was der schwache Prinz je, unter eigenem Nahmen, gethan hat.

Was war daher natürlicher, als daß er eine Menge heimlicher Neider und Feinde um sich her hatte, die ihn zu stürzen suchten? Seine Administration war aber so klar, so öffentlich, gut ordentlich und nützlich, daß man ihn darinn keiner Sünde zeugen konnte.

Da er nun reichlich besoldet wurde; so hatte er Gelegenheit, Geld zu sammlen; die Misgunst der hungrigen Hofschranzen aber machte ihm das zum Verbrechen. Man sprengte böse Gerüchte gegen ihn aus, und das Volk, welches gern alles nachplaudert,[198] Veränderungen liebt, und, weil ein Minister nicht jeden befriedigen kann, immer von dem Gegenwärtigen unzufrieden ist, und von dem Nachfolger alles hofft, verbreitete bald einen so allgemeinen schlechten Ruf über ihn, daß es mir durch die Seele gieng, als ich, der ich die Gradheit des Mannes kannte, ihn aller Orten so grausam verlästern hörte.

Ueberhaupt, was in der Welt ist wohl unsicherer, als der Ruf eines Mannes, besonders an Höfen? Ich sehe immer gern mit eigenen Augen, und auch da betrügt man sich oft. Wer kann immer, durch die Hülle der Hof-Intriguen hindurch, den wahren Faden der Begebenheiten und alle die kleinen Triebfedern entwickeln, welche manchen schätzbaren, vortreflichen Mann zum Gegenstande des Abscheues, und manchen Schuft zu einem Orakel des ganzen Landes erklären? – O! wenn doch das die Menschen beherzigen wollten, die so bereit sind, auf[199] das allgemeine Geschwätz, den Ruf eines Menschen, den sie gar nicht kennen, an einem dritten Orte zu zerreissen, und dadurch so manche Wunde zu schlagen, die nicht wieder zu heilen ist!

Der Herr von B ..... war in einer sehr üblen Lage. Er sollte seinem Fürsten alle entbehrlichen Ausgaben ersparen, folglich mußte er manchem, dem er gern geholfen hätte, verdiente Wohlthaten versagen; Und von einer andern Seite schränkte der Sultan doch seine Begierden nicht ein, und was der Dienerschaft abgezogen, und den Bauern ausgepreßt wurde, das verzehrten Maitressen, Geiger, Pfeifer und Müssiggänger. Sahe nun der gnädige Landesvater, daß er und das Land dabey sichtbarlich zurückkamen; so schob er die Schuld davon nicht auf sich, sondern auf die Haushaltung des Ministers, in welcher Gemüthsverfassung er denn auch von kleinen, erkauften Creaturen, von Cammerdienern u.s.f. unterhalten[200] wurde. – Es hieß immer: der Herr und das Land würden arm, und der Minister reich.

Diesen Zeitpunkt nützte ein elender Schwätzer, der mit flüchtigen Kenntnissen von Büchern über das Cameralwesen ausstafiert, einige Einrichtungen in andern Ländern, die aber, weil er sie mit schiefen Blicken angesehen hatte, hier gar nicht passend waren, dem Fürsten so reitzend abmalte, daß derselbe nun in diesem Windbeutel endlich den Mann gefunden zu haben glaubte, der sein bisher schlecht verwaltetes Finanzwesen wieder herstellen könnte.

Es ist unbegreiflich, wie leicht es mehrentheils den erbärmlichsten Menschen ist, eine Rolle bey den Großen der Erde zu spielen. Dieser Kerl hatte ein Paar Haranguen auswendig gelernt, die er immer wiederholte, war übrigens ein so schlechter, unmoralischer, tückischer, und unwissender[201] Mensch, daß ihn der würdige, große B .... nicht würde zum Secretair gemacht haben; Jetzt verdrängte er diesen aus dem Ministerium; denn, kurzum! mein Freund bekam auf eine höflich falsche Art seinen Abschied, und wohnt itzt hier; überzeugt, daß ein Fürstendiener zu seyn, das undankbarste, unehrlichste Handwerk auf dieser Erde ist.

Ich schreibe Dir, mein lieber Carl! gern solche Erfahrungen aus der großen Welt. Schreibe Du mir nur auch fleissig, was Du um Dich siehst, und welche interessante Bekanntschaften Du machst; An einem Orte wie Berlin ist, kann es Dir daran nicht fehlen.

Nun, das war ein langer Brief. Lebe wohl, mein bester Carl! Ich hoffe bald etwas Gutes von Dir zu hören,


Leidthal.[202]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 193-203.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon