Neunter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt.

[71] Dresden den 14ten August 1771.


Verehrungswürdigster Wohlthäter!


Wie können Sie einen Augenblick zweifeln, ob ich Ihr gnädiges Anerbiethen, den Herrn von Hohenau auf seiner Reise zu begleiten, annehmen werde? Wenn auch nicht mein eigenes Vergnügen, da ich so herzlich gern Länder und Menschen sehe, damit verbunden wäre; so würde es doch wohl keine Frage seyn, ob ich einem Manne, dem ich so alles zu verdanken habe, auf den ersten Winke zu Dienste stünde.

Es hat auch sehr viel weniger Schwierigkeit gekostet, als ich anfangs dachte, vorerst[71] auf ein Jahr Urlaub zu bekommen, zumal da ich vorgestellt habe, daß ich meine Reise nützen würde, mich zu herrschaftlichen Geschäften, durch die Kenntniß der Einrichtung andrer deutschen Provinzen, geschickter zu machen.

Dabey ist es mir gelungen, auch unserm lieben Etatsrath Müller einen Gefallen zu erzeigen. Er wünschte lange, daß sein Sohn Ludwig das Schauspielerleben verlassen, und irgendwo angesetzt wer den mögte. Diesen jungen Menschen nun habe ich unserm redlichen Präsidenten (der über alle Vorurtheile hinaus ist) vorgeschlagen. Ich habe es dahin gebracht, daß er bey der Canzelley angestellt und meinen Dienst in den gewöhnlichen Geschäften versehen wird. Hierdurch gewinnen wir Alle, und vorzüglich der junge Müller, der nun in den Zug von solcher Art Arbeit kömmt.[72]

Alles ist folglich in Ordnung, und Ihrem Befehle gemäß werde ich mich in vierzehn Tagen in Urfstädt völlig reisefertig einfinden. Den jungen Herrn Müller erwarte ich in künftiger Woche. Ich habe ihn ausser dem Präsidenten noch dem Herrn Cammerrath von ... empfohlen, einem Manne, den ich sehr schätze, obgleich ihn ein großer Theil des Publicums verkennt, indem er von Vielen bis in den Himmel erhoben, von Andern mit den schwärzesten Farben abgemalt wird, wie es allen Menschen geht, die nicht ganz nach dem Alltagsschnitte gemacht sind.

Da Sie, mein gnädiger Herr! gern Portraitte von ausserordentlichen Menschen sehen; so glaube ich, es wird Ihnen keine Langeweile machen, wenn ich Ihnen hier ein treues Bild dieses Mannes vor Augen lege.

Er ist nicht schön; Im Gegentheil! seine Physionomie hat etwas Auffallendes, das Manchem wiedrig scheint, dem feinen Beobachter[73] aber die Züge eines vernünftigen, gefühlvollen, vielleicht zu sinnlichen Menschen verräth. Er ist mager, und itzt schwächlich, woran theils zu viel Sorglosigkeit für seinen Körper, Mangel an Diät, (indem er sich, zwar nicht zu groben Ausschweifungen, aber doch zu manchem unmäßigen Genusse durch Gelegenheit hinreissen läßt) theils Bewegung des Gemüths Schuld ist; denn jede kleine Unruhe über nichts bedeutende Sachen nagt ihm an Leib und Seele, und macht ihn einige Tage hindurch unbehaglich. Daher kömmt denn auch die unendliche Abwechselung seiner Launen. Er ist gar zu weich; Ein gleichgültiges Gesicht, das ihm unschuldigerweise ein vertraueter Freund macht; Ein Wörtgen, das er auf sich zieht; Ein kleiner Mangel an Aufmerksamkeit, so man ihm zeigt, verstimmt ihn auf vier und zwanzig Stunden. Dann geht seine Aengstlichkeit, seine Verlegenheit so weit, daß er sich gar nicht zu helfen weiß. Er meint das Schicksal und alle Menschen hätten sich gegen ihn verschworen. Dies ist[74] eine Folge seiner unerhörten Schicksale, die ihn oft überfielen, wenn er es am wenigsten erwartete, und durch die kleinsten zusammentreffenden Umstände herbeygeführt wurden, wenn er in einem Winkelchen ganz ruhig zu sitzen glaubte. Es ist wahrlich Wunder, daß er bey diesen Umständen nicht längst ein Menschenfeind geworden ist, daß er noch auf die Freundschaft irgend eines Mannes trauet. Denn immer erfuhr er es, daß wenn er in irgend eine Verlegenheit kam, ihn jedermann, auch die, welche ihm am mehrsten zu danken hatten, im Stiche liessen; Und wenn er sich herausgerissen hatte, dann drängte sich wieder ein Heer mittelmäßiger Geschöpfe um ihn her, die sich durch ihn Glanz geben, und vor dem Publico als die Freunde eines klugen Mannes gelten wollten – Und doch trauete er immer wieder, nahm jeden undankbaren Rückkehrenden wieder in seine Arme auf.

Auch hat er in seinem Character eine so glückliche Mischung von Leichtsinn, ohne[75] welchem er vielleicht nicht mehr leben würde, daß wenn nur die ersten Tage vorüber sind, er sich über jedes erlittene Ungemach beruhigen kann.

Er besitzt sehr viel Eitelkeit – Nicht eben, sich Eigenschaften anzudichten, die er nicht hat; aber sehnlichst zu verlangen, daß man alles Gute an ihm bemerken, ihn nicht grob schmeicheln, aber ihm vorzügliche Achtung und Liebe beweisen soll. Sobald er glaubt mit einem mittelmäßigen Menschen verglichen oder gleichgehalten zu werden; so murrt sein Stolz.

Er hat ein zu fühlbares Herz, nimt so warmen Antheil an den Schicksalen Anderer, als wenn es ihn selbst beträfe – Ja! mehr, denn wenn seine Weichligkeit ihn bey eigenem Kummer fast immer eine üble Rolle spielen läßt; so zeigt er bey den Gefahren Anderer Muth und Entschlossenheit, und ist der beste Tröster. Der Gedanke nicht helfen zu[76] können, wo er Noth sieht, zerreißt sein Innerstes.

Hieran ist wohl freylich sein Temperament, sein schwacher Nervenbau mit Schuld; Er kann kein Thier leiden sehen. Nicht aus Furcht vor dem Anblicke des Jammers, dem sich glückliche Leute so gern entziehen, sondern weil er selbst viel gelitten hat, vertrauet mit aller Art von Elende, und nur selten in dem Falle ist, dies heben zu können, weil es ihm an Vermögen und Gewicht fehlt.

Sein Kopf ist hell und aufgeklärt. Er dringt tief in das Wesen der Dinge, ist voraussehend, fein beobachtend, und hat sehr erfahren, gelesen, gesehn, gelernt, seit einigen Jahren aber viel von seinem Gedächtnisse verlohren, weil sich immer eine Menge Gegenstände in seinem Kopfe herumdrängen.

Niemand kann dienstfertiger seyn als er. Auch machen fast alle Leute Misbrauch davon,[77] und selten erndtet er Dank ein, kömmt gewöhnlich um seiner Freunde willen in Verlegenheit. Dabey besitzt er eine Thätigkeit und ausdauernde Arbeitsamkeit, wie ich sie noch in meinem Leben bey niemand wahrgenommen habe, setzt auch alles durch, was er will.

Bey der großen Lebhaftigkeit seines Temperaments hat er einen ausserordentlichen esprit de detail und einen höchst pedantischen Ordnungsgeist. Er kann mit ungeheurer Geduld sich um die kleinsten Geschäfte, um Küche, Keller u.d.gl. bekümmern. Dabey ist er, wenn er gestimmt ist und es will, der unterhaltendeste Gesellschafter, der feinste Hofmann, der angenehmste, bescheidenste, sittsamste Freund der Frauenzimmer, die er, vielleicht mehr als er sollte, liebt und ehrt, kann sich mit jesuitischer List in die Gunst auch schlechter Leute einschleichen, aber selten darinn erhalten, weil er nicht in der Folge fortschmeicheln kann, und das zwar, theils[78] wenn die Leute ihm in der geforderten Achtung und beständigen Aufmerksamkeit fehlen, theils wenn er findet, daß sie unter seinem Ideale sind, welches fast immer der Fall ist; weswegen er denn bald der Leute müde wird, sobald er sie ganz kennt. Doch verachtet er sie nachher nicht, denn er hat eine unbeschreibliche Duldung gegen Schwache, nur muß es ihnen nicht einfallen, sich ihm gleichzustellen.

Er ist leicht für jede gute Sache in Feuer zu setzen und mit Enthusiasmus zu erfüllen. Dann fehlt es ihm aber oft an kalter Ueberlegung der Folgen, und augenblickliche Gegenwart des Geistes, die sonst eine Eigenschaft schneller Genies ist, hat er, vielleicht aus zu großer Lebhaftigkeit, gar nicht.

Er thut alles, bis auf die geringsten Dinge, mit äusserster Schnelligkeit, ißt und trinkt gern gut und viel, ohne jedoch unmässig zu seyn. Er ist nur einmal in seinem Leben berauscht gewesen.[79]

Sein großer Fehler ist, daß er nicht schweigen kann, wenn ein Schurke gelobt wird. Ueberhaupt ist er (doch nicht in Dingen, die er für wichtig ansieht) zu geschwätzig, sagt in einem Augenblicke von Herzensergiessung Dinge heraus, die ihm und Andern höchst nachtheilige Folgen bringen können.

Aus zu großer Thätigkeit aller Orten Gutes zu befördern und Böses zu verhindern, hat er sich mehrmals in Händel gemischt, aus welchen er sich nur mit Mühe und oft auf Unkosten seines Rufs herauszog.

In dem Augenblicke, da er beleidigt wird, ist er voll Rachgier, und zuweilen sehr ungerecht gegen den Beleidiger. Aber eine kurze Ueberlegungsfrist bringt ihn zur Vernunft, und dann würde er seinen letzten Bissen mit seinem Verfolger theilen, besonders wenn sich dieser unterwirft, oder unglücklich ist.[80]

Gegen sein Gesinde ist er der väterlichste, vielleicht nur zu nachsichtige Freund, und wenn seine Leute nur fröhlig sind und ihm Zutrauen zeigen; so zankt er gewiß nicht, und fordert wenig von ihnen.

Er ist mehr Verschwender als geizig, hat ungern mit Geldsachen etwas zu thun; aber für andre Leute würde er mit Freuden wuchern.

Sein mündlicher Vortrag ist nur dann, wenn Körper und Seele recht gesund sind, (und das kömmt selten) wenn er in Feuer geräth, und die Materie nach seinem Geschmacke ist, hinreissend und zusammenhängend; ausserdem aber verwirrt und zerstreuet. Hingegen schreibt er mit Wärme, Ordnung und Zierlichkeit, kann sich auch beynahe zu jeder Zeit in die Laune zum Schreiben setzen.[81]

Nie ist er mehr in seinem Elemente, als wenn er über Despotismus und Dummheit spötteln oder eifern kann.

Seit einiger Zeit entzieht er sich sehr dem Umgange mit Menschen. Sie haben ihn so oft getäuscht, daß er lieber im Stillen für sie arbeiten, als sie um sich sehen will. Als ihn neulich jemand fragte, warum er so philosophisch lebte, sagte er: »Der Teufel mag am Ende kein Philosoph werden, wenn es einem so schlimm geht!«

Dies ist das ohngefehre Bild eines Mannes, der von der Natur zu etwas Größerm bestimmt zu seyn schien.

Ich sehe aber, daß mein Brief durch diese Zeichnung ungewöhnlich lang geworden ist. Verzeyhen Sie, gnädiger, bester Herr! Ich küsse Ihnen in Gedanken die Hände.


Meyer.[82]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 71-83.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wilbrandt, Adolf von

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Geschichte des Gaius Sempronius Gracchus, der 123 v. Chr. Volkstribun wurde.

62 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon