Acht und zwanzigster Brief.

An den Herrn Baron von Leidthal in Urfstädt.

[268] Eichstädt in der Rose

den 18ten November 1771. Abends 11 Uhr.


Bester Vater!


Wir kommen so eben sehr ermüdet hier an; Doch will ich noch ein Paar Zeilen schreiben, damit ich nicht den Faden unserer Reisegeschichte verliehren möge.

Wir fuhren diesen Morgen aus Nürnberg, und es kostete von beyden Theilen Thränen, als wir uns von unsern lieben Begleitern trennen mußten.

Von Nürnberg kömmt man zuerst an einen Ort, welcher Schwabach heißt; Er gehört[268] dem Markgrafen von Anspach, und es sind Fabriken dort, auch ein großes Zuchthaus, von behauenen Steinen gebauet. Von Pleinfeld, der folgenden Station aus, geht der Weg sechs Stunden lang durch einen fürchterlichen Wald. Die Straßen sind so schlecht, als man sie sich kaum vorstellen kann, und noch dazu unsicher, der Räuberbanden wegen. Wir waren aber fröhliges Muths, und das ist ja zu allen Dingen gut. Der Postknecht schien furchtsamer als wir zu seyn. Indessen kamen wir, wohl geschüttelt und gerüttelt, glücklich hier an.

Man hat uns am Thore so ausgefragt, als wenn uns Steckbriefe nachgeschickt worden wären; Man muß gewöhnt seyn, verdächtige Personen hier zu sehen. Der Herr von Weckel hatte seinen Spaß mit den Leuten, und Herr Meyer ärgerte sich, daß die Menschen sich unter einander so unnützerweise plagen –[269] Aber die Augen fallen mir zu – Ich muß schliessen, und empfehle mich Ihrer väterlichen Gnade.


Carl.


Den 20sten.


Das ist ein verzweifelter Ort – O Pfaffenregiment! Wann wirst du aufhören? Die Leute forschen noch immer, aus Mistrauen, oder, weil sie nichts bessers zu verrichten wissen, aus Müssiggang, sehr ängstlich nach uns, nach unsern Geschäften, Nahmen, Bedienungen, und was wir denn eigentlich hier zu thun haben. – Nun, wahr ist es, wer keine Geschäfte hier hat, der würde Unrecht haben, des Vergnügens wegen hierher zu reisen. Und der allgemeine Ton von päbstlicher Unterdrückung – die Leute haben nicht das Herz frey Athem zu holen – nein! es ist nicht auszustehn. Wer noch nie in solchen gänzlich verfinsterten catholischen Provinzen gelebt hat, der findet hier jeden Augenblick Gelegenheit, die Hände über den Kopf zusammen[270] zu schlagen. Gestern sprach ein Pfaffe, den wir in der Wirthsstube antrafen, von einem Lutheraner, der hergekommen und ein Christ geworden sey. Eine so dunkle Idee hat man von den andern Religionssecten.

Unsre Ausrichtungen bey dem Fürsten Bischoff werden indessen, wie ich hoffe, in wenig Tagen eine gute Wendung nehmen, wenn die schelmischen Jesuiten, welche hier sehr viel vermögen, und sich in alles mischen, nichts dazwischen bringen. Ein Paar recht wackre, aufgeklärte Männer haben wir doch hier angetroffen. Ja! es giebt noch der guten Menschen aller Orten, aber sie sind dünn gesäet, vom Unkraute erstickt, oder doch bedeckt; Man tritt auf eines wie auf das andre – Ich muß itzt ausgehn. Leben Sie, vortreflichster Herr! recht wohl.


Meyer.


[271] Den 23sten.


Der Herr von Hohenau ist ein wenig unpäßlich, es hat aber nichts zu bedeuten, und wir hoffen Ihnen, bester Wohlthäter! ehe dieser Brief abgeht, schreiben zu können, daß ihn sein Catarrhalfieber (dann weiter ist es nichts) verlassen hat. Wer kann auch hier gesund seyn? Am Ende jeder Gasse dieser sonst nicht schlecht gebaueten Stadt, sieht man einen hohen Berg hingepflanzt; und dann der ekelhafte Frankenwein! – Auch trinken die Domherrn, wieder die Gewohnheit ihres Standes, fast nichts als Wasser. Diese Herrn haben prächtige Häuser, haben zum Theil von drey Stiftern Einnahmen, und verzehret also mancher von ihnen mehr Geld als nöthig wäre zwanzig thätige, dem Staate nützliche Familien zu ernähren. Lebhaft ist die Stadt gar nicht, und wenn der Abend herankömmt, wo die Pfaffen, welche fast allein des Tages über die Gassen erfüllen, nicht mehr öffentlich ausgehn dürfen, dann sieht man, ausser etwa einem Capuziner,[272] welcher zu einer hübschen kranken Frau schleicht, irgend ein Sacrament zu geben, kein lebendiges Wesen mehr. Man sollte denken, die Pest hätte die Einwohner weggeraft; Auch ist es ärger als eine Pest, was die catholischen Staaten also entvölkert.

Wir eilen von hier; Uebermorgen hoffen wir mit allem fertig zu seyn, der Arzt glaubt, daß dem Herrn von Hohenau die bayerische Luft besser bekommen werde, und daß er dreist fortreisen könne – Ich küsse Ihnen die Hände.


Wallitz.


Den 25sten.


Hohenau ist wieder besser, und wir werden morgen von hier gehn. Die übrigen Herrn waren (so viel Freude ihnen auch der Umgang mit den wenigen würdigen Männern machte, welche wir kennen gelernt haben) doch sehr unzufrieden hier, ich aber habe noch ausserdem manche lustige Stunde gehabt.[273]

Ich war gestern Mittag am Hofe, und hatte mit dem Oberjägermeister ein Gespräch über Forstwesen angefangen. Ein alter Hofmann stand dabey und sagte: »Meine Herrn! lassen Sie uns von etwas anderm reden; ich verstehe nichts von belles lettres.«

Diesen Nachmittag besahen wir die Capelle der heiligen Walpurge. Ein Weib zeigte uns alle diese Herrlichkeiten. Da war denn das berühmte Oel, welches aus den Steinen hervorquillt. Ich fragte bey dieser Gelegenheit: ob es wahr sey, daß man, als kürzlich der Capuzinergeneral dort gewesen, ihm einen Sallat mit Walpurgsöl vorgesetzt habe? Und als man uns Reliquien wies, fielen mir des Compère Matthieu Reliquien ein, und ich versicherte die Frau: ich hätte in Prag den Backenstreich, den unser Herr Christus bekommen, in Gold eingefaßt, gesehen. Sie können denken, daß diese Scherzreden mich nicht in großen Credit setzten.[274]

Das hiesige Militair ist auch auf einem gar possierlichen Fuß –

Diesen Brief will ich in Ingolstatt schliessen.


Ingolstatt den 27sten.


Nein! das lasse ich eher gelten! So ein freundliches, reinliches bayersches Städtgen! Hier könnte ich schon wohnen. Auch ist der Herr von Hohenau so gesund, wie ein Fisch, und mich dünkt man athmet freyer hier. Wenn man nur auch so frey denken dürfte! Aber die Herrn Exjesuiten, welche auch auf dieser Universität den Meister spielen, sorgen dafür, daß die gesunde Vernunft noch lange wird im Stillen seufzen müssen. Aber wenn einmal der Damm durchbricht, dann sollen Sie sehen, daß Bayern kühne und schnelle Schritte in der Aufklärung machen wird. Es fehlt ihnen nicht an herrlichen Köpfen; daß hierunter ihr alter Freund, der große Mann, den ich gestern kennen gelernt habe, und der[275] wie ein vergrabener Edelgestein, nur von Wenigen würdig genug geschätzt aus dieser Dunkelheit gezogen zu werden, aber auch von diesen Wenigen so innigst verehrt, so ganz als eines der edelsten Wesen gekannt, werth Ländern und Völkern eine andre Wendung zu geben, und Licht auf den Erdboden zu verbreiten, daß dieser Mann, einer von denen, dessen nächtliche Lampe die Welt erleuchtet, den ersten Platz verdient, brauche ich wohl nicht zu sagen – Er wird Ihnen heute schreiben.

Die Bayern sind gute, gesellige Leute; Ich liebe dies Volk sehr; sie haben doch noch wahrhaftig deutsches Gepräge, und ihr Kopf ist nicht mit ausländischem Firlfanz umnebelt.

Daß die bayerischen Mädgen schön, und die Weine schlecht sind, werden mein hochgeehrtester Herr Baron schon aus Erfahrung wissen. Mir gefällt auch die Tracht der[276] Mädgen, mit ihren silbernen Ketten. Herrliches Bier trinkt man in dieses Gegenden. Man frägt gewöhnlich bey der Mahlzeit, ob man weisses oder braunes Bier verlangt; Vom Weine ist selten eher als beym Braten die Rede – Und da ich nun in meinem Briefe bis zum Braten gekommen bin; so erlauben Sie, daß wir aufhören, der ich Ihnen von Herzen gesegnete Mahlzeit wünsche.


Weckel.[277]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 268-278.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Gespenstersonate

Gespenstersonate

Kammerspiel in drei Akten. Der Student Arkenholz und der Greis Hummel nehmen an den Gespenstersoirees eines Oberst teil und werden Zeuge und Protagonist brisanter Enthüllungen. Strindberg setzt die verzerrten Traumdimensionen seiner Figuren in steten Konflikt mit szenisch realen Bildern. Fließende Übergänge vom alltäglich Trivialem in absurde Traumebenen entlarven Fiktionen des bürgerlich-aristokratischen Milieus.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon