Sechster Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg.

[65] ..... den 5ten Aprill 1771.


Nun, mein verehrungswürdigster Freund! Wie geht es Ihnen denn? Haben Sie noch einige Güte für den leichtsinnigen Menschen, der Sie aber immer so herzlich liebt, und ewig lieben wird?

Wüßten Sie nur, wie oft mein Herz bey Ihnen ist, wie sehnlichst ich wünsche, Sie zufrieden zu sehn! Beruhigen Sie Sich doch, bester Mann! Was ist am Ende alles Unglück in der Welt? Ein Mann, der so viel Schätze in sich selbst besitzt, kann sich leicht über den Verlust des elenden Reichthums hinwegsetzen. Es ist wahr, Ihre edle Seele[65] hat jetzt weniger Gelegenheit, die süße Freude des Wohlthuns zu schmecken. Aber ist nicht schon das innre Bewußtseyn, Gutes zu wollen, selbst da, wo man nicht kann, himmlisches Vergnügen?

Auch weiß ich, daß der Verlust der Glücksgüter das geringste Ihrer Leiden ausmacht. Aber Ihr armer Pflegesohn! – Nun! und hat der nicht auch einen Vater im Himmel, der für ihn sorgt? Wer weiß, zu welchem unvermutheten Glücke für den Rest seines Lebens die Erfahrungen, welche er jetzt einsammlet, ihm nützen?

Lassen Sie uns einen Augenblick alles Unangenehme vergessen! Ich will Ihnen etwas vorplaudern, das Ihnen Vergnügen machen soll.

Wissen Sie denn, daß ich mich in den heiligen Ehestand begeben will? Mein Oncle drang schon lange darauf, daß ich auch an[66] diesem christlichen Sacramente Theil nehmen sollte, und da bin ich denn umhergereiset, die Töchter des Landes zu besehen, und habe ein gutes ehrliches Mädgen gefunden, die ich herzlich lieb gewonnen habe, und altes ist unter uns und unsern Verwandten richtig.

Eleasar und Rebecca wurden beym Brunnen in einer Stunde ihres Handels einig. Das war voreilig, wenn ich sagen darf; Glauben Sie ja nicht, daß ich so gehandelt habe. Ich kenne das Fräulein von M ...., des Oberamtmanns jüngste Tochter, schon lange. Wären meine Umstände früher in der Lage gewesen, darinn sie jetzt sind, ich hätte schon vor drey Jahren um ihre Hand angehalten.

Mit einem Worte! Ich darf mit Zuversicht hoffen, geliebt und glücklich zu seyn; Weil es aber doch eine langweilige Sache für einen Dritten ist, von dem Liebhaber die Apologie seines Mädgens zu hören; so will[67] ich Ihnen lieber eine kleine Erzählung von meiner Reise machen.

Nachdem ich die Beystimmung aller übrigen Verwandten meiner künftigen Frau gewonnen hatte; so kam es darauf an, einen alten Oncle von ihr für mich einzunehmen, der an dem Hofe des kleinen Fürsten von .... lebt, und ein ganz sonderbares Original von Manne ist. Er ist reich; meine Braut hat einst viel von ihm zu erwarten, und obgleich es sonst ganz ausser meinem Character ist, dem elenden Gelde nachzulaufen; so dachte ich doch: »es ist der Mühe werth, den alten Sünder zu gewinnen, den Podagra und Geiz bald zu seinen Vätern versammlen werden.«

Ich reisete also hin, ausgerüstet mit allerley Nachrichten von der Denkungsart des Mannes, den ich zu behandeln hatte.

Es war zu spät als ich ankam, um sogleich zu ihm zu gehn; Es war etwa sieben[68] Uhr des Abends. Der Wirth fragte, ob ich in Gesellschaft oder auf meinem Zimmer speisen wollte; Ich wählte das erste, und indeß der Wirthstisch gedeckt wurde, bath ich, weil ich allein war, den Herrn Hospes, mir ein Buch zu leyhen.

Er brachte mir ein Andachtsbuch, geschrieben von dem Herrn Avenarius in Schmalkalden – Ein originelles Werk in seiner Art! Die Leute, welche die in dieser Sammlung enthaltenen Gesänge, Predigten und Gebethe gemacht hatten, führten lauter sonderbare Namen, als Steuerlein, Pfefferkorn u.s.f. Voran stand allemal der Lebenslauf des Verfassers eines solchen Gesanges, und da fand es sich, daß sie mehrentheils Informatorn gewesen waren, deren höchst unwichtige Begebenheiten in dem wichtigsten Styl geschrieben waren. An typographischer Schönheit fehlte es auch nicht, denn alle Anfangsbuchstaben waren mit herrlichen Verzierungen versehen. Da sahe man ein I[69] mit einer Alongenperücke, eine Sonne, darinn ein Z stand, und dergleichen mehr – Welche Thorheiten doch der falsche Witz auch in die kleinsten Anstalten mischt!

Ich legte das Buch bald auf die Seite, fand ein Blatt vom Reichspostreuter, ersah daraus mit Vergnügen: wo der König von Neapolis zu Mittag gespeiset hatte; wie der König von Frankreich die armen Haasen und Hirsche bekriegt; durch welche Städte der russische Courier, von dessen Geschäften man nichts wisse, und der vielleicht an irgend jemand ein Paar Armbänder überbringt, passirt sey; in welcher fürstlichen Menagerie eine Leopardinn trächtig ist; für welche schwangere Fürstinn die Kirchengebethe geschehen; ob ein Prinz auf Reisen gegangen; ob irgendwo ein Zwerg oder Zwitter zu sehen ist; was man in Hamburg von den Verhältnissen der bourbonischen Höfe urtheilt – Und während des Lesens kam denn nach und nach meine Gesellschaft.[70]

Ein Amtmann aus der Nachbarschaft, der Apotheker des Orts, ein abgedankter Officier, ein Kaufmann, und ein Mann, der sehr mystisch aussah, waren nebst mir die Tischgäste.

Man sprach anfangs wenig; Als man aber sich mit Speise und Trank gelabt hatte, wurde die Unterredung lebhafter.

Mich kannte man nicht, und lästerte daher oft über meinen künftigen Oncle. Man sagte: er trinke aus Geiz Kräuterthee, weil derselbe wohlfeiler wäre. Dabey glaube er immer, er sey krank, und habe neulich den Doctor eilig des Nachts aus dem Bette holen lassen, und dieser, weil er glaubte es sey Gefahr da, lief geschwind im Schlafrocke hin. Es fand sich aber, daß das Uebel sehr gering war, und daß der alte gnädige Herr es sehr übel aufnahmen, daß der Doctor in einer so unehrerbiethigen Kleidung erschien. Der Arzt, der ein schlauer Mann ist, merkte sich[71] das, und als er bey einem ähnlichen Vorfalle aus dem Schlafe geweckt wurde, schickte er, statt seiner Person, seinen besten Sonntagsrock nebst der Perücke hin.

Der Apotheker kam hier in sein Fach. Er sprach von Medicamenten, welche bey ihm verschrieben würden. Als er die Confectio al Kermis nannte, glaubte der alte Officier, es sey Confect zur Kirmiß, welcher Misverstand dem Herrn Amtmann gute Laune machte. Bald nachher aber war von Comödien die Rede, und da sagte der Amtmann: das sey eine gute Motion, worüber denn wieder der Officier lachte. Der Amtmann verließ früh die Gesellschaft.

Da gieng es denn über den Fürsten her. Man erzählte unter andern ein Stückgen von ihm, das auch der Mühe des Nacherzählens werth ist. Dieser Sultan hatte nemlich, bey der Niederkunft seiner Gemahlinn, das ganze Ländgen zu Gevatter gebethen. Unterdessen[72] reiseten ein Paar Leute auf den Dörfern umher, und stellten den getreuen Unterthanen vor, es sey doch billig, für diese landesväterliche Aufmerksamkeit, dem gnädigsten Herrn ein Pathengeschenk zu geben. Jede Gemeine wurde auf diese Art bewegt, sich zu einer freywilligen Gabe zu unterzeichnen. Nachdem diese Finanzoperation vollbracht war, fieng man an, die Gelder einzutreiben, und – O! Schande für den kleinen Despoten! – man exequirte, und nahm den armen Leuten die Betten aus den Häusern, um ihnen dies willkührliche Geschenk abzujagen.

Der Kaufmann sprach beständig von Pferden; Ich glaubte er handelte damit, erfuhr aber, daß er nicht ein einziges im Stalle hätte. – Wunderbar genug, dachte ich, daß der Mensch zuweilen seine Fantasie mit Gegenständen nährt, die er nicht besitzt, oft nicht besitzen kann, und wovon ihm also die Kenntniß völlig unnütz ist. Wie mancher mischt sich auf diese Art in[73] Staatshändel, in Geisterlehre, und allerley für ihn verlohrne Dinge. Ja, dieser Kaufmann überschrie uns alle mit seinen Pferdegesprächen, und widersprach nur rund weg jedem andern Vortrage, um bald davon ab brechen, und auf seine Lieblingsmaterie kommen zu können. Er hatte die wahre Gabe zu überreden, in dem Sinne, wie man jemand überreitet, nemlich über den Haufen reitet.

Endlich verlohr sich nach und nach die Gesellschaft, bis auf den mystischen Mann, der beynahe keinen Laut von sich gegeben hatte. Es war eine abgezehrte, blasse, kränkliche Figur, etwa vierzig Jahr alt, aber dem ersten flüchtigen Anblicke nach hätte man ihm zehn Jahr mehr gegeben. Er hatte dünne graue Haare, hinten in einen kleinen Zopf gesammlet, eine Art von Tonsur, steckte in einem sehr abgetragenen braunen Rocke mit gelben Knöpfen, und hatte sehr schmutzige Hände, als Einer, der vielerley angreift.[74] Sein Blick war unsicher, irrend, und zuweilen ohne Kraft in die Höhe strebend.

Er hatte mich vom Anfang an auf dem Korn gehabt; es schien, als mögte er es mit mir allein zu thun haben. Weil ich nun nicht gern jemandes Hofnung täusche; so blieb ich gegen ihm über sitzen, als die Andern fort waren.

Kaum war der Letzte hinausgegangen, als er näher an den Tisch rückte, und ausrief: »Mein Gott! mit welchen Kleinigkeiten beschäftigen sich diese Leute!«

»Ja wohl!« sagte ich. »Aber es ist nun einmal so durch alle Stände im menschlichen Leben, daß jeder das für groß hält, was Beziehung auf seine kleine eingeschränkte Sphäre hat, indeß er alles übrige, was Andern wichtig scheint, verachtet.«

»Das ist wohl wahr,« erwiederte er, und darüber wird die einzige Wissenschaft,[75] welche uns Aufklärung über alles in der Natur giebt, so schändlich hintangesetzt. Darum giebt es so wenig wahre Philosophen, weil die Menschen so thöricht sind, das für wichtig zu halten, was in dieser irdischen Welt um sie her ist, in welcher doch der Geist nur gereinigt werden soll, um demnächst wieder in die Urquelle zurückzufliessen: Aber es giebt doch, Gott sey Dank! Männer, die, in dem wahren Genusse der hermetischen Philosophie, Licht um sich her verbreiten, und jener verheissenen Periode entgegen arbeiten, in welcher das Reich des Belial zerstört, und die Sinnlichkeit unterdrückt werden, in welchem das Geistige wieder über das Materielle siegen wird. Ja, mein Herr! Ich glaube es Ihnen anzusehen, und habe es aus verschiedenen Worten, die Ihnen entfahren sind, geschlossen, daß ich mit Ihnen frey sprechen kann. Sie sehen hier einen Mann in mir, den Sie vielleicht nicht erwarten. Ich kann wohl sagen, in mir ist mehr Gnade wirksam[76] geworden, als ich schwacher Mensch verdiene; Aber nun bin ich auch, obgleich in »Demuth, über alle Weltkleinigkeiten hinaus, dringe mit dem Geiste in die Natur ein, und schmecke in reichem Segen, wie freundlich der Herr ist.«

»Also,« unterbrach ich ihn, »sind Sie vermuthlich ein Adept?«

»Mein Herr und Bruder!« sagte er mit der lächerlichsten Würde, »Unser Wissen ist Stückwerk, und alle Erkenntniß kömmt von oben herab; Aber was meine Augen gesehen, und diese Hände gefördert haben, das ist in meinem Herzen verschlossen, und nur einem treuen Mitverbundenen darf ich es offenbahren, wie groß die Herrlichkeit an mir gewesen ist. Sehen Sie nicht auf diesen Rock! Ach du lieber Gott! der Weise ist darüber hinaus, und meine Umstände sind jetzt leider so, daß ich nicht Gelegenheit haben kann, zu arbeiten, sonst wollte[77] ich des Goldes mehr haben, als zehn Könige aufzutreiben im Stande wären. Ich reise blos deswegen, um einen würdigen Bruder aufzusuchen, der empfänglich für die Wahrheit, und nicht ganz fremd in der salomonischen Wissenschaft ist, mit dem ich dann arbeiten, und ihm etwas zeigen könnte, das die Augen ergötzt, und das Herz froh macht. Um Verzeihung! Sie wohnen hier in der Nähe?«

»Nein!« antwortete ich trocken, und stand auf, denn ich merkte nun wohl, mit wem ich es zu thun hatte – Aber er erhob sich auch von seinem Stuhle und trat vor mir hin: »Mein Herr!« sprach er, »Sie haben ein menschenfreundliches Herz. Können Sie mir nicht mit einer Kleinigkeit beystehn? Vielleicht bin ich im Stande, Ihnen einst hunderttausendfältig wiederzugeben, was Sie heute an mir thun, denn meine Zeit ist noch nicht gekommen; doch kann ich Ihnen ein Arcanum für Ihre[78] Gesundheit geben. Hier haben Sie ein Gläsgen mit einer hohen Arzeney; zwar nicht die erste Hauptmedicin, aber doch Tropfen, die Sie, wann Sie mir folgen, mäßig leben, und Glauben haben« –1.

Ich ließ ihn nicht ausreden, griff in die Tasche, gab dem Narren etwas Geld, aber keine Vermahnung (denn solche Leute sind nicht zu curiren). Ich verbath seine Arzeney, ließ ihn stehn, und gieng zu Bette.

Den folgenden Morgen also rüstete ich mich aus, dem alten Herrn Oncle meine Aufwartung zu machen. Ich ließ mich, sobald[79] ich angezogen war, durch meinen Bedienten, der seine beste Livree anziehen mußte, melden, und sann unterdessen nach, wie ich meine Rede einleiten, und wie ich es anfangen wollte, den Mann für mich einzunehmen.

Ich bin glücklich in meinem Vorhaben gewesen; soviel will ich Ihnen heute nur noch sagen. Die Art aber, wie ich es angriff, und die übrigen Umstände meiner Reisebegebenheiten, behalte ich mir vor, Ihnen in meinem nächsten Briefe zu erzählen.2

Es soll mich innigst freuen, wenn Ihnen mein Geplaudere einige heitere Augenblicke macht. Noch einmal! muntern Sie sich auf, würdigster Freund! und zweifeln nie an der treuesten Freundschaft


Ihres

Ihnen ewig ergebenen

v. Weckel.

Fußnoten

1 Ich vermuthe nicht, daß der Herr von W. hier die hermetische Philosophie angreifen, sondern nur die Leute lächerlich machen will, welche, wann sie aus Büchern, die sie nicht verstehen, ein mystisches Gewäsche auswendig gelernt haben, in der Welt umherreisen, auf leichtgläubige Thoren und Schwärmer Jagt zu machen.


2 Der sich aber nicht in dieser Sammlung findet.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 81.
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