Zwölfter Brief.

An den Herrn Secretair Meyer in Dresden.

[87] Urfstädt den 22sten August 1771.


Dieses, mein bester Freund! ist also das letztemal, daß ich Ihnen vor Ihrer Herkunft schreibe. Sie haben doch mein Paquet von voriger Woche erhalten? Der junge Wallitz hat mir durch seinen Brief, der nur zu voll von überspannten Ausdrücken der Dankbarkeit war, einen rührenden Beweis seines zarten Gefühls gegeben. Empfehlen Sie mich ihm herzlich, und entschuldigen es, daß ich ihm nicht antworte; Wir sehen uns ja bald hier; Sie würden heute auch nichts mehr von mir lesen, wenn ich nicht grade eine einsame Abendstunde mir damit zu erheitern[87] dächte, daß ich ein bisgen zu Ihnen plaudere.

Ich war gestern Simoldsstein, und hörte den berühmten Prediger, dessen Beredsamkeit man so sehr erhebt. Dabey habe ich die Bemerkung erneuert, wie viel darauf ankömmt, ob man den sittlichen Character des Mannes schätzt, der gute Dinge sagt, und daß auch von dieser Seite ein Seelsorger doppelte Ursache hat Beyspiel zu geben, wenn er verlangt, daß seine Lehren Eindruck machen sollen.

Mich dünkte würklich der Mann sagte vortrefliche Sachen; Er trug sie auch mit Wärme vor; Er predigte von der Liebe des Nächsten, von Wohlthätigkeit, von guten Werken, zeigte, wie unvernünftig es ist, wie sehr es den redlichen Mann niederschlagen muß, wenn ihm sein Geistlicher sagt, daß ihn seine guten Werke, seine rechtschaffnen Handlungen nicht selig machen können.[88] Als wenn die möglichste Erfüllung unserer Pflichten nicht jedem Redlichen, hier ohne seine Schuld Gekränkten, einen sichern Anspruch auf die Gnade des Schöpfers gäbe! Als wenn nicht eifriger Wille und treues Bestreben gegen die verderbte Natur zu kämpfen, das herrlichste Verdienst in den Augen des mit seiner Liebe alle Creaturen umfassenden Gottes wäre! Als wenn nicht durch die natürlichen Folgen guter Handlungen Geist und Körper veredelt, und dadurch zu einem bessern Zustande der Verklärung vorbereitet würden – Der einzige vernünftige Begriff, den man sich von einem künftigen Leben, von einem feinern Würkungscreise machen kann –

Das alles sagte er vortreflich, ohne alle dogmatische Narrheiten, faßlich und fühlbar für jeden Stand, befriedigend für jede Religionssecte. Aber so wie er da stand und Tugend predigte, indeß die Arglist aus seinen schüchternen, jedem festen Blicke ausweichenden[89] Augen hervorblinzte, misfiel mir jedes Wort, das er redete.

Er ist ein heimlicher Jesuit, und, so jung er ist, schon von einem andern schlauen Bösewichte, der an dem nemlichen Orte wohnt, und das System der Bosheit theoretisch und practisch einem kleinen Circul um ihn versammleter Jünger docirt, in ihre schändlichen Grundsätze eingeweyhet.

Aeusserst einschmeichelnd drängt er sich in Familien ein, um dort Uneinigkeit und Zwist zu verbreiten, alle heiligen Bande der Gesellschaft aufzulösen, über Wahrheiten zu spotten, die er selbst, des schändlichen Gewinstes wegen, lehren muß, und worauf so viel Menschen ihre innere Glückseligkeit bauen; behauptet, wo er es ungestraft thun kann, daß die Moral ein Hirngespinst sey, daß jeder seinen eigenen Vortheil suchen dürfe, und daß es, weil das kurze Leben doch nur durch sinnlichen Genuß und Entfernung von[90] aller Art Schmerz leidlich werden könne, jedem freystehn müsse, sich auf Unkosten Anderer diejenigen Freuden zu verschaffen, welche ihm die angenehmsten wären –

Doch, wir wollen einen Vorhang zwischen uns und diesen Mann ziehen – Es wird eine Zeit kommen, wo das bedrängte Herz, welches die Uebertretung so vieler süssen Pflichten auf sich liegen hat, deren Erfüllung allein die Harmonie der Schöpfung befördern helfen kann, allen Jammer seiner Herabwürdigung fühlen, sich vergebens nach Ruhe und Frieden sehnen, und umsonst die übel verwendeten Stunden, das gegebene Aergerniß verwünschen mögte; Indeß der verkannte gekränkte Redliche, der nicht gepredigt, aber im Stillen groß und edel gehandelt hat, voll Zuversicht auf die allmächtige Liebe, mit sanftem Lächeln aus dieser Vorbereitungsclasse in eine bessere Welt übergeht – Von Wenigen gekannt, von den Thränen einiger Edlen begleitet, die ihm zum letztenmal mit[91] sanftem Händedrücken für das vielfache Gute danken, so er an seinen Freunden, in dem häuslichen Circul, der ihm anvertrauet war, und (so viel es gegen die Hindernisse, welche ihm böse verirrte Menschen in den Weg legten, zu ringen möglich war) für die Welt gethan hat.

Nach der Kirche besahen wir das Schloß und die Gärten des regierenden Grafen. Das ist der saubere Landesvater, von welchem der Herr von Weckel so viel Geschichtgen weiß. Er hat mir kürzlich ein Paar davon erzählt, die würklich einen traurigen Beweis von der Ausartung unserer Staatsverfassungen und von dem schönen Despotismus der kleinen deutschen Tyrannen geben.

Dieser Graf verführt nemlich seine eigenen Bediente, durch abgeschickte Schelme, daß sie sich müssen bestechen lassen; dann macht er ihnen den Proceß, und zieht ihr Vermögen ein, oder erlaubt ihnen, aus[92] gräflicher Gnade, sich mit einer ansehnlichen Summe von der Strafe loszukaufen.

Ueberhaupt darf bey ihm jeder für Geld alles thun. Er hat unter andern eine Verordnung ergehen lassen, welche festsetzt, wie oft die Leute die Kirchen besuchen sollen. Auf den Uebertretungsfall ist Geldbuße gelegt. Wer sich aber abonnirt, und jährlich acht Thaler giebt, kann das ganze Jahr durch den Gottesdienst versäumen.

Einer von seinen ersten Staatsbedienten bekömmt jährlich zweyhundert Thaler, wovon er aber seinem Herrn hundert als Kostgeld für die Hoftafel geben, und mit funfzigen eine Pharaobank im Schlosse machen muß.

Sagen Sie mir, ist es nicht erschrecklich, daß ein gutes, ehemals freyes Volk, sich von solchen Menschen muß regieren oder vielmehr schinden lassen?[93]

Der Mann, der die Finanzen dieses Sultans dirigirt, ist ein Projectenmacher, der nur auf dem Papiere gelehrt ist. Er mag sonst ein redlicher Mann seyn; Aber nicht alles ist anwendbar, was in der Theorie herrlich aussieht. Ich gebe es zu, daß was theoretisch wahr ist, es auch in der Praxis seyn muß. Aber eben bey dieser Wahrheit müssen die Ausnahmen nicht vergessen werden, welche bey einzelnen Localumständen eintreten.

Ich schätze einen Mann sehr hoch, der über Cameral- und Finanzwesen gute Bücher schreibt. Wenn er Genie hat; so wird er manche feine kühne Idee zur Welt bringen, die Gelegenheit zu nützlichen Einrichtungen geben kann. Aber dem practischen kältern Geschäftsmanne muß man es überlassen, zu prüfen, ob eine Erfindung, ein Project anwendbar ist oder nicht, und ihm auch die Ausführung übertragen. Jeder schöpferische Geist ist in seine Systeme, in das Werk seiner[94] Phantasie verliebt. Dahinein soll durchaus alles passen. Kömmt er an das Ruder; so bringt er alles in Verwirrung. Mancher Kriegsminister, der einen herrlichen Plan zu einem Feldzuge entwirft, woraus die Generale großen Nutzen ziehen, würde sich sehr schlecht dazu schicken, das kleinste Commando zu übernehmen. Wenn ich daher ein Fürst wäre; so glaube ich, ich würde solche aufgeklärte Schriftsteller besolden, um sie ausser der Nothwendigkeit zu setzen, ums Brod zu schreiben, und sie dann bitten in meiner Residenz zu wohnen, ihnen aber nie Geschäfte in die Hände geben.

Es geht mit allen menschlichen Kenntnissen also. Ich sehe eine Menge Leute, die aus Büchern den Menschen studieren, täglich das Spiel der Betrüger werden, sehe Leute, die das Landleben aus Idyllen und Romanen lieben gelernt haben, sich unter den Bauren ein unverdorbenes Völkgen von arcadischen Schäfern und patriarchalischen Landleuten[95] denken, in ein Dorf ziehen, dort so eine unglückliche, unbehagliche, schiefe Rolle als möglich spielen, und alles verkehrt anfangen, oder sich mit unbeschreiblicher Mühe herabstimmen.

Allein ich bin von meinem Grafen abgekommen; ich habe aber auch nichts mehr über ihn zu sagen, als daß ich fest hoffe, er und seine Herrn Mitbrüder werden wohl nicht lange mehr ihre kleinen Fürstentyrannien über unser armes Vaterland ausüben, und es wird einst ein Größerer auftreten, über sie kommen, und ihnen das Handwerk legen.

Es ist beynahe zu verwundern, warum nicht ganze Heerscharen von deutschen Bauren, die so entsetzlich-gemishandelt, vermiethet und gequält werden, und in so wenig Provinzen des Reichs, bey ihrem sauren Schweiße, nur einmal sich rühmen können ein Eigenthum zu haben, das nicht heute oder morgen, zu[96] Befriedigung einer schändlichen Leidenschaft, zu Bestreitung eines höchst unnützen Aufwandes, angegriffen wird, daß dies Volk nicht auswandert. Wo in der Welt können sie es wohl schlimmer haben? Aber der süße Hang zum Vaterlande, der (man sage was man will) doch schwer zu ersticken ist, fesselt sie an ihre väterlichen einstürzenden Hütten, die Wohnungen des Jammers und Elendes.

Vaterlandsliebe ist kein Vorurtheil. Unsre Glückseligkeit hängt oft an sehr kleinen Fäden, hängt von so geringen Eindrücken, von so kleinen Dingen ab, an welche wir einen eingebildeten Werth heften, und sie so viel Jahre hindurch zu unsrem Bedürfnisse gemacht haben, daß es uns sehr wehe thut, wenn man uns aus diesen Schranken reißt. Dazu kömmt dann die Annehmlichkeit des Umgangs mit Personen, die einerley Art von Erziehung, einerley Richtung des Geistes haben, denen wir uns eher mittheilen und verständlich machen können. Ich bemerke auch in der[97] That, daß dadurch unser sittlicher Character mehr Eigenthümlichkeit, mehr Festigkeit erhält. Kinder, die auf Reisen gebohren und erzogen, mit ihren Eltern immer umherziehn, oft in ein andres Land verpflanzt werden, bekommen würklich weniger Gepräge. Ach! und dann ereignen sich auch Vorfälle im menschlichen Leben, wo man von Fremden wenig Schutz zu erwarten hat, wo man nur in dem Schooße der Leute, die durch gemeinschaftliches Interesse, Gewohnheit, häusliche und bürgerliche Bande an uns geknüpft sind, Trost und Hülfe finden kann. – Ja! wenn die Welt wäre, was sie seyn sollte, Ein Haus für Brüder, für Kinder Eines Vaters – Aber –

Doch ich komme in den Predigerton; Ich denke Sie sind eben so müde zu lesen, als ich zu schreiben. Leben Sie wohl, edler Mann! Ich bin mit herzlicher Ergebenheit

Ihr

Freund

Leidthal.[98]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 87-99.
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