20.

[382] Lasset uns jezt von einigen Arten des Undanks reden, dessen sich die Menschen gegen einander, in den verschiedenen Verhältnissen des Lebens, schuldig machen!

Den gegründetsten Anspruch auf unsre Dankbarkeit haben gewiß diejenigen Personen,[382] denen wir die Erhaltung unsrer Existenz, unsrer Bildung und Erziehung schuldig sind; und dennoch wird vielleicht keine Bemühung so schlecht vergolten und erkannt, wie die, welche Eltern, Pflege-Eltern, Lehrer und Hofmeister zum Wohl ihrer Kinder und Zöglinge anwenden. Es ist eine sehr gemeine Bemerkung, daß Eltern fast immer mit größerer Zärtlichkeit ihren Kindern zugethan sind, als sie von ihnen geliebt werden. Es mag wohl seyn, daß hieran zuweilen die Eitelkeit ihren Theil hat, und daß die Eltern in den Kindern, die sie gleichsam wie ein Werk ihrer Schöpfung ansehen, sich selbst gefallen. Hier ist aber nicht von der Lebhaftigkeit solcher Empfindungen die Rede, über welche man nicht immer Meister ist und von denen man also der Vernunft keine Rechenschaft geben kann; sondern von Ausübung der moralischen Pflicht der Dankbarkeit gegen schätzbare Personen, die sich[383] durch treue Sorgfalt für unsre bessere Existenz um uns verdient gemacht haben. Ich übergehe die Fälle, wo niederträchtiger Undank, wo Mishandlung aller Art der treuesten Wartung, Pflege und Aufopferung zum Lohne wird, ungeachtet diese Fälle nicht so ganz selten sind; Wir wollen die Menschheit nicht in ihren verworfenen Ab-Arten betrachten, sondern nur das vor Augen nehmen, was am häufigsten geschieht. Es ist auch wohl gewiß, daß manche Eltern und Erzieher ihre Forderungen und Ansprüche auf Dank und Abhängigkeit zu weit ausdehnen. Sie verlangen dann, daß die Kinder und Zöglinge lebenslang unmündig bleiben, durchaus keinen eigenen Willen haben, keine eigene Einsichten geltend machen, oder daß sie in sclavischer Abhängigkeit von ihnen, nur für sie, durch sie und auf ihre Winke thätig seyn sollen; oder sie vergessen den Unterschied, der unter den Neigungen der verschiedenen[384] Menschenalter Statt hat, entziehen den jungen Leuten jeden Genuß unschuldiger Jugend-Freuden und verlangen, daß sie, bey ihrem Eintritte in die Welt, eben so unempfindlich für die Reizungen anlockender Gegenstände seyn sollen, wie sie es, am Ende ihrer Laufbahn, nach vieljähriger Uebersättigung sind. Dies alles aber bey Seite gesetzt; wie wenig junge Leute giebt es da, besonders in unsern Tagen, die es lebhaft und innig fühlen und thätig beweisen, wie viel sie denen schuldig sind, denen sie ihre Bildung zu guten und verständigen Menschen verdanken! Sie denken nicht an die mühselige Wartung, die ihnen in den ersten Jahren der hülflosen Kindheit zu Theil geworden ist; nicht an die beschwerliche Arbeit des ersten Unterrichts; nicht an das Opfer der schönsten Jahre, in denen man sich so manche Freude und Zerstreuung versagt hat, um sie nicht ohne Aufsicht, nicht in Händen leichtsinniger[385] Miethlinge zu lassen; nicht an die durchgewachten Nächte, an die Sorgen, