2.

[350] Dankbarkeit äußert sich sogar in unvernünftigen Geschöpfen. Wir bemerken nicht[350] nur bey den Hausthieren, die von uns Schutz, Nahrung und Pflege erhalten, eine treue Anhänglichkeit an ihre Beschützer; sondern man erzählt auch viel glaubwürdige Beyspiele von Löwen und Tygern, die, aus Dankbarkeit für die Errettung von drohender Gefahr, ihre natürliche Wildheit gegen den Wohlthäter abgelegt, diesen bewacht, vertheidigt und ihm unbedingten Gehorsam geleistet haben. Ja! manche dieser rohen Geschöpfe scheinen ein lebhafteres Gefühl für die Dankbarkeit zu empfinden, als der, von sich durchkreuzenden Leidenschaften in immerwährendem Strudel umhergetriebene, durch die mannigfaltigen Verhältnisse der bürgerlichen Zusammenlebung, mit unzähligen unnützen Bedürfnissen bekanntgewordene, von unersättlichen Wünschen und nie zu befriedigenden Forderungen irregeleitete Mensch. Dieser findet nämlich, wenn ihn unedlere Begierden blenden, selbst in der Vernunft,[351] die seinen natürlichen Trieben als Leiterinn zugesellt ist, Mittel, das bessere Gefühl der Erkenntlichkeit, zum Vortheile eines übel berechneten Eigennutzes, wegzuvernünfteln.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 350-352.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ueber Eigennutz und Undank
Ueber Eigennutz und Undank
Über den Umgang mit Menschen / Über Eigennutz und Undank