Sechzehnter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt.

[134] London-Schenke in Hannover

den 12ten September 1771.


Bis dahin, bester Vater! sind wir glücklich gekommen, und es gefällt uns ganz gut hier. Wir sind Alle fröhlig und guter Dinge, unsern ehrlichen Meyer abgerechnet, der zuweilen Anfälle von Hypochondrie hat, so sehr er sich auch beeifert, ein heitres Gesicht anzunehmen. Doch hoffe ich, es soll sich schon nach und nach legen; wenigstens thut der Herr von Weckel redlich das Seinige dazu. Er überrascht uns jeden Augenblick mit höchst possierlichen Einfällen, pinselt alles, was uns aufstößt, mit bunten lustigen Farben an, und hat uns unterwegens in[134] jedem Wirthshause, wo wir einkehrten, eine comische Scene gegeben.

Vorgestern, sobald wir ankamen, zogen wir uns an, und fuhren herum, unsre Addressen abzugeben, wobey wir ein Paar interessante Bekanntschaften machten. Beyliegender Brief des vortreflichen Z ... an Sie,1 theuerster Vater! wird Ihnen darüber mehr erzählen. Wir geniessen den wohlthätigen Umgang dieses großen Mannes in ganzer Fülle.

Ich finde es täglich mehr bestättigt, was Sie uns über den Character der Niedersachsen gesagt haben. Diese glücklichen Provinzen von Teutschland haben weniger von der Ueberschwemmung der französischen Lebensart gelitten. Es herrscht hier mehr Festigkeit, Eigenheit, Würde, Mannheit, und doch zugleich mehr wahre Sanftmuth und Milde, als in den leichten Provinzen[135] am Mayn und Rhein. Der Niedersachse ist nicht zuvorkommend gegen Fremde, er dringt sich nicht so bereitwillig auf, wie der nach französischem Muster verschnittene Rheinländer; Aber wenn er seinen Mann geprüft hat, und ihm dann einmal treuherzig die Hand schüttelt; so darf man darauf mehr zählen, als auf tausend Süßigkeiten, die jener seinen fünf und funfzig Freunden täglich sagt, wobey er nichts fühlt, und die er für jeden, der ihm eine gute Stunde machen kann, in Bereitschaft hält, so lange es nicht auf thätige Hülse, auf irgend eine Aufopferung ankömmt. Es versteht sich wohl, daß diese Anmerkungen nicht allgemein passen; das wäre freylich hart; Im Ganzen aber muß jeder unpartheyische Beobachter dieselben wahr finden.

Hannover ist weder groß noch besonders schön gebauet, aber sehr bevölkert, und es herrscht hier eine gewisse Opulenz, ein Ansehn von Wohlstand. Mich dünkt die Leute sehen Alle so aus, als wenn sie ein gutes Gewissen[136] hätten, voll edlen Stolzes wären, und sich zu keiner Niederträchtigkeit herablassen könnten. Es sagte mir gestern jemand: es freue ihn, daß doch nun der hiesige Adel anfienge zu reisen, sich mit fremden Sitten bekannter zu machen, und geschliffener zu werden – »Und warum« fragte ich »freuet Sie das? Glauben Sie, daß der Character dadurch gewinnen wird? Lassen Sie immer den Schimpf auf ihren Landesleuten hängen, daß sie ihr schönes Geld am liebsten zu Hause bey ihren Unterthanen verzehren, ihr väterliches Gut nicht bey den Ausländern verprassen, nicht jedem durchreisenden Abentheurer, der bey ihnen nichts zu suchen hatte, mit einer Legion von Complimenten entgegenfahren, noch ihn bitten ihr Haus als das seinige anzusehn, und ihre Weiber und Töchter zu verführen; Wenn nur übrigens ächte teutsche Sitte und Redlichkeit in ihren Herzen wohnt« –[137] Der Mann war im Grunde mit meiner Meinung einverstanden, fügte aber doch hinzu: es sey ehemals diese Zurückhaltung gegen Fremde zuweilen übertrieben worden, und weniger die Folge einer soliden vorsichtigen Denkungsart, als vielmehr eines Ahnenstolzes und einer gewissen, den Engländern abcopierten Verachtung alles dessen gewesen, was nicht auf ihrem Grunde und Boden gewachsen wäre.

Viel Merkwürdigkeiten sind hier nicht zu sehen, doch darum reisen wir ja auch nicht. Das Lustschloß Herrnhausen hat einen großen langweiligen Garten, und ein sehr schlechtes, nicht einmal massiv gebauetes Schloß, in welchem die antiken Büsten, die ein wenig durch unvorsichtiges Reinmachen gelitten haben, (denn sie stehen im Orangeriehause, wo sie im Winter von den Ausdunstungen angegriffen werden) das beste sind. Die Wasserkünste sind eine Seltenheit; die große Fontaine springt ungeheuer hoch und dick, welches um so mehr zu verwundern seyn mag,[138] da das Ganze durch Kunst getrieben wird, indem das Wasser gar reinen Fall hat. Deswegen ist es aber auch nicht möglich, sie ohne Zerrüttung der Maschiene immerfort springen zu lassen – Doch ich verstehe davon nichts; und überhaupt ist ein solches Werk nur dem Mechaniker wichtig, macht aber auf den Fremden, der ein Ding nach dem Maaße des Vergnügens oder des würklichen Nutzens, welchen es gewährt, beurtheilt, wenig Eindruck.

Die königliche Bibliothek ist vorzüglich stark im historischen Fache, und an Leibnitzischen Manuscripten. Ich mögte wissen, ob es wahr ist, was uns einst Herr Müller erzählte, daß man unter dieses Weltweisen Papieren einen Briefwechsel mit Jesuiten gefunden haben sollte, darinn er sich anheischig gemacht, gegen eine Summe Geldes die Transsubstantiation, metodo mathematica zu beweisen.2[139]

Das Haus, in welchem diese Büchersammlung zugleich mit dem Archive ist, sodann ein Theil des Schlosses nebst dem Opernhause, die Marställe, das Buschische Haus, und einige andre sind die vornehmsten Gebäude. Die Egidien-Neustadt ist der schönste, obgleich minder bevölkerte Theil der Stadt, aber die Häuser sind mehrentheils leicht und nicht ganz von Steinen gebauet.

Man sieht eine Menge schöner Equipagen, und viel schön gekleidete Lakayen, wovon die Straßen stets voll sind; denn man ist gewöhnt, sehr viel Visiten zu machen, und selbst die Herrn Minister haben täglich des Morgens eine Art von Cour, statt daß an jedem andern Orte sich ein mit wichtigen Geschäften beladener Mann sehr wundern würde, wenn man ihm, ohne etwas mit ihm zu reden zu haben, des Morgens beschwerlich fiele. Hier aber wird dies als eine zum Wohlstand nöthige Sache angesehn.[140]

Der Aufwand in Kleidern ist nicht groß; besonders wird wenig an Flitterstaat gewendet, aber was man kauft, das ist theuer, fein und haltbar.

An der Landes-Regierungsverfassung wird nicht viel gekünstelt – Vielleicht um desto besser! Alles geht seinen nicht willkührlichen, einmal festgesetzten Gang. Einländer haben, wie billig, den ersten Anspruch auf Versorgung, und die Dienerschaft ist reichlich bezahlt.

Uebermorgen gehn wir über Hildesheim nach Braunschweig, und dieser Brief reiset mit. Bis dahin empfehle ich mich Ihrer väterlichen Gnade.

Carl.


Braunschweig den 16ten Abends.


Nun ergreife ich die Feder, mein bester gnädiger Herr! um Ihnen weiter von uns Nachricht zu geben.[141]

Die Gegend um Hannover ist ziemlich reizend; Es sind auch viel adeliche Güter in der Nähe. Ueberhaupt giebt es, wie bekannt, wenig teutsche Provinzen, in welchen der Adel so einträgliche Güter hat, als im Hannöverschen.

Hildesheim ist ein bischöflicher Sitz, das heißt: alle Straßen dieses finstern häßlichen Orts wimmeln von Betlern, indeß sich ein Heer müßiger Pfaffen zur Ehre Gottes mästet – Wir eilten weiter –

Braunschweig ist groß, war einst eine glänzende, reiche Stadt, ist aber jetzt ausser der Messe äusserst tod. Obgleich es so nahe an dem hannöverschen Lande liegt, und ehemals ein Stück desselben ausmachte; so herrscht doch schon einige Verschiedenheit im Character und in den Sitten beyder Stämme. Da sieht man, welchen großen Einfluß die Regierungsverfassung hat. Dazu kömmt noch daß, was die Stadt selbst betrifft,[142] Handelschaft und Hofsitten (und dieser Hof war einst sehr prächtig) dem ganzen Volke eine Wendung gegeben haben, wovon man in Hannover keine Spur findet. Ich bekenne es, ohngeachtet dieser größern Geschliffenheit, mögte ich doch lieber dort als hier wohnen, wenn ich einen dieser Oerter wählen müßte.

Wir haben hier Gelehrte und schöne Geister aufgesucht, auch einige schätzbare Menschen kennen gelernt. Die jungen Herrn sind sehr vergnügt, und ziehen mich den ganzen Tag durch alle Gassen. Morgen sehen wir die Lustschlösser und Wolfenbüttel.

Der Herr von Hohenau hat an seine Charlotte geschrieben; Ich bin so frey den Brief hier einzulegen. Es wird wohl viel verliebter Unsinn darinn stehen. Wie glücklich, daß ich ihn nicht zu lesen brauche![143]

Gern, bester Herr! mögte ich Ihnen etwas so recht aus meinem Herzen sagen, aber ich weiß nicht wie es kömmt, daß ich so wenig aufgelegt bin. Und dazu machen mir die Reisegefährten den Kopf so warm. Der Eine lacht über alles, der Andre schmelzt aus Empfindsamkeit, und der junge Wallitz wundert sich über alles, ihm ist alles neu, er findet alles schön, und aller Orten so viel vortrefliche Menschen – Ich mögte zuweilen aus der Haut fahren – Doch, warum sollte ich Ihnen, mein theuerster Herr! mit meinem Spleen zur Last fallen? – Ich küsse Ihnen ehrerbiethigst die Hände.

Meyer.


Zelle den 22sten.


Dieser Brief soll von hier fortgeschickt werden, und die hochansehnliche Gesellschaft trägt mir auf den Rest desselben mit der Erzählung unsrer weitern Reise anzufüllen.[144]

Indem ich nun lese, was meine Vorgänger geschrieben haben, um mich in ihren schleppenden Reisebeschreiberston hineinzuarbeiten; finde ich da zu meiner Befremdung des gelbsüchtigen Erzfeindes Meyers hämische Klagen über uns, die wir wahrlich in unserm kleinen Finger mehr Verstand haben (ich nehme den verliebten Herrn Bräutigam aus) als der Grillenfänger in seinem ganzen Körper. Mit so einem Menschen soll man nun leben, der nichts artig finden will, nicht einmal meinen Witz – Nein! das ist hart, das ist nicht auszuhalten.

Auf dem höchst angenehmen Wege von Braunschweig nach Wolfenbüttel, zwischen Gartenhäusern, Lustschlössern und anmuthigen Wäldern schlief er ruhig ein; Als wir nach Wolfenbüttel kamen, rief er aus: »Mein Gott! Ist das eine Stadt, eine ehemalige Residenz? Es wächst ja Gras auf den Straßen. Man sieht keinen Menschen. Am hellen Mittage meint man, die Leute[145] lägen alle zu Hause in ihren Betten.« Die herrliche Bibliothek nannte er einen unnützen, vergrabenen Schatz. Die erste freundliche Miene auf der ganzen Reise machte er, als er Lessingen sah. Doch war, was er auch zu ihm sprach, alles bizarr und verschroben. Er behauptete unter andern, wir kämen in reellen Kenntnissen gar nicht weiter, dreheten uns immer in dem Circul alter aufgewärmter Ideen herum, und daran wäre das Bücherschreiben Schuld. Da brächte ein jeder seine Einfälle zu Papiere, gäbe diesem Papiere Cours, und verewige dadurch seine Privatmeinungen. Die Nachkommenschaft werde dann von Jugend auf gewöhnt nur das schon Gedachte, als currante Waare Geltende, durchzulesen, ihre Gedankenreyhe nach diesem Muster zu knüpfen, und so gienge keiner einen neuen Weg. Man sollte, meinte er, um einmal eine Hauptrevolution in den menschlichen Erkenntnissen zu machen, alle Bibliotheken, groß und klein verbrennen, so wie Alexander der Große, um seiner Armee[146] alle Hofnung zu benehmen zurückzugehn, die ganze Gegend hinter sich und die sämtliche Bagage verwüsten und zertrümmern ließ.

Dergleichen Einfälle brachte unser hypochondrische Freund in Menge vor, und als wir auf der Reise von Wolfenbüttel hierher nach Zelle durch die lange öde Heide kamen, da hätten Sie ihn über die Natur schimpfen hören sollen. Indessen muß ich ihm die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß er sich hier noch so leidlich beträgt –

Aber der Herr von Wallitz bittet mich aufzuhören. Er will doch auch gern ein Paar Zeilen zu diesem allgemeinen Rapport setzen. Leben Sie also wohl, lieber, vortreflicher Freund! Ich werde Ihnen nächstens einzeln schreiben.

Weckel.
[147]

Verehrungswürdigster, theuerster Wohlthäter! Noch habe ich keine unangenehme Minute gehabt, seitdem wir in Urfstädt in die Kutsche stiegen. O! welch' ein Vergnügen ist doch das Reisen! Und wie viel lerne ich jeden Augenblick; Nicht nur, da ich viel neue Gegenstände, viel Menschen sehe, sondern auch indem dadurch die Gelegenheit entsteht, über unzählige Dinge und auf so verschiedene Art zu raisonnieren und raisonnieren zu hören.

Zelle ist ein gar allerliebster freundlicher, obgleich nicht großer Ort. Die Vorstädte machen den angenehmsten Theil davon aus; Auch wohnen darinn die angesehensten Leute.

Die hiesige Lebensart ist so ungezwungen, der Ton in Gesellschaften so zutraulich! Der Umgang hat durch die Verwandtschaft der ehemaligen Herzoge von Zelle mit französischen Häusern, durch die hierher gezogenen Hugenotten und durch den Krieg grade so viel[148] von französischer Leichtigkeit angenommen, als nöthig ist, die glückliche Mittelstraße zwischen Steifgkeit und Frivolität zu halten – Eine herrliche Politur, die dem Gepräge nichts benommen hat.

Dazu kömmt, daß die verschiedenen Stände sich nicht absondern. Jeder sittliche, angenehme, sichre und verständige Gesellschafter (hätte er auch gar keine Ahnen) ist in Zelle in den ersten Circuln willkommen, da hingegen in Hannover das Ding ganz anders beschaffen ist.

Man fängt an, hier so wie bey Hannover, Gärten im englischen Geschmacke anzulegen.

Wir haben diesen Morgen eine öffentliche Anstalt gesehen, wobey freylich ein gefühlvolles Herz lebhaftes Mitleiden empfinden muß, worinn wir aber doch zugleich die Ordnung der Aufsicht, den Kostenaufwand, und die Reinlichkeit bewundert haben; Ich meine[149] das Zucht- und Tollhaus. Sollte ich etwas daran aussetzen; so wäre es, daß diejenigen Unglücklichen, welche Verbrechen halber daselbst eingesperrt sind, wenn sie kein Vermögen haben, mit den Schwachen, Verrückten in dem nemlichen Zimmer sitzen, den ganzen Tag Unsinn hören müssen, und dadurch zuletzt auch in Gefahr gesetzt werden, den Verstand zu verliehren. Ferner dunkt es mich, daß einige Personen, die warscheinlich nicht ganz, oder nicht immer, sondern nur bey Mondswandelungen toll sind, zu enge eingesperrt werden, wodurch ihr Gemüth beängstigt, ihre Krankheit vermehrt und unheilbar wird.

Uebermorgen reisen wir weiter, und denken den 26sten in Göttingen zu seyn.

Ich verharre mit dankbarster Ehrerbiethung,


Ihr

gehorsamster Pflegesohn

Wallitz.

Fußnoten

1 dieser findet sich nicht.


2 Wenn das wahr wäre; so hätte der vortrefliche Stattler in Ingolstadt einen großen Vorgänger gehabt.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 151.
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