Siebenzehntes Kapitel

Des Verfassers zweite Unterredung mit dem großen Negus über Staatsangelegenheiten

[225] Mit der Ängstlichkeit, die einen Minister zu befallen pflegt, wenn er eine seiner Kreaturen in den Dienst seines Despoten gebracht hat und er nun noch in der Ungewißheit schwebt, ob der gnädigste Herr auch zufrieden mit seiner Wahl ist oder ob nicht vielleicht diese Empfehlung ihm, dem Minister selber, schaden, seinen Kredit schwächen könnte – mit dieser Ängstlichkeit zog mich mein Herr Vetter, sobald er im Schauspiele sich mir nähern konnte, auf die Seite und fragte mich, wie meine erste Amtsverwaltung bei[225] dem Monarchen abgelaufen wäre. »Ihr seid, wie ich höre, sehr lange bei Seiner Majestät gewesen«, sagte er, »ich hoffe, Ihr werdet mit Vorsicht und nichts geredet haben, was uns schaden könnte. Ihr seid mit Fürsten und Höfen noch nicht sehr bekannt. Jedes Wort muß man hier auf die Waagschale legen. Die großen Herrn sind denn auch mißtrauisch, und verschweigen können sie gar nichts von dem, was man ihnen im Vertrauen sagt.«

Ich bat den Herrn Minister, nur ruhig zu sein, und erzählte ihm alles, was zwischen dem Könige und mir vorgefallen war. »Aber«, rief mein Vetter aus, »seid Ihr denn toll, Seiner Majestät aus einem Buche vorzulesen, das in einer Sprache geschrieben ist, wovon er nicht eine Silbe versteht?« – »Konnte ich das wissen?« erwiderte ich, »warum sagte er mir's nicht, daß er kein Französisch gelernt hätte?« – »Als wenn es sich für einen König schickte zu bekennen, daß er in irgendeiner Sache unerfahren wäre, die einer seiner Untertanen weiß! Ich hoffe, Ihr habt es ihm nicht merken lassen, daß Ihr dies nur einmal ahnden könntet?« – »Nichts weniger! Aber ich gestehe Euch auch, der Herr sprach so verständig über manche Gegenstände, daß ich versucht war, ihm alle mögliche Gelehrsamkeit zuzutrauen. Unter andern fällte er über die Schauspielkunst sehr treffende Urteile.« – »Oh! bleibt mir damit vom Leibe! diese lange Deklamation habe ich schon so oft von ihm gehört; die hat er in einem deutschen Manuskripte gelesen, das ich ihm geliehen habe, hat sie auswendig gelernt und prahlt nun damit; doch das bleibt unter uns! Diese Gabe haben alle Fürsten, mit fremden Kenntnissen zu prangen; und Ihr werdet sehen, daß, wenn Ihr ihm heute etwas Gutes gesagt habt, er nach einigen Tagen vergessen haben wird, daß das von Euch kam und daß er Euch dann vielleicht Eure eigne Ware wieder verkaufen wird. Übrigens wünschte ich, Ihr möchtet suchen, künftig die Gespräche unvermerkt auf politische Gegenstände zu lenken, und ihm ein wenig von den herrlichen Einrichtungen unsrer deutschen Staaten erzählen; denn von[226] dieser Seite habe ich meine Last mit ihm; er will in allem seinem Kopfe folgen und hat so despotische Grundsätze, daß ich selbst oft für meine und Eure Sicherheit bange bin. Hier ist der Ort nicht, davon zu reden. Kommt morgen früh in mein Kabinett! da will ich Euch weitläufig instruieren.«

Ich ermangelte nicht, diesen Befehl des Herrn Ministers zu vollziehen, und ging des andern Tages nach der Tafel, vollkommen vorbereitet, zu meinem allergnädigsten Negus.

Die Leser werden es mir, wie ich hoffe, nicht zur Eitelkeit auslegen, wie einige von ihnen es einem großen deutschen Schriftsteller bei einem ähnlichen Falle dafür ausgelegt haben, wenn ich ihnen noch ein paar von meinen Gesprächen mit dem Monarchen Abyssiniens erzähle. Es ist notwendig, daß ich berichte, wie der Negus über manche Gegenstände, welche auf die Aufklärung seines Landes Bezug haben konnten, dachte, wenn ich von meinen und meines Herrn Vetters Bemühungen, dort alles auf europäischen Fuß zu setzen, Rechenschaft geben will. – Also ohne Umschweife!

