18.

[378] Undankbar gegen religiöse Gefühle sind diejenigen, welche das ganze Wesen der Religion und Gottes-Verehrung zu einer Sache der kalten Vernunft machen wollen. Wir sind nun einmal sinnliche Menschen, so lange wir hier auf Erden wandeln; soll irgend eine Wahrheit Interesse für uns haben; so müssen wir sie nicht bloß demonstriren, sondern es auch fühlen können, daß die Ueberzeugung von dieser Wahrheit uns nützlich, wohlthätig sey. Der Abstand zwischen uns und dem unsichtbaren allervollkommensten Wesen ist aber so groß, daß,[378] um uns von demselben nur irgend einen Begriff zu machen, für den wir empfänglich seyn können, wir uns diesen Begriff versinnlichen müssen. Dies wird um so nöthiger, wenn die Religion nicht bloß ein Gegenstand unsrer Speculation bleiben, sondern auch Einfluß auf unsre Handlungen, das heißt, auf die Anwendung unsrer Kräfte und Thätigkeits-Triebe erhalten soll. Es ist wohl gewiß, daß, wenn wir uns Gott, um uns mit ihm gleichsam in Rapport zu setzen, (man erlaube mir diesen Ausdruck!) in dem Verhältnisse als Vater, Freund und Wohlthäter vorstellen, mit dem wir reden, wie mit einem Menschen und uns an ihn unmittelbar mit Worten im Gebete wenden können, so oft unser Herz Erleichterung bedarf; daß dann diese Vorstellung bey weitem nicht erhaben genug ist; allein sie ist doch nicht falsch, ist dabey trostreich, erquickend, rührend, und hat von je her die[379] wohlthätigsten Einflüsse auf die Ruhe und Moralität der Menschen geäußert, besonders auf die große Anzahl derer, die keines höhern Geistesschwungs fähig sind und, ohne sinnliche Bewegungsgründe zur Pflicht-Erfüllung, in Irrthum und Zweifel fallen würden. Eine bloß philosophische Religion ist eine Religion für Philosophen, also für wenig Menschen. Es liegt ausser den Grenzen meines Zwecks und vielleicht auch meiner Kräfte, hier eine Untersuchung anzustellen, ob die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft ohne positive Religion, ohne den Glauben an Offenbarungen, würde bestehn können; ob die Offenbarung der christlichen Religion nur Bestättigung der Vernunft sey und uns keine andre Wahrheiten lehre, als zu welchen uns reifes Nachdenken, obgleich später, auch würde geführt haben. Das aber ist doch ausgemacht, daß das Christenthum die Fortschritte und[380] allgemeine Ausbreitung der tröstlichsten und erhabensten Wahrheiten befördert und beschleunigt hat und es jezt nicht mehr möglich ist, sich die Moral, ohne den Einfluß, den jenes darauf gehabt hat, zu denken.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 378-381.
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