Zehnter Brief.

An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin.

[83] ... den 12ten August 1771.


Bester, ewig geliebter Freund!


So werden dann endlich unsre Wünsche erfüllt! – Meine Eltern sind von allem zufrieden, und haben schon unserm Wohlthäter geantwortet – Vor Freuden zittert die Feder in meiner Hand – Auf meinen Knien habe ich Gott gepriesen, der unsres Leidens ein Ende macht –

Zwar soll ich noch ein Jahr, ein langes Jahr von Ihnen getrennt leben – Das ist hart – Doch, ich will nicht murren; In[83] meinem Herzen sind Sie so gegenwärtig, als wenn ich Sie in meinen Armen hätte. –

Aber wirst Du mich auch nicht vergessen, Einziger, liebster Carl! mich nicht vergessen, wenn Du unter liebenswürdigern Mädgen umherschwärmst – O! wenn du das könntest! – Doch nein! das kannst Du nicht. Du wirst nicht wollen, daß Dein armes Mädgen sich abhärmen, aus Kummer dahinsterben soll – Haben wir uns nicht vor dem Angesichte des Höchsten ewige, unwandelbare Liebe geschworen? Bist Du nicht ein treuer, redlicher Mann? –

Guter, bester Freund! Ach! wenn ich daran denke, was ich ausgestanden habe, und welche frohe, wonnevolle Tage ich itzt ahnden darf – Ich kann nichts davon schreiben – Es ist zu viel in meinem Herzen – Ich mögte alles wieder ausstreichen; Es steht so kalt da – –[84] Schreiben Sie doch ja gleich an meine Eltern, und danken ihnen, wie es Ihnen Ihr Herz eingeben wird – Die guten Eltern! Sie lieben Dich herzlich, theuerster Carl! –

Wir erwarten Sie nun bald hier – Ich muß den Brief schliessen; der Bothe geht in die Stadt – Tausendmal drücke ich Dich zärtlichst an mein Herz – Morgen fange ich einen neuen Brief an – Komm ja bald zu


Deiner

Charlotte.[85]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 83-86.
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