Dritter Brief.

An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin.

[29] Urfstädt den 17ten Julius 1771.


Freude über Freude! Seit drey Tagen bin ich hier auf Ihres lieben Pflegevaters eigenem Gute – Ja! auf seinem Eigenthume, denn, daß Sie es nur gleich erfahren, wenn Sie es noch nicht wissen, der alte Wallitz ist todt, und hat unsern lieben Freund in den Besitz von Urfstädt gesetzt. Dieser hat schon Posseßion genommen, der Pfarrer hat gratulirt, der Schulmeister Verse gemacht; Christoph Birnbaum weint vor Freuden; alles ist froh und in Bewegung. Der Herr Secretair Reifenbrück hat sich eine blaue seidene Weste mit Silber machen lassen, und ich trage meinen Sonntagshut jetzt alle Tage.[29] Dabey gebe ich mir das Ansehn, über dem gnädigen Herrn viel zu vermögen, höre die Klagen der Bauern, mache den Minister, schüttle den Kopf, wenn sie mir ihr Leid klagen, verspreche jedem zu helfen, und vergesse eine viertel Stunde nachher bis auf die Nahmen der Leute – Doch ernsthaft!

In langer Zeit bin ich nicht so innigst vergnügt gewesen als jetzt – Der redliche Mann! Ich sagte es wohl, daß er noch einst recht glücklich werden würde. Könnten Sie nur sehen, mit welcher immer gleichen Gemüthsverfassung, mit welcher friedenvollen, mäßigen Ruhe der Seele er diesen Wechsel des Glücks erträgt! Immer derselbe sanfte, weise Mann, der, erhaben über alle äussere Umstände, nur in sich selbst, in dem Bewußtseyn gut und edel zu handeln, seine Wonne sucht.

Wir werden glückliche Tage mit diesem lieben Nachbar verleben. Ich fürchte aber,[30] mein alter redlicher Oheim wird nicht lange das Vergnügen dieses Umgangs geniessen, denn er wird täglich schwächer.

Verzeyhen Sie nur, daß ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Ich bin jetzt sehr beschäftigt, lese viel, und habe auch allerley Familiengeschäfte zu besorgen gehabt. Wir hoffen indessen Sie bald einmal hier zu umarmen; Ich hätte Ihnen tausend Dinge zu erzählen.

In der Hofnung, daß Sie jetzt in einer ruhigern Gemüthsverfassung seyn werden, darf ich Sie wohl einmal fragen, ob Sie denn noch gar nichts von des Fräuleins von Hundefeld Aufenthalt erfahren haben?

Die Frau von Donnergrund hat sich selbst für ihre Bosheit bestraft. Sie wissen, in welchen Verhältnissen sie mit einem gewissen Herrn von Retzel stand1. Als nun ihr gemeinschaftlicher[31] Plan auf das Fräulein Charlotte fehlschlug, wurde dieser ehrliche Mann böse, und trieb die würdige Dame mit seiner Schuldforderung sehr in die Enge.

Unterdessen hatte sich ein reicher Pferdehändler gemeldet, der vom regierenden Grafen von ... den Titel als Hofrath bekommen hatte. Dieser fühlte bey sich einen Trieb in dortigen Gegenden sich niederzulassen. Er wollte ein Gut kaufen, und allenfalls, wenn es Gott gefiele, auch eine Frau dazu. Die Speculation, welche ihm ein Jude in den Kopf setzte, mit seinem Vermögen die Güter unserer gnädigen Frau frey zu machen, das ganze Inventarium nebst der alten Dame zu erhandeln, sie baldmöglichst zu Tode zu ärgern, und auf diese Art der ruhige Besitzer von Donnergrund zu werden, gefiel ihm nicht übel. Er brachte sein Anliegen vorläufig durch ein altes Weib, welche mit geräucherten Gänsen handelte, vor, veranstaltete einige Zusammenkünfte, putzte sich[32] heraus, steckte allerley Ringe von Diamanten, die freylich ein bisgen altmodig gefaßt waren, und kaum den Kopf aus den grossen silbernen Kasten herausstreckten, an seine dicken rothen Finger, seufzte nach Gelegenheit, daß man es durch drey Mauern hörte, und that endlich seinen Antrag.

Der liebenswürdige Mann war dringend, die Geldnoth groß – Was will man machen? Man hat schwache Augenblicke. Sie befanden sich einst in einem Kornfelde, um die heisse Mittagsstunde, auf einem Spaziergange, zusammen allein – Er bath, flehete, die gnädige Frau vergaß ihre sechzehn Ahnen, und der triumphierende Liebhaber erhielt ein nicht zweydeutiges, besiegeltes Jawort. In voriger Woche hat der Pfarrer das holde Paar zusammen gekoppelt –

So fahrt denn hin, theure Seelen! Kräftige Peitschenschläge werden bald eine neue Mannigfaltigkeit in Eure Unterredungen[33] bringen, Euren Umgang lebhafter, kraftvoller machen, bis der klappernde Tod Einen von Euch mit seiner furchtbaren Hippe, in dem Winter seiner Jahre, aus des geliebten Uebrigbleibenden Armen wegsäbelt.

War das nicht eine poetische Beschreibung? Ja! Sie müssen auch wissen, daß ich, der ich sonst so fremd in der schönen Literatur war, jetzt sehr viel Dichter lese. Wir haben hier auf dem Lande eine Lesegesellschaft, die ein Advocat, des Herrn Amtmanns Informator, und der Amtschreiber dirigieren. Da sind denn: Wielands Schriften groß und klein, so viel ihrer auch sind, selbst der Don Silvio, der ein so neues nützliches Werk ist, die Dialogen des Diogenes von Sinope, in welchen Alexander mit so viel Würde seinen Plan die Welt zu bezwingen entwickelt, die Grazien, mit der Vignette, wo diese drey Schwestern des Verfassers Bildniß tragen, und mit dem Briefe in welchem Danae sagt: »Wer kennt nicht die Wärme[34] Ihres Pinsels?« Mit einem Worte! dieselben Grazien, aus denen die schönen Verse entlehnt sind: »Cithere war schön und empfindlich« u.s.f. Alle diese und die übrigen Wielandischen Schriften, als den Combabus, und die Sympathien besitzen wir. Sodann Gleims, des Verfassers der Kriegslieder, kraftvolle Briefe an Jacobi, Klopstocks Gelehrtenrepublik, Weissens Beytrag zum teutschen Theater, alle Musenalmanachs, Journale, und was nur das Herz wünschen mag. Unsre fleißigste Leserinn ist die Frau Amtmannin Berkenstock, eine sehr empfindsame Frau, obgleich ihr Nervensystem (denn sie hat zwey Hände hoch Speck) nicht eben sehr zart, zur Empfindsamkeit organisirt, und empfänglich scheint, wobey sie dennoch eine


Laggiadria singulare e pellegrina


affectirt.

Auch ist der kleine Doctor Kitt ein Mitglied unserer Lesegesellschaft – Ein grosser[35] Kopf, denn er macht ja Epigrammen, welches wahrhaftig keine Arbeit für mittelmässige Menschen ist. So einen einzigen witzigen Gedanken in Reime zu bringen! –

Wir halten, unter den Journalen, vorzüglich viel auf die Allgemeine deutsche Bibliothek, ohngeachtet der Pfarrer in Urfstädt behauptet, daß dieselbe heterodox, und daß schon die Stellen in der Apokalypse im zweyten Capittel, Vers 6 und 15, wo von den Nicolaiten geredet ist, auf diese Ketzer zu deuten sey –

Kurz! Ich bin ein schöner Geist, bis über die Ohren. Meine Domestiken fangen schon an zu lesen; die Cammerjungfer lieset dem Jäger aus Sophiens Reise von Memel nach Sachsen vor, und meiner Frau Bedienter weiß die ganze wichtige Rolle des Bischoffs Seewald aus Eduard dem Dritten auswendig.[36]

Aber, in aller Welt! wie verirre ich mich hier auf einem so weiten Felde! Ich denke, es ist Zeit, daß ich meine geschmackvollen Anmerkungen und diesen langen Brief schliesse. Leben Sie wohl, und schreiben bald einmal an


Ihren

Freund

Franz von Weckel.

Fußnoten

1 Man sehe den dritten Brief im dritten Theile.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 38.
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