Ein und dreyßigster Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt.

[290] Heilbronn den 20sten May 1772.


Unser letzter Brief aus München1 wird Ihnen, bester Herr! sagen, daß wir mit wahrhaftig schwerem Herzen dort fortgereiset sind Wir sprachen noch den Tag vorher bey Hofe einen gewissen Herrn von Felsberg, der in Ihre Gegenden kommen, wenn es ihm seine Zeit erlaubt, Ihnen aufwarten, und mündlich von uns Nachricht geben wird.

Wir sind indessen verschiedener Monarchen Länder durchstrichen. Sie wissen, theuerster Herr! daß Weckel gern seinen Vetter in Oettingen besuchen wollte. Wir nahmen also[290] unsern Weg dahin, blieben einen Tag bey demselben, und wurden freundlich und gutmüthig von ihm aufgenommen. Sodann kamen wir durch die hohenlohischen Besitzungen nach Oehringen. Der dortige Postmeister gab uns, vielleicht ohne es zu wissen, scheue Pferde und einen betrunkenen Postknecht. Derselbe warf uns kurz vor dem Orte, beym Herausfahren um. Es zerbrach etwas an unserer Rutsche, und das hielt uns lange auf. Der Herr Postmeister kam selbst, bedauerte herzlich unsern Unfall, woran er doch im Grunde nicht ganz unschuldig war, und gab sich endlich als Freymaurer zu erkennen. Nun half uns das freylich in dem Augenblicke nichts, doch zeigte er den besten Willen uns fortzuhelfen, und wir kamen gestern Abend spät hier an, durch Wege, die im Herbste und Frühjahre unbeschreiblich schlecht seyn mögen.

Der erste Mann, den Herr Meyer, als wir ausstiegen antraf, war sein alter[291] Freund,2 der unglückliche Herr von P ... Er fand ihn in einer kaiserlichen Officiersuniform, sprach lange mit ihm allein, und schien gerührt zu seyn, als er wieder zu uns kam. Ich habe in nicht über den Gegenstand ihres Gesprächs fragen mögen.

Heilbronn scheint ein gar unfreundliches Nest zu seyn, doch sind die Einwohner, wie man sagt, sehr gesellig, und es ziehen viel Fremde her, weil man hier wohlfeil leben kann. Seltenheiten haben wir hier nicht gesehen, denn ein ungeschliffener Posthalter (wie wir einen hier antrafen) ist ja keine Seltenheit. In einer halben Stunde reifen wir weiter über Vierfelden, Sinzheim und Necker-Gemünd nach Heidelberg.


Heidelberg den 22sten Abends.


Obiges hat der Herr von Wallitz geschrieben, und mir erlaubt fortzufahren.[292]

O liebes, herrliches Heidelberg! Hier mögte ich leben und sterben, und besonders an der Seite des göttlichen Mannes, der uns auf Ihre Empfehlung so liebevoll aufgenommen hat. Sein freyer, seelenvoller Blick, sein edler Anstand, seine lieblichen Gespräche, voll warmes Feuers für alles Gute, voll Weisheit, Feinheit, Gelehrsamkeit und Scharfsinn – Kurz! der ganze herzliche, thätige Mann, zu gut für den Platz auf dem er steht, zu gut vielleicht für die Welt voll Schurken, in der er lebt, und seine theure Familie, so sehr Seiner würdig! – Sie haben unser Aller Herzen entwendet.

Dann die Gegend; der Anblick vom hohen zertrümmerten Schlosse hinunter; der eingestürzte Thurm; Unten die Stadt am Neckar; die weite Gegend; die majestätischen Gebirge, Waldungen, Weinberge; der Wolfsbrunnen – O! man muß es gesehen, muß aber auch Sinn für so etwas haben –[293] Als wir aus dem Schlosse auf den Altan giengen, und ich mir im Geiste vorstellte, wie da einst ein alter biederer Freund und Rath mit seinem Fürsten (als die Fürsten noch Männer waren) auf und niedergieng, sie dann vertraulich von dem Besten des Landes, das da unten lag, mit einander redeten, und der treue ehrliche Rath immer mit der Hand hinunterweisen konnte, auf dies Land, und dazu sprechen: »Siehst Du, Herr! da unten die blühenden Felder, von Deinen guten Unterthanen, deren Vater Du bist, und die Dich lieben und ehren, im Schweiß ihres Angesichts gebauet.« – Wenn ich mir das so dachte; dann schwoll mein Herz, und ich scheuete mich einen Blick ins Thal zu werfen, in welchem manche jetzige Erdengötter herumkriechen, große, verzierte, bunte asiatisch-wollüstige Häuserchen bauen, in denen sie nie die liebe Sonne aufgehn sehn, sondern sich mit ihren Buhlerinnen bis Mittag in weichen Betten wälzen, dann Chokolade trinken, Todesurtheile unterschreiben, schwelgen,[294] Karten spielen und Ordensbänderchen an Schelme austheilen, die das arme Volk mit unterdrücken helfen – Pfui des Gedankens! Er empört mein deutsches Blut –


Den 23sten.


Damit des Herrn Meyers deutsches Blut Zeit habe sich abzukühlen; will ich ihn ablösen, und an diesem Briefe fortschreiben, bis wir ihn absenden. Wir reisen morgen von hier nach Frankfurt zurück, und sodann zu Wasser den Rhein hinunter nach Neuwied.

Gestern fand ich in einem Hause folgende Anzeige. Man versichert mich, es sey ein ächtes Document (denn ich war geneigt es für eine Erfindung zu halten.)

»Es wird in M ... von einer Herrschaft ein Secretair gesucht, von folgenden Eigenschaften: Er muß ein Jurist seyn, d.i. in jure civili, publico, canonico, feudali, criminali, germanico, statutario palatino[295] vollkommen unterrichtet und geübt, sich auch auf das Policeywesen verstehen, denn er wird gebraucht, die allerverworrensten Processe von allen Gattungen zu bearbeiten und auseinander zu setzen, wird auch an die Reichsgerichte dieser wegen, und an verschiedene Höfe, Tractaten abzuschliessen, versendet werden. Wenn er nicht auf Reisen, sondern zu Hause ist, erfordert man von ihm, daß er von Morgens 8 bis 12 Uhr, und Nachmittags von 3 bis 8 beym gnädigen Herrn im Zimmer bleibe. Dagegen hat er freye Wohnung, und jährlich 150 fl. Gehalt, und wenn er sich gut aufführt« (soll vermuthlich heissen, wenn er rasieren und frisieren, folglich den Cammerdiener zugleich machen kann) »das Jahr 200 fl., wovon er sich aber zugleich befestigen muß. Was er des Tags auf der Reise für Zehrung zugelegt bekomme, wird man nach Verhältniß seines Gehalts bestimmen. Der Herr steht in Ansehn und Vermögen; Man kann also da bey guter Aufführung sein[296] Glück machen. Das Mehrere ist auf dem großen Kaffeehause zu erfragen.«


Frankfurt am Mayn den 26sten Abends.


Wir kamen gestern spät hier an, und fuhren gleich diesen Morgen nach Homburg vor der Höhe, von woher wir so eben wieder zurückkommen.

Homburg vor der Höhe ist ein kleines Städtgen. Ich wollte aber, es wohnten in manchen glänzenden Residenz- oder Reichsstädten halb so viel gute Menschen als hier. Wollen Sie einen Fürsten sehn, der sich nicht schämt ein guter Vater zu seyn; der seine Kinder selbst unterrichtet, sie selbst zur Weisheit und Tugend führt; einen Fürsten, der alle Schmeicheley haßt und die Schmeichler flieht; der seine Größe (die Größe seines Geistes und Herzens, dann er glaubt an keine andre) nicht einmal ahndet; der der beste Gatte, der theilnehmendste Freund, der gütigste sorgsamste Landesvater ist; Wollen[297] Sie eine Fürstinn sehen, die alle äussere Annehmlichkeiten, einen unnachahmlichen, Ehrerbiethung gewinnenden Anstand, feine Talente, und einen durchdringenden Geist, mit Einfalt des Herzens, herablassender Güte, Milde und Menschenliebe verbindet; so reisen Sie nach Homburg, und wenn Sie den Anblick dieser glücklichen seltenen fürstlichen Familie und der guten Leute, die um dieselbe leben, recht genossen haben, dann gehen Sie auch die Anlagen zu sehen, welche der Landgraf im großen und kleinen Walde gemacht hat, wie er der schönen Natur, ohne Forderungen, nur unmerklich zu Hülfe gekommen ist. Welche herrliche Gegenden werden Sie da erblicken! Mehr werth als die großen fürstlichen Gärten, in welchen Millionen verschwendet wurden, um aegri somnia zu realisiren.3[298]

Unser Schiffer ist da, um mit uns einen Contract zu schliessen, und die Post geht um sechs Uhr ab. Ich will daher diesen Brief fortschicken. Hier sind noch ein Paar Einlagen – Wir empfehlen uns sämtlich Ihrer fernern Gewogenheit.


Weckel.

Fußnoten

1 welcher aber auch fehlt.


2 Man sehe den zweyten Brief im dritten Theile.


3 Das alles war wohl im Jahr 1771. dort noch nicht also zu sehen. Verzeyhe aber, lieber Leser! wenn ein für alles Gute und Schöne warme Herz den Herausgeber zu Entrichtung eines Zolls bewegt, den weder Schmeicheley noch Hofnung einiger Wiedervergeltung erheischt. Vielleicht werden die lieben Leute, welche ich hier lobe, nie dies unbedeutende Buch lesen, und wenn sie es läsen, vielleicht nie wieder den Mann sehen, der es schrieb, und der in keiner Verbindung, so wenig mit ihnen als mit irgend einem Hofe in der Welt steht, noch stehen mag, aber jedem Verdienste huldigt, es stecke in welchem Rocke es wolle. In meiner einsamen Hütte bedarf ich keinem Fürsten zu schmeicheln.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 300.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon