Dreyßigster Brief.

An den Herrn Acciseinnehmer Christoph Birnbaum in Urfstädt.

[284] München den 4ten Aprill 1772.


Gott zum Gruß, vielgeehrter Herr Vetter!


Wenn diese Zeilen Ihn bey guter Gesundheit vorfinden; so soll es mir sehr lieb seyn; die meinige ist, dem Himmel sey Dank, noch recht wohl.

Ich bin nun den ganzen Winter mit meiner Herrschaft allhier im Bayerlande gewesen, wie Er wohl wissen wird, und sehe Er nur, Herr Vetter! da werde ich Ihm, wenn ich wiederkomme, viel zu erzählen haben. Er sollte nur zum Exempel die Procesonen gesehen haben, die sie in der Osterzeit hielten;[284] Es war zum Todlachen. Da war ein vornehmer Herr (Sie hiessen ihn Ihr Excellenz und er war Gesandter gewesen) der stellte unsern Herrn Christus vor, und ließ sich von den Straßenbuben durch alle Gassen führen. Ja! ein ehrlicher Protestante sollte es nicht glauben, wenn man es ihm erzählte. Es geht gar zu bunt her, und besonders auf dem Lande. Sie spielen Ihm eine ordentliche Commödie (die Mönche, versteht er mich) Da muß ein Kerl, der wie unser Heiland angezogen ist, auf das Feld hinauslaufen, das den Oelberg vorstellen soll, und da gehn Kriegsknechte hinaus, wollen ihn fangen, und nehmen Hunde mit, sonst kriegten sie ihn nicht, denn der Kerl läuft, wie der Teufel, hin und her, und versteckt sich.

In München selbst kostet so eine Proceson auf 5000 Gulden. Da sind heidnische Götzen, die sprechen mit Gott dem Vater, Jahrszeiten, Winde, Adam und Eva, Cürassiere, Herodes und Pilatus, und alle Zünfte aus[285] der Stadt. Das geht höllisch unter einander durch. Sie sagen Verse her, die würklich Gotteslästerungen enthalten, so viel ich mit meinem dummen Verstande einsehen kann. Aber das Volk findet dabey viel Pläsir. Nun, Gott sey Dank! unsre Geistlichen sagen wohl auch allerley, was ein einfältiger Mensch nicht versteht, auch nicht weiter brauchen kann, aber so arg machen sie es doch nicht. Man spricht stark, daß die Jesuiten daran Schuld wären, die hätten es gern, daß die Menschen dumm blieben, und wären Leute darunter, welche ausgepeitscht zu werden verdienten. Allein wenn nur erst der Churfürst von der Pfalz zur Regierung käme, da würde es anders hergehn; Das sey ein kluger, freundlicher Herr, der werde die Pfaffen jagen, und sich von keinem listigen Beichtvater regieren lassen.

Sieht Er, mein lieber Vetter! Hier muß jeder wenigstens einmal im Jahre beichten, und darüber bekömmt er ein Zettul. Uebrigens[286] aber kann er thun, was er will. Die Herrn Geistlichen haben eine Menge solcher Beichtzettul vorräthig. Weil sie nun mehrentheils sehr verschwenderisch sind; – so geht es wunderlich damit zu – und wer nicht Lust hat seine Sünden zu bekennen, der kann einen Beichtzettul kaufen. –

Meine Herrschaft ißt beynahe täglich zu Gaste. Es wird entsetzlich hier gefressen, mit Respect zu sagen, und zwar, wenn keine Fasttäge sind, gewaltig viel große Stücke Fleisch.

Wir wohnen gegen einer Kirche über. Da sind dann ringsumher viel Epitaphiums, und bey jedem steht ein Näpfgen mit Weihwasser. Nun kommen den ganzen Tag die Verwandten des Verstorbenen gelaufen, und schütten ein bisgen Wasser auf den Stein. Das friert hernach im Winter, und da kann man kaum des Abends gehen, ohne Hals und Bein zu brechen.[287]

Die Kirchen sind immer voll, vom Morgen bis zum Abend, und in jeder Ecke sitzt ein Pärchen und beichtet, was sie gesündigt haben, oder noch sündigen wollen.

Unsre Herrschaft geht am mehrsten in des Herrn Grafen von S .... Hause um. Ach! das ist ein gar lieber Herr, hat so eine gute gnädige Frau, und allerliebste Kinder. Es ist eine Freude anzusehn! Man meint, man wäre bey Unser einem. Uebrigens sollen die Damen zum Theil verzweifelt lustig seyn; Hier im Hause aber geht alles so lieblich zu.

Wir waren auch in Freisingen. O Jemine! da sind erst die Pfaffen recht auf ihrer Miste. Der Fürst läuft sich bald die Beine ab, auf den Procesonen, und da muß alles mit, obgleich sie es zum Theil ungern thun, oder hinterher lachen – Aber der arme Herr hat ja auch sonst nichts zu thun, und das gehört dazu, wenn einer Bischoff ist, daß er das Handwerk treibe.[288]

Gestern erzählten sie bey Tafel von einem kleinen Fürsten, der hier in der Nähe wohnt. Der hat eine Menge Dienerschaft, auch Geheimeräthe, welche sich bestechen lassen; Aber das weiß der Herr, und theilt den Profit mit ihnen, wovon er seinen unehligen Kindern Reichthümer sammlet. Mit dem Lande aber soll es sehr elend aussehn. Ja! so geht es in der Welt –

Mein lieber Vetter! Ich will diesen meinen Brief schliessen; Lebe Er recht gehorsamst wohl, ich bin


Desselben


dienstwilliger

Friedrich Kirschbrod,

Bedienter bey des Herrn von Hohenau

Hochwohlgebohren.[289]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 284-290.
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