Siebenter Brief.

An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin.

[53] Urfstädt den 8ten August 1771.


Ich setzte mich sogleich hin, um Dir, mein bester Carl! zu antworten. Lies aber, darum bitte ich Dich, alles was ich schreiben werde mit Ueberlegung, und ich hoffe, Du sollst von mir zufrieden seyn.

Wenn es nur darauf ankäme, Dir einen Unterhalt zu verschaffen, um eine Frau ernähren zu können; so sollte Dir bald geholfen seyn. Ich habe ja jetzt Vermögen genug, um Dir, den ich so herzlich liebe, so viel mitzutheilen, als Du brauchen würdest, und Du weißt, daß mir das elende Geld nicht an das Herz gewachsen ist.[53]

Aber es ist hier von Deiner dauerhaften Glückseligkeit die Rede – Du willst Hausvater werden – Weißt du auch, was das heißt? Antworte mir nicht, daß du Einsicht genug habest, den Umfang der damit verbundenen Verbindlichkeiten zu übersehen! Man kennt eine Menge Pflichten, ohne deswegen stark genug zu seyn, wenn der Augenblick der Versuchung kömmt, zu wiederstehen.

Du bist itzt verliebt, und glaubst, daß Dir nie ein andres Mädgen gefallen könnte, als Deine Charlotte. Jeder ihrer Blicke, jedes Lächeln ihres süßen Mundes, ist Dir wie ein erquickender Blick der Frühlingssonne. So denkt jeder Liebhaber; ich kenne das.


Pace tranquilla senz' alcuno affanno,

Simile a quella, ch'è nel Ciel eterno

Muove dal lor inamorato riso.


Aber wird diese Bezauberung ewig dauern? Bist Du, der Du so sehr neu in der Kenntniß des weiblichen Geschlechts bist, gewiß,[54] daß nicht einst eine Andre, noch größere Eindrücke auf Dein Herz machen wird?

Die Heftigkeit der ersten Liebe (das ist eine Erfahrung, die nicht der kalte Mann, sondern jeder weise Beobachter wahr findet) wird nur durch Schwierigkeiten, Wünsche, Sehnen, kleine Entfernungen u.d.gl. unterhalten, und kann, da sie ein Werk des überraschten Gefühls ist, bey längerem Umgange und bey größerer Familiarität nicht fortwähren. Deswegen sind Ehen, die blos auf heftige Liebe gebauet sind, selten ganz glückliche Ehen. Wenn der Rausch vorüber ist, und die Sinne sich gesättigt haben, dann kann nur Hochachtung, die unmerklich der Liebe den Nahmen abborgt, und sich ihn ihr Kleid hüllt, das Band festhalten. Gewohnheit des angenehmen Umgangs, nach und nach entstandene Gleichförmigkeit in der Denkungsart, gemeinschaftliches Interesse und Bedürfniß kommen hinzu, und so entsteht dann ein glückliches Bündniß, und Hang zur[55] Pflicht, der uns gegen andre gefährliche Eindrücke wafnet.

Um aber dauerhafte Hochachtung zu erwecken, muß man feste Grundsätze, einen gebildeten Character haben, und das ist selten der Fall von zwanzigjährigen Leuten. Wenn Ihr beyde zu der ganz gemeinen Classe von Menschen gehörtet; so würde mir weniger bange seyn, daß Ihr nicht Euer Pflanzenleben ruhig hinbrächtet. Aber bey Deinem feinen, noch so heftigen Gefühle, da Du so leicht an kleine Ecken stößest, jeden Augenblick wähnest, Dich in einem Menschen geirrt zu haben, wenn er dem Ideale nicht entspricht, das ihm Deine schwärmerische Phantasie gab – Wie willst Du es da wagen, Dich auf Zeitlebens zu verbinden, alles Gute und Böse gemeinschaftlich mit jemand zu tragen, den Du nicht genau geprüft hast? Und das thut doch der junge Liebhaber nicht.[56]

Auch wird es Dir nicht an Feinden fehlen, die Eure Einigkeit, wenn sie nicht auf festem Grunde ruht, untergraben können. Sage nicht, daß Du keine Feinde kennst! Es giebt Leute, die deren nicht haben können. Jedermann lobt sie, weil sie aller Orten eine subalterne Rolle spielen, jedem mit einem Lächeln zu Dienste stehn. Aber so bist Du, so ist Deine Geliebte nicht.

Weißt Du denn ferner, daß Du auch der Führer, der Rathgeber Deiner Frau seyn mußt? Und meinst Du, das wäre so leicht? Kennst Du das weibliche Herz? Bist Du mit Frauenzimmern aller Art umgegangen? Hast Du Biegsamkeit, Sanftmuth genug, Deine Seele an die ihrige anzuschliessen, der Freund einer Frau zu seyn? Glaube mir, dies Geschlecht ist schwer zu kennen und zu regieren. Ich habe sehr viel aus dem Umgange mit ihnen gelernt. Die Hälfte meines Characters gehört dem andern Geschlechte. Aber ihre Eitelkeit, die so leicht beleidigt wird, ihre[57] Frivolität, ihr Mangel an Feinheit des Gefühls in manchen, und wieder ihre übertriebene falsche Delicatesse in andern Fällen, ihr Wankelmuth, ihre Neugierde, ihre Lust an Neckereyen, ihr Vergnügen, selbst denen Personen, die ihnen am theuersten sind, zuweilen unruhige Augenblicke zu machen – Das alles muß man kennen, ertragen, übersehen, zu nützen, aus dem rechten Gesichtspuncte zu beobachten wissen.

Und wenn Du nun Vater und Hausherr wirst – Weißt Du da auch, wie man Kinder erziehen, wie man das Gesinde behandeln soll, um in der Mittelstraße zwischen Güte und Ernst, Herablassung und Familiarität zu bleiben? Bist Du selbst schon erzogen? Kannst Du Dich selbst regieren? – Verzeyhe mir, wenn ich Dich hier daran erinnern muß, auf welchen unsittlichen Abwegen Du noch vor kurzer Zeit bey den besten Einsichten, wie wenig Du Meister über Dich warst, als das Schicksal Grundsätze in Dir erschütterte, die[58] Dir von Deiner zartesten Kindheit an heilig gewesen waren.

Nun laß uns auch von der Person reden, die Du in der Welt spielen willst. Du bist dem Staate Dienste schuldig, bist noch jung, hast noch wenig zum Besten der bürgerlichen Gesellschaft gethan. Womit willst Du Dich beschäftigen? Lieutenant in Berlin kannst Du, wenn Du heyrathest, nicht wohl bleiben. Willst Du ein Hof-Müssiggänger werden? Willst Du in Urfstädt unsre Felder bauen, wovon Du nichts verstehst? Willst Du den schönen Geist machen, Journale, Romanen schreiben und lesen, an der allgemeinen deutschen Bibliothek arbeiten? – Oder was sonst? Denn daran müssen wir doch auch denken.

Ich bin sehr dafür, daß der Mann, welcher viel in der Welt gelebt, und Vorrath für Kopf und Herz gesammlet hat, nicht ewig ein Fürstenknecht sey, sondern sich ruhig in ein Winkelchen zurückziehe, da im Stillen an[59] sich selbst arbeite, und durch Verbreitung manches Guten, das der Weltmann als völlig unwichtig übersieht, dem Staate sehr viel nützlicher werde, als wenn er die höchsten Ehrenstellen in unsern verderbten Regierungsverfassungen bekleidete. Aber in einem gewissen noch nicht reifen Alter taugt das nicht. Der junge Mann muß durch irgend ein Band an das bürgerliche Leben gebunden seyn, damit er eine Person vorstelle, deren Ruf ausser ihm auch andern Leuten nicht gleichgültig ist.

Jetzt, da ich Dir alle Schwierigkeiten, die Du auf Deinem Wege antriffst, gezeigt habe, jetzt will ich Dir auch sagen, was ich gesonnen bin für Dich zu thun. Meine Lehren wären nichts werth, wenn ich sie blos ausgekramt hätte, um Dich mit Deiner Bitte abzuweisen. Nein! ich rede als Dein treuer Freund, und als ein solcher werde ich auch handeln.[60]

Du sollst nicht von Deiner Geliebten auf immer getrennt werden. Ich habe gestern an ihre Eltern geschrieben, und habe Hofnung, sie werden Dir die Tochter, unter denen von mir vorgeschlagenen Bedingungen, nicht versagen. Diese Bedingungen sind: daß Du ein oder zwey Jahre auf Reisen gehest, Menschen kennen lernest; daß Du viel liebenswürdige Frauenzimmer sehest, und Dich überzeugest, ob Dir keine besser als das Fräulein gefällt; daß Du in den verschiedenen Provinzen von Deutschland (denn ausser Deinem Vaterlande sollst Du vorerst nicht reisen; es giebt gar viel Neues darinn zu sehen) die mannigfaltigen Arten des geselligen Lebens, die verschiedenen Gebräuche, häuslichen Sitten, die Haushaltung und den Umgang der Eheleute bemerkest.

Kömmst Du dann in derselben Gemüthsverfassung zurück; Ist Charlotte noch dieselbe – Nun wohlan, denn heyrathe sie!

Ich will auch unterdessen sorgen, daß Du einen Würkungscreis erhaltest, in welchem[61] Du die gesammleten Kenntnisse zum Besten Deiner Brüder anwenden könnest. In Berlin aber mußt Du Deinen Abschied fordern. Ich habe schon an den General von ... und an andre Freunde geschrieben, die Dir dies Gesuch erleichtern werden.

Und damit Du nicht allein reisest; so habe ich für Gesellschaft gesorgt. Ich gebe Dir den jungen Wallitz mit; Meyer bittet in Dresden um Urlaub und begleitet Euch; Weckel hat sich erbothen auch von der Partie zu seyn, wenn indessen sein Oncle stirbt, wie es denn sehr wahrscheinlich ist – Da habt Ihr eine Kutsche voll Philosophen! Für einen treuen Bedienten, ausser dem, den Weckel mitnimmt, sorge ich. Der deinige mag unterdessen hier bleiben. In vier bis fünf Wochen könnt Ihr abfahren.

Jetzt sprich, junger Mensch! bist Du davon zufrieden? – So antworte mir denn bald!


Leidthal.[62]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 53-63.
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