Fünfter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt.

[40] Berlin den 1sten August 1771.


Theuerster, väterlicher Wohlthäter!


Ach! wenn Ihnen je das Schicksal Ihres Carls am Herzen lag; wenn Sie es noch nicht vergessen haben, wie oft Sie, da ich als Knabe zu Ihren Füßen spielte, oder mit den kleinen Armen Ihre Knie umschlang, wie Sie mich da zu Sich hinaufhoben, und voll Rührung ausriefen: »So lange ich noch einen Bissen habe, soll dich nicht hungern; So lange ich noch einen Heller habe, sollst du nicht Mangel leiden; Und wenn dich die Härte böser Menschen verfolgt, sollst du an meinem Busen Schutz und Trost finden.«[40]

Wenn Sie diese süße Zusage so treulich erfüllt haben, und in jeder Periode meines kurzen Lebens meinen Wünschen großmüthig zuvorgekommen sind; Wenn Ihre edle, nachsichtsvolle Güte mein schwaches Herz geleitet und mich gelehrt hat, sich ohne Rückhalt in Ihren Schooß auszugiessen; Wenn Ihnen itzt noch die Ruhe Ihres Sohnes am Herzen liegt – o! so verlassen Sie mich nicht!

Alles was ich habe und was ich bin, verdanke ich Ihnen, verdanke Ihnen mehr als dem edlen aber unglücklichen Manne, der mir das Leben gab – Warum sollte ich Bedenken finden, dem Schöpfer meiner ganzen moralischen und bürgerlichen Existenz auch jetzt in die Arme zu eilen?

Das Schicksal hat Sie, bester Vater! wieder in glückliche Umstände versetzt – Was ist der elende Bettel, das Geld? Sie geben ihm ja keinen andern Werth, als insofern Sie damit wohlthun können –[41] Zum erstenmal also in meinem Leben (denn so lange ich denke, haben Sie ja nicht erwartet, daß ich Sie um etwas bitten konnte, haben immer meine geringsten Bedürfnisse befriedigt, ehe ich sie selbst fühlte) zum erstenmal spreche ich Sie um Hülfe an. Jetzt haben Sie Gelegenheit und Kraft, das Siegel auf alle diese Wohlthaten zu drücken.

Man will mir meine Charlotte entreissen; Morgen geht ihr Bruder mit ihr fort – Und ich soll sie nicht wiedersehen – – Ich kann den Gedanken nicht ertragen – Meine ganze Wohlfarth, mein sittliches Glück, mein Character, alles, ja! die Ehre meiner Freundinn hängt, nach dem was mit uns vorgefallen ist, davon ab, daß ich durch das Band der Ehe mit ihr verbunden werde.

Ohne Sie, bester Vater! kann ich Armer aber nicht daran denken, die Eltern um die Hand ihrer Tochter zu bitten, da ich das liebe Mädgen, bey meinen jetzigen Umständen,[42] nicht einmal vor Mangel schützen kann.

Doch Ein Wort von Ihnen, Eine Erklärung, daß Sie mich unterstützen wollen, bis mich mein Fleiß in irgend einen bessern Zustand setzt, Ein Vorwort bey dem alten Herrn von Hundefeld kann mich zum glücklichsten Menschen machen.

O! versagen Sie mir dies nicht! Mein ganzes Leben soll feuriger, innigster Dank für Sie seyn, und Ihren segnenden Beyfall zu verdienen das eifrigste Bestreben


Ihres

gehorsamsten Sohns

Carl von Hohenau.[43]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 40-44.
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