Achter Brief.

An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin.

[63] ... den 10ten August 1771.


Nun, lieber Freund! So können Sie denn endlich hoffen, Ihre Wünsche erfüllt zu sehen? Lassen Sie mir die Gerechtigkeit wiederfahren zu glauben, daß ich den wärmsten Antheil an Ihrem Glücke nehme.

Aber freylich mit der Reise – das ist ein böser Umstand. Wir mögten wohl herzlich gern gleich heyrathen. Doch das geht nun einmal nicht an; Beruhigen Sie Sich also darüber; die kurze Zeit soll bald vorübergehn. Ihre Charlotte wird indeß, wie ich hoffe, auf einige Monathe zu meiner Frau reisen. Dort werden sie täglich von uns reden, unsre[63] Briefe mit einander lesen, sich gemeinschaftlich trösten; so kömmt unvermerkt der Augenblick unserer Wiederkunft herbey. Wir haben dann viel zu erzählen, und es ist doch wahrlich nicht übel, wenn man erst ein bisgen in der Welt herumfliegt, ehe man sich in ein Bauer einsperren läßt.

Ich weiß nicht, ob ich es wünschen oder fürchten soll, mit Ihnen zu gehen, da die Gewißheit, ob ich dies Vergnügen haben kann, auf den Tod meines ehrlichen Oheims beruht, den ich nicht verlassen werde, wenn er in den Umständen bleibt, darinn er jetzt ist. Es zeigt sich aber keine Hofnung zu seiner gänzlichen Genesung; Er leidet viel, und es wäre ihm in der That geholfen, wenn er bald das Ende seiner Schmerzen sähe. Auch kann er es auf diesen Fuß nicht lange aushalten.

Unsere Reise soll schon ganz lustig seyn. Wir wollen ein gemeinschaftliches Journal[64] führen, und über gewisse Puncte einig werden, worauf ein jeder von uns insbesondre sein Augenmerk zu richten hat. Dabey lassen wir die Höfe, davon doch im Grunde einer so aussieht als der andre, ziemlich linker Hand liegen, und reisen incognito, wie der Prinz von S ...

Wissen Sie denn die Geschichte von ihm? Dieser kleine unbedeutende Fürst fuhr mit einem gewissen Herrn von Z ... nach Magdeburg. Als sie vor das Stadtthor kamen, sagte der Prinz: »Ich will hier incognito seyn, und mich für einen Edelmann ausgeben.« Als man ihn daher fragte: »Um Vergebung! wer sind Sie?« gab er sich den Nahmen irgend eines Cavaliers. Die Reihe kam nun an den Herrn von Z ... »Und mit Erlaubniß! was bedienen Sie denn?« »Ich bin der Prinz von S ...« sagte der Herr von Z ... Nun stieß ihn der Prinz in die Seite, und flüsterte: »Aber, mein Gott! Sie wissen ja, daß ich incognito[65] seyn will.« »Ja, das will ich auch,« erwiederte jener, »deswegen nehme ich Ihren Nahmen an.«

Das ist eben dieser Monarch, dessen Vetter einst den armen alten Herrn von W ... auf der Jagd erfrieren ließ. Er hatte nemlich den guten Landedelmann zu diesem fürstlichen Vergnügen eingeladen. Als der Abend herankam eilte der Prinz zu Fuße nach Haus, und hatte so wenig Aufmerksamkeit auf seinen Gast, daß er ihn ganz vergaß, sich auch, als der Greis nicht zur rechten Zeit da war, ohne ihn an Tafel setzte. Dieser hatte sich indessen verirrt, und verkältete sich so, daß er wenig Tage nachher starb.

Wir werden manche lächerliche Annecdote aufsammlen, aber auch manche Scene des Jammers sehen, manche Thräne des Mitleidens dem guten gedrückten Menschengeschlechte weyhen. Wir werden in manchen Provinzen unsres lieben Vaterlandes Despotismus[66] und Dummheit auf dem höchsten Gipfel finden, und nur in sehr wenig Gegenden einen bessern Keim von Aufklärung hervorsprossen, und leider! da wo diese Pflanze ein bisgen heranwächst, das Unkraut der Corruption zugleich mit aufschiessen sehen.

Diese schnellere Corruption haben wir unsern lieben Lehrmeistern, den aufgeklärten Franzosen zu danken, und wahrlich! ich mögte wohl der Rußischen Kaiserinn vorschlagen, sie sollte, wenn sie sich vor den Einfällen der rohen männlichen Tartarn fürchtete, nur eine Colonie von Franzmännern hinschicken, welche die Nation ein bisgen humanisierte; dann bedürfte es keiner Armeen. In dreyßig Jahren würde das wohlriechende, gepuderte, entnervte Völkgen so zahm als möglich seyn, brav Verse machen, Romane lesen, sich unter einander kränken, die bessern stärkern Köpfe verfolgen, und die guten Menschen durch das Gift der Verläumdung auszehren.[67]

Der Baron Leidthal hat mir gesagt, daß Sie den Soldatenstand verlassen wollen. Ich halte das für ganz gut gethan. Ein Mann wie Sie sind, ist zu den kleinen Details dieses Dienstes nicht gemacht, wenn ihn nicht die Noth treibt, auf solche Art seinen Unterhalt zu suchen. Das übelverstandene Interesse unserer armen Landesväter erfordert freylich, daß sie, um ihre despotische, die Menschheit herabwürdigende Maschiene im Gange zu erhalten, eine große Ehre mit den Militairdiensten verbinden. Das Vorurtheil, das sie darinn gelegt und allgemein verbreitet haben, ist so herrschend geworden, daß man deswegen die Stände, welche der menschlichen Gesellschaft den wesentlichsten Nutzen stiften, sehr herabsetzt, um jenen, durch Verderbniß und Trennung geselliger Bande erzeugten Stand, zu erheben.

Wie würde sich ein Fürst wundern, wenn man ihm vorschlüge, seinen Sohn Arzt werden zu lassen? Aber ohne Bedenken wird er[68] ihn zum Officier bey einem einzigen unnützen Friedensbataillon machen, welches er etwa hält, damit er sich dort mit der Anzahl der Knöpfe, welche auf einer guten Cammasche sitzen müssen, beschäftige, oder sich von dem Unterofficier melden lasse: (wie ich es einst auf eines Officiers Stube erlebt habe) »Herr Hauptmann! der Recrute N.N. hat diesen Morgen eine Abführung eingenommen; sie hat aber nicht gewürkt. Weiter ist nichts Neues.« –

Doch, wieder auf unsre Reise zu kommen! Könnten wir nicht auch unterwegens Geld verdienen? Erinnern Sie Sich noch eines Mannes, der vor ein Paar Jahren herumreisete1, und in jedem Wirthshause, wo er abtrat, Morgens und Nachmittags jedermann, der kommen wollte, etwas vorlas, wofür die Person einen halben Gulden zahlte. Er las wie jeder andrer Mann von einzigem Geschmacke, und das kaum; denn er legte[69] hie und da einen ganz falschen Accent auf die Wörter, ließ sichs aber sauer werden, und schwitzte dabey wie ein Präceptor. Indessen hat mir diese Finanzoperation gefallen; Er reisete doch für das Geld.

Könnten wir nicht bekannt machen, wir wollten jedem eine Schmeicheley für einen halben Gulden sagen, ein Histörchen erzählen oder d.gl.?

Aber die Post geht ab. Leben Sie wohl, lieber Freund! Es bleibt beym Alten.


Weckel.

Fußnoten

1 Hier scheint ein chronologischer Fehler zu seyn.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 71.
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