Vier und zwanzigster Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt.

[224] Frankfurt am Mayn

den 11ten November 1771.


Theuerster, gnädiger Herr!


Der fröhlige Herbst ist schnell vorübergegangen, und wir haben die liebe Pfalz recht ungern verlassen. Mit Thränen in den Augen schieden wir von unsern theuren Freunden, obgleich wir Hofnung haben, sie bey unserer Zurückkunft aus Bayern wieder zu umarmen. Jetzt sind wir hier, und bereiten uns zu unserer Winterreise vor.

Ein Paar Tage waren wir in ..., wo wir die vortreflichen Menschen kennen[224] lernten, denen Sie uns empfohlen hatten. Wir sahen die herrliche Frau, deren seelenvoller Blick durch seine Würde und Anmuth mich rührte, mich zu ihr hinriß, indeß jedes Wort aus ihrem Munde das sanfteste Herz und den feinsten Geist verrieth. Ihr verdienstvoller Gatte kam uns entgegen, mit freundlicher, einladender Miene. Auf seiner Stirne wohnt Heiterkeit, Bewußtseyn innerer Güte, heiliger Frieden. Und der große Mann, dessen Nahmen ich nicht ohne Rührung ausspreche, der den Muth hatte, dem mächtigen Schurken sich kühn entgegenzustellen, ihn seines Unrechts zu zeugen und, als das nicht helfen wollte, ihm seine Geschenke vor die Füße zu werfen; der nicht Wohlthaten annehmen mogte von dem, der gute Leute drückt, und den er verachten mußte; der, da er das Unrecht nicht hindern konnte, das seinem Freunde geschahe, so edel dachte, allem Glanze, allen Vortheilen zu entsagen, alle Bande, die ihn an den elenden Unterdrücker knüpften, zu zerreissen, und sich in einen[225] ruhigen Privatstand zurückzuziehn, wo er, wenn er nicht alles Gute würken kann, das sein großes Herz wünscht, wenigstens der Ungerechtigkeit nicht zu schmeicheln braucht – O! wenn es der Männer viele gäbe, die diesem Beyspiele zu folgen Willen und Kraft hätten! Wie zahm würden unsre kleinen Tyrannen, wie leer die Vorzimmer der Erdengötter werden! Mögtest Du, verehrungswürdigster Mann! wissen, was ich in dem Augenblicke, da ich dies schreibe, voll Enthusiasmus für Dich, fühle! – Aber warum solltest Du es erfahren? Was fragt die Sonne darnach, ob der Dichter sie besingt? Sie scheint in majestätischer Größe, und wärmt Kind und Mann.

Auch habe ich die beyden Domherrn von ... und ... gesehen. In dem Circul dieser vortreflichen Leute brachten wir ein Paar Tage, im Vorschmacke des Himmels hin. Ich war vorher mismüthig und traurig; Aber wenn ich noch solche Menschen in[226] der Welt antreffe; so dünkt mich, ich mögte Muth fassen, daß noch einmal wieder auf dieser Erde Glück und Ruhe herrschen werden.

Speyer ist ein so trauriger Steinhaufen, als ich je einen gesehen habe. Der Dom hat etwas Schauer erweckendes, feyerlich Ehrwürdiges.

Wir giengen von dort zu Fuß nach Manheim, Schwetzingen, und von da durch die Bergstraße hierher, nahmen von Dorf zu Dorf Bothen mit, die ein Päckgen mit Nachtzeug trugen, und lernten da manche Originale kennen. Von Speyer aus hatten wir einen catholischen Knaben bey uns, der sehr vernünftig über die Religionssecten urtheilte, und unter andern sagte: er müsse gestehen, daß in seinem Dorfe die Protestanten bessere Menschen und wohlthätigere Christen wären, als seine Glaubensgenossen, und es käme ihm unwahrscheinlich vor, daß Leute, die[227] mehr Gutes thäten, einen geringern Anspruch an der Seligkeit haben sollten, als die, welche viel betheten, ihr Geld aus Schwachheit oder Eitelkeit müßigen und unsittlichen Pfaffen gäben, und indessen den elenden Dürftigen schmachten liessen.

Ein Wirth in Manheim schien nicht geneigt Fußgänger aufzunehmen; So sehr würkt das Vorurtheil. Der andre führte uns auf ein schmutziges Hinterstübchen, bis unsre Kutsche kam, und da nannte er uns Excellenzen, gab uns zwey schöne Zimmer ein, ließ uns tapfer auftischen, und noch tapfrer bezahlen.

Manheim ist völlig nach der Schnur gebaut, sieht aus wie ein Waffelkuchen, ganz einförmig, und hat manche schöne Häuser, alle neu und massiv, aber niedrig. Diese unbevölkerte Stadt, obgleich sie eine der schönsten in Europa seyn mag, gefällt mir nun gar nicht. Ich mag wohl sehen, daß[228] jeder sich seine Hütte nach seinem eigenen Geschmacke baue. Ich mag wohl den Erbauer, den Hausherrn, darnach beurtheilen. Ich mag Abwechselung sehen, kleine und große Gassen mit einander vergleichen können, Gewühle thätiger Menschen erblicken – Und das alles fehlt hier. Das Schloß ist groß, übrigens ein Schloß wie andre Schlösser; Schöne Zimmer, zum Theil prächtig tapeziert, und in jedem Zimmer eine Uhr, damit die müßigen Hofleute der faulen Zeit die zu langsam schleichenden Stunden nachrrechnen, und in jedem Zimmer ausrufen können: »Gottlob! wieder eine Minute überstanden!« In der Bildergallerie sind herrliche Stücke, besonders die beyden berühmten Köpfe, die mit einem nicht genug zu bewundernden Fleiße ausgearbeitet sind. Es war ein Fremder mit uns, der einmal gehört hatte, dergleichen ängstlicher Fleiß sey an einem Maler nicht zu loben. Deswegen tadelte er nun diese beyden Meisterstücke. Der gute Mann bedachte nicht, was er sagte.[229] Bey historischen Stücken, oder bey Portraits, wo man, durch die Lenkung der Aufmerksamkeit auf kleines Detail, das Interesse für das Süjet oder für die Aehnlichkeit schwächt, da kann die Regel wahr seyn; Aber wenn ich einen einzelnen Kopf male, der nichts weiter vorstellen soll als – einen Kopf, mit einer nichts Leidenschaftliches ausdrückenden Miene; dann ist ein Gemälde um so besser, je fleißiger es in den kleinsten Theilen ausgearbeitet ist. Ueberhaupt war alles was dieser Mann vorbrachte, gemein und elend. Der Herr von Weckel meinte, er sey fähig seinen Nahmen in eine Wirthshausfensterscheibe zu schneiden, und in ein Stammbuch: »estimer la vertu, c'est toujours ma maxime« u.s.f. zu schreiben. Wir aßen des Abends mit ihm im Gasthofe, und als er das Licht putzte, hielt er die Hand nicht frey, sondern legte die Lichtscheere zur Seite auf das Licht, so daß ein dicker Klumpen Wachs daran hängen blieb. Sie wissen, daß der Herr von Weckel dies schon für ein böses Zeichen hält.[230]

