Erstes Kapitel

Etwas von der Familie und den übrigen Verhältnissen des Verfassers

[107] Ich weiß wohl, daß man es Schriftstellern, und besonders einigen neuern Reisebeschreibern, sehr übel auslegt, wenn sie in ihren Werken viel von sich selber, ihren Freunden und Verwandten reden; und da ich mir fest vorgenommen habe, in diesem Buche einen ganz andern Weg zu gehn als den gewöhnlichen, so sollte ich mich freilich hüten, gleichfalls in diesen Fehler zu verfallen; allein ich halte es doch für Pflicht, bevor ich zu der Erzählung der Begebenheiten selber schreite, die Leser zuerst genauer mit den Personen bekannt zu machen, von deren Abenteuern und Unternehmungen ich ihnen Rechenschaft geben will. Meine Geschichte gewinnt dadurch an Glaubwürdigkeit; und wenn ich mich kurz fasse, so hoffe ich auch, Sie sollen, meine wertesten Herren und Damen, nicht ungebührlich viel Langeweile dabei haben. – Also frisch daran!

Mein Vater, seligen Andenkens, war ein Bierbrauer in Goslar und verfertigte die vortreffliche Gose, von welcher der große Hübner, was ihren Geschmack und ihre eröffnende Wirkung betrifft, rühmlichst Erwähnung tut. Wir hielten zugleich ein Wirtshaus und hatten immer die Stube voll lustiger Gäste. Hier fielen dann sehr angenehme Gespräche, besonders über politische Gegenstände, Krieg und Frieden vor; reisende Handwerksburschen, Soldaten u. dgl. erzählten von fremden Ländern und Städten; und wenn ich, als ein Knabe, mit meinen Büchern aus der Schule kam (wo man mir zehn Jahre lang hauptsächlich mit Gesenii Katechismus-Lehren und nebenher mit einigen nützlichen weltlichen Kenntnissen das Gedächtnis schmückte, die Bildung des Herzens nebst der Übung des Scharfsinns und[107] der richtigen Beurteilungskraft aber der Zeit und den Umständen überließ), verweilte ich oft in dem allgemeinen Gastzimmer, um jenen Erzählungen zuzuhören, und ließ schon früh die Lust zum Reisen und Wandern in mir erwecken.

Es hatten aber meine Eltern beschlossen, mich die Rechte studieren zu lassen und aus mir einen Advokaten zu machen. Von dieser wohltätigen und nützlichen Menschenklasse befanden sich damals kaum funfzig in Goslar, von denen einige, die schon sehr alt waren, vermutlich bald aus dieser Welt heraus kontumaziert werden mußten; und so war denn Hoffnung da, daß ich, nach vollbrachten Studien, in meiner Vaterstadt als Sachwalter Brot finden würde. Man schickte mich zu diesem Endzwecke, sobald ich konfirmiert war, auf die Schule zu Holzmünden und dann, im zwanzigsten Jahre meines Lebens, nach Helmstedt, woselbst ich von einem kleinen Stipendio lebte und, in einer großen Fütterungsanstalt für arme Studierende, mit derber Kost versehen wurde, die in der Tat wohl passender für Tagelöhner, als für Gelehrte gewesen wäre, jedoch meinen Vater, der monatlich ein paarmal bei Trompeten- und Paukenschalle beträchtliche Summen im braunschweigschen Lotto verspielte, von der Sorge befreiete, sehr viel auf meinen Unterhalt zu verwenden.

Im Jahre 1764 befahl mir mein Vater, nach Goslar zurückzukehren. Ich fand ihn in sehr zerrütteten Gesundheits- und Vermögensumständen. Es schien, als wenn die ungerechten Flüche derer, denen seine Gose zuweilen Leibschmerzen verursachte, alles nur mögliche Ungemach über sein Haupt brächten. Außer dem Verluste, den er in der Zahlenlotterie erlitten hatte, war er noch auf andre Weise unglücklich gewesen. Die Sache ging also zu. Der berühmte Graf St. Germain, der bekanntlich ein großer Alchimist und Universalarzt war oder vielmehr ist (denn den Gerüchten, als sei er kürzlich in Schleswig gestorben, darf man keinen Glauben beimessen; ein solcher Mann stirbt nicht; und wäre dem so und hätte man am Ende entdeckt, daß er ein Betrüger[108] gewesen, so würden ja doch die Leute, bei denen er zuletzt gelebt, es für Pflicht der Rechtschaffenheit gehalten haben, seine Schelmereien, zur Warnung des abergläubischen Publikum, öffentlich bekanntzumachen, möchte man auch ein bißchen über ihre Leichtgläubigkeit lächeln oder seufzen!), dieser Mann nun bereisete den Harz und hielt sich einige Wochen lang in Goslar auf, wo er seinen herrlichen Tee, den er wohltätigerweise, das Pfund für einen Karlsdor, verkaufen ließ, debitierte. Dieser Tee hatte, wie man weiß, die unvergleichliche Gabe, wenn er lange genug gebraucht wurde, von allen Sorgen dieses Lebens zu befreien und zu einer bessern Welt vorzubereiten. Der Graf war damals in seinen besten Jahren, kaum eintausendachthundert Sommer alt. Einer seiner Lakaien, der noch nicht viel über fünfhundert Jahre bei ihm diente, kam täglich in meiner Eltern Haus, war sehr geschwätzig, redete viel von den Arzeneimitteln seines Herrn und machte endlich meinem Vater begreiflich, daß, wenn er dem Herrn Grafen einen großen Vorrat von dem Wundertee auf Spekulation abkaufte und damit den ganzen Unterharz laxierte, er nicht nur an manchen Familien zum Wohltäter werden, sondern auch ein ansehnliches Kapital gewinnen könnte. Mein Vater ließ sich ankörnen, erhandelte zweihundert Pfund von der wohltätigen Ware, und der Wundermann reisete weiter. Die ersten Proben, welche Herr Noldmann mit diesem Universalmittel machte, fielen unglücklich aus; die Patienten hatten nicht Geduld genug, so lange zu leben, bis die eigentliche Wirkung des Tees erfolgen konnte, und der Stadtphysikus, der sein Privilegium, für die Bevölkerung des Paradieses zu sorgen, mit niemand teilen wollte, verklagte meinen Vater bei dem Magistrate. Der Prozeß fiel zum Nachteile des Beklagten aus; der Tee wurde konfisziert, von Sachkundigen geprüft und, da man ihn aus äußerst gemeinen, wohlfeilen, aber bei unvorsichtigem Gebrauche schädlichen Kräutern zusammengesetzt fand, ins Wasser geworfen, mein armer Vater aber zu einer großen Geldstrafe[109] verurteilt. Aus Kummer über diesen neuen Unfall und über seine täglich sich verschlimmernden häuslichen Umstände fiel er in eine gefährliche Krankheit. In dieser Zeit schrieb er mir, ich möchte zu ihm kommen, indem er durch meine Praxis sich wieder in eine beßre Lage zu versetzen hoffte. Was aber seine Gesundheit betraf, so war er jetzt gegen den Arzt aufgebracht und wollte sich also seiner Hülfe nicht bedienen; noch hatte er ein paar Pfunde von seinem Tee heimlich gerettet, und da sein Glaube an die Wirkung desselben um nichts schwächer geworden war, so trank er selbst fleißig davon. Vierzehn Tage nach meiner Ankunft brachten ihn so weit, als die beharrlichsten unter St. Germains Patienten früher oder später zu kommen pflegten; er starb in meinen Armen und hinterließ seiner Familie drückende Sorgen für die Zukunft.

Meine Mutter, von der ich noch nichts gesagt habe, lebte damals noch; mein Vater hatte für sie in eine auswärtige Witwenkasse gesetzt; allein da die Einrichtung derselben auf unrichtigen Berechnungen beruhete, so konnte sie keinen Bestand haben; die Direktion der Kasse hatte daher schon vor einigen Jahren bekanntgemacht, daß sie nicht Wort halten könnte; das ganze Institut zerfiel; eine Menge von Familien verloren ihren Unterhalt, ihre von der Landesherrschaft gesicherten Forderungen, die armen Weiber ihre Aussichten, ihre Hoffnungen, künftig vor Mangel geschützt zu sein; und unter diesen war denn auch meine Mutter.

Da es meinem Vater gefallen hatte, aus mir das zu machen, was man einen Gelehrten nennt, so schickte es sich nicht für mich, als Bierbrauer und Schenkwirt in seine Fußstapfen zu treten; auch fanden sich so viel Schulden, daß wir Haus und Inventarium verkaufen mußten, um diese zu tilgen. Ich mietete also ein paar kleine Zimmer, tat den sehr unbedeutenden Rest, der von unserm Vermögen übrigblieb, auf Zinsen aus und beschloß, vorerst davon, und dann von meiner Arbeit als Advokat, mich und meine Mutter, so gut es gehen wollte, zu unterhalten.[110]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Traum des Herrn Brick. Berlin 1979, S. 107-111.
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