Ich las heute dem Negus aus Wielands »Geschichte der Abderiten« vor, wobei Seine Majestät herzlich lachten, als wir durch einen großen Lärm, der draußen vor den Fenstern des Schlosses entstand, unterbrochen wurden. Ich erschrak und fürchtete einen Auflauf des Volks; allein der König beruhigte mich und erklärte mir den Vorfall. Es war nämlich von undenklichen Zeiten her in Abyssinien eingeführt, daß täglich, um eine gewisse Stunde, eine Anzahl Menschen vor die Fenster der königlichen Zimmer treten und mit großem Geschreie Gerechtigkeit und Hülfe erflehen und fordern mußten.3 Der Zweck dieser Zeremonie war, den Monarchen, mitten in seinen Freuden und Wollüsten, aus dem Schlummer der Sinnlichkeit zu erwecken und ihn daran zu erinnern, daß tausend Menschen jeden Augenblick auf seine[227] Tätigkeit und Wachsamkeit Anspruch zu machen ein Recht hätten.

Diesen Gebrauch lobte ich und fügte hinzu: ich wünschte, es möchte etwas Ähnliches bei uns in Deutschland eingeführt werden.

»Ich hoffe«, sprach der Negus, »eure Könige und Fürsten werden solcher Erinnerungen so wenig als ich bedürfen.« – »Wenigstens«, erwiderte ich ganz freimütig, »kann es wohl nicht schaden, wenn man es ihnen zuweilen an das Herz legt, daß sie Menschen sind wie wir alle. Auf dem Throne, umringt von Schmeichlern, die jedes halbkluge Wort, das aus ihrem Munde geht, wie einen Orakelspruch bewundern, jede menschliche Handlung, deren ein guter Privatmann, nach Verhältnis seines Vermögens, ohne einmal zu ahnden, daß er etwas anders als seine Pflicht getan hat, unzählige begeht, in Zeitungen und Gedichten ausposaunen; angebetet von Sklavenseelen, die sie ohne Unterlaß in dem Wahne erhalten, als sei jeder Fürst ein Statthalter Gottes, folglich alles Gute, was er seinen Untertanen erwiese, und alle Sorgfalt, welche er ihnen widmete und wofür er doch ernährt, gepflegt und geehrt wird, eine Gnade, als sei das Geld, welches er ausspendet, das Almosen, welches er gibt, die Besoldung, womit er den Fleiß belohnt, aus seinem Schatze hergegeben, da es doch nur das Eigentum des Landes ist, welches er verwaltet; in eitlen Freuden, Zerstreuungen und Lüsten herumtaumelnd, vergessen die Großen der Erde, wenn sie nicht so erhaben, so edel wie Euer Majestät denken, gar zu leicht, daß indes Millionen Menschen nach Brot und nach Sicherheit gegen Unrecht und Bedrückungen seufzen. Man entfernt von ihnen den Anblick des Elendes, damit sie nicht auf die Spur kommen, woher dies Elend rührt, nicht erfahren, daß die kleinen Untertyrannen es sind, die das Volk so unglücklich machen; damit sie nicht böser Laune werden, noch verstimmt seien, wenn irgendein Liebling für sich oder seine Kreaturen eine neue Gunst auf Unkosten andrer erbetteln will. Da würde es denn ganz heilsam sein, wenn[228] man sie zuweilen durch die laute Volksstimme daran erinnerte, daß dies Volk ein Recht hat, sie zu ihrer Pflicht aufzufordern, und daß, wenn sie auch vor dieser lauten Stimme ihre Ohren verschlössen, jeder dieser schreienden Mäuler auch zwei Arme hat, womit man Felsen sprengen, also auch Throne umstürzen kann.«

NEGUS: Darfst du das in Deutschland laut sagen, was du dich unterstehst, hier vor mir zu reden?

ICH: Allergnädigster König! Ein großer, edler Regent fürchtet die Stimme der Wahrheit nicht und haßt nicht den, welcher die Stimme führt; und die kleinen, niedrigen Despoten scheuet man jetzt nicht mehr. Man schreibt und redet schon ziemlich laut über Menschenrechte und Regentenpflichten und wird bald noch lauter darüber reden. Nur ist es zu bedauern, daß solche Wahrheiten selten zu den Ohren unsrer Fürsten kommen. Die Wesirs und Muftis, die mehr als die Sultane dabei interessiert sind, daß alles auf dem alten Fuße bleibe, verstopfen ihren Herrn die Ohren und verbinden ihnen die Augen. Unsre Fürsten sind zum Teil gutgeartete Menschen; wenn man ihnen an das Herz redete, so würden wohl viele von ihnen auf bessere Wege zu lenken sein, ja, sie würden die Notwendigkeit einsehen, ihr System zu ändern. – Denn das läßt sich doch begreifen, daß, früh oder spät, das gemißhandelte Volk die Last der unnatürlichen Ketten fühlen und sich wundern wird, wie es wohl kömmt, daß es erst jetzt einsieht, es liege nur an ihm, diese Fesseln abzuschütteln. Und dann möchte vielleicht eine ärgre Revolution erfolgen, als gegenwärtig zu befürchten wäre, wenn die Despoten gutwillig sich den ersten, heiligsten Gesetzen, den Gesetzen der Menschheit, unterwürfen.

NEGUS: Aber wenn eure Fürsten das, was gegen die Mißbräuche ihrer Gewalt geschrieben und gesprochen wird, nicht erfahren, so stiftet ja das ganze Geschrei darüber keinen Nutzen, wohl aber den Nachteil, daß das Volk zum Aufruhr, auch gegen gute Regenten, zur Unzufriedenheit,[229] auch über die besten Einrichtungen, angereizt werden kann.

ICH: Nein, mein gnädigster König! Das Volk im ganzen ist nie zum Aufruhre geneigt, und einzelne unruhige Köpfe würden es vergebens versuchen, Menschen zur Meuterei zu verführen, die sich, unter einer väterlichen Regierung, glücklich fühlen, Menschen, die Freude und Wonne und Sicherheit und Wohlstand in ihren stillen, friedlichen Hütten schmecken, die nach öffentlich bekannten Grundsätzen regiert, nicht im Blinden geführt, nach Gerechtigkeit und Verordnungen, nicht nach Willkür gerichtet werden. Einzelnes Klagen und Murren wird dann freilich wohl dennoch gehört werden; nicht jeden wird man zufriedenstellen können; auch werden einzelne Unvollkommenheiten mit unterlaufen, aber allgemeine Meuterei wird nie Wurzel fassen, und schrieben die Bösgesinnten auch noch so arge Libelle. Also schaden dergleichen freie Reden und Schriften nicht. – Aber sie stiften auch Nutzen. Lieset und hört sie der Fürst nicht, so lesen und hören sie doch zuweilen seine Verführer, zittern bei dem Gedanken, daß ihr Reich sich seinem Ende nahen könne, und verlieren den Mut. Der Gedrückte, Gebeugte, Scheue, Furchtsame aber wird belebt, wagt es einmal, bei einer entscheidenden Gelegenheit, wo er aufs äußerste gebracht ist, den Götzen die Kniebeugung zu versagen; und der Schwache, der im Begriff war, sich zum Werkzeuge der Unterdrückung mißbrauchen zu lassen, schämt sich und tritt zurück, tritt auf die Seite der Bessern, wenn jene Wahrheiten in allgemeinen Umlauf kommen und niedrige Sklavenseelen der öffentlichen Verachtung preisgegeben sind.

NEGUS: Du redest kühn; aber ich mag dergleichen wohl hören und werfe darum keine Ungnade auf dich. Komm morgen wieder! Für heute habe ich genug. Nur bitte ich, wenn du nicht Lust hast, gekreuzigt zu werden, daß du über dergleichen Gegenstände nur mit mir und außerdem höchstens noch mit deinem Vetter, sonst aber mit niemand redest.[230]

Ehrerbietig verbeugte ich mich nun zur Erde und ging von dannen; aber ich gestehe es, ich war sehr zufrieden von meiner Wenigkeit an diesem Tage.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Traum des Herrn Brick. Berlin 1979, S. 225-231.
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