In Schwetzingen ist ein ungeheurer, großer, prächtiger Garten, der wohl wenige seines Gleichen in Deutschland hat, und es wird eine Summe, die hundert Familien glücklich machen könnte, jährlich dazu verwendet, nur sticht das alte gothische Schloß sehr dagegen ab. Es sind viel einzelne Schönheiten im Garten, doch muß ich offenherzig sagen, daß diese nicht ganz zusammenpassen. Alte Rudera und wilde, mit wahrhaftig edlen Geschmacke und Naturgefühl angelegte Gegenden, sind in der Mitte von regulairen Spaziergängen, von künstlichen Wasserwerken umringt, dahingepflanzt – Einfalt, Einfalt! wenn wirst du wieder Kopf und Herz der Menschenkinder leiten? Zu den türkischen Moscheen werden gewaltig viel Steine mit schweren Kosten aufgethürmt. Mir fiel dabey ein, was einst ein Engländer am Hofe des ... von ... sagte. Es reisete nemlich damals ein Steinfresser umher, der sich vor Geld sehen ließ. Der Fürst hatte eben eine Colonnade bauen lassen, welche dem[231] Engländer etwas kleinlich vorkam. Als dieser nun die Ankunft des Steinfressers erfuhr, lief er geschwind zum Obermarschall, und bath denselben: er mögte doch seinen gnädigen Herrn warnen, denn es sey ein Mann hierhergekommen, welcher wohl die Colonnade auffressen würde.

In Manheim verkauften wir unsre große schwere Kutsche (wovon der Herr von Weckel behauptete, der Ryswicksche Frieden sey darinn geschlossen) und haben hier eine andre erhandelt. Wir schickten sodann die Bedienten und Koffers mit dem Postwagen, und giengen zu Fuß fort. Ein siebenzigjähriger Porteur trug unser Päckgen bis an das nächste Dorf. Dort übernahm es der Feldschütz, und auf diesen folgte ein pensionirter alter Soldat, der manches erfahren hatte.

In Heppenheim wurde ein gesundes, fettes Bauermädgen unser Bothe, und beschämte uns im Schnell gehn – Die schöne[232] Bergstraße! Sie wissen, wie sehr ich diese Gegend liebe.

Von Zwingenberg aus gieng ein Jude mit uns. Es wurde Abend, und der arme Israelite fieng an Gespenster zu fürchten. Als die Sonne untergieng, legte er das Bündel weg, stellte sich gegen Morgen, verrichtete sein Gebeth, und lobte Gott mit allen seinen Gliedern. Wir sahen ihm andächtig theilnehmend zu; Sodann wünschte er uns einen guten Abend, und wir giengen mit ihm weiter.

Allein wir waren ermüdet, blieben also des Nachts schon in Eberstadt, in einem sehr schmutzigen Wirthshause. Den folgenden Morgen bekamen wir einen versoffenen, liederlichen Bothen, den wir bald zurückschickten, und nach der Reihe unsre Bagage selbst trugen.[233]

Also kamen wir nach Darmstadt. Nach vorhergegangener gehörigen Thor-Inquisition, liefen wir grade zu unserm herrlichen Freunde ... und bathen ihn um ein wohlthätiges Frühstück. Mehr als das aber erquickte uns sein Umgang, seine Gespräche voll Weisheit und Salz, seine lebhafte Einbildungskraft, sein feiner philosophischer Geist, und sein warmes, für das Gute und Wahre glühendes Herz. Es wäre mir lieb, wenn man den darmstädtischen Einwohnern bekannt machen könnte, daß ein solcher Mann in ihren Mauern lebt; Auswärts weiß man es schon.

Um zwölf Uhr giengen wir, begleitet von einem Trommelschläger hierher nach Frankfurt. Er holte sich erst einen Thorpaß, und gieng dann in seinen engen weissen Cammaschen, ohne welche er sich nie darf sehen lassen, mit uns. Er schien ein guter Kerl, soll auch vortreflich trommeln, und desfalls bey seinem durchlauchtigen Herrn beliebt seyn.[234]

Unterwegens sahen wir an dem Fenster eines Wirthshauses ein hübsch gekleidetes Frauenzimmer. Wir fragten unsern Begleiter, wer dieselbe sey, und erfuhren, daß es eine englische Werberinn wäre. Dies Weib lockt nemlich schöne junge Leute an sich, macht diese glauben, sie sey eine reiche Officierswitwe, läßt sich mit ihnen in ein Ehebündniß ein, reiset, nach der Trauung mit dem jungen Menschen fort, liefert ihn den Werbern der englisch-ostindischen Compagnie in die Hände, und kehrt dann heimlich zurück, ein neues Probestück zu machen.

Als wir hierherkamen, fanden wir das liebe Paquet aus Urfstädt. Die andern Herrn antworten sämtlich, also habe ich ihrentwegen nichts hinzuzufügen.

Diesen Vormittag sahen wir die Judengasse, und den Nachmittag haben wir in Offenbach zugebracht. In der hiesigen Judengasse fanden wir Ursache dem Himmel zu[235] danken, daß aus derselben nicht jährlich allerley ansteckende Krankheiten über die Stadt verbreitet werden. Einige tausend gedrückte, verstoßene, zum Theil sehr arme Geschöpfe, leben hier eingekerkert, in kleinen schmutzigen, oft fünf Stockwerk hohen Häusern, dürfen in keinem andern Theil der Stadt wohnen, ja! nicht einmal zu jeder Zeit noch an jedem Orte spazieren gehn – Das ist unsre christliche Art mit einem Volke umzugehen, das dieselben Freyheitsrechte der Menschheit wie wir hat, von welchem wir auf gewisse Art abstammen, das wenigstens mehr Originalität, Eigenheit, und mehr Reinigkeit der Sitten unter sich erhalten hat, als wir, und welches wir nun zwingen, indem wir ihm, auf die unedelste Art, alle Mittel zu andrem Erwerbe abschneiden, sich vom Wucher zu nähren. Die Juden helfen sich unter einander, halten zusammen, führen selten Processe unter sich, indeß wir, die ungroßmüthigen Unterdrücker, uns um nichtsbedeutende Kleinigkeiten, um unnütze[236] Meinungen, verfolgen. Der große Erlöser, der ganz Liebe war, kam aus jenem Volke her, das wir verachten. Wir prahlen mit seiner Lehre und erwürgen uns, aus Anhänglichkeit an elende Spitzfündigkeiten, die er nie gelehrt hat, wodurch niemand glücklicher wird, besser lebt, noch ruhiger stirbt – Und das nennen wir Christenthum!

Offenbach, am Ufer des Mayns gelegen, ist ein freundliches, heitres Städtgen. Jedermann, der unter dem Schutze eines edlen guten Fürsten, welcher ohne Prahlerey seine ihm von Gott aufgelegten Pflichten treu und redlich erfüllt, und nur darauf stolz ist für einen guten Menschen gehalten zu werden, den wer ihn nur kennt seines reinen Herzens wegen verehren und lieben muß; Wer, sage ich, unter diesem Schutze frey und ruhig sein Gewerbe treiben will, der zieht gern dahin, bauet sich ein Häusgen, und so wird dann der Ort von Jahr zu Jahre größer, geselliger, angenehmer, und wird in kurzer[237] Zeit andre Städte weit übertreffen, in welche sich niederzulassen die Fremden mit süßen Worten und Versprechungen hingelockt, bald aber, wenn sie nicht die Kunst verstehen, den kleinen Vezirn in und ausser Livree zu schmeicheln, die den Sultan umringen und leiten, so lange chicanirt werden, bis sie mit ihrem Gelde wieder fortgehn. Hier haben die Herrn D'Orville und Bernhard eine große berühmte Tabacsfabrik angelegt. Die Gebäude sind einfach, zierlich, schön, zweckmäßig, und ohne Windbeuteley gebauet. Das Ganze hat ein Ansehn von Rechtlichkeit und Würde, die des Characters der rechtschaffenen lieben Männer, denen das Werk gehört, werth ist.

Wir reisen übermorgen von hier ab, und bitten Sie, theuerster Wohlthäter! um Ihren Segen auf den Weg.


Meyer.[238]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 224-239.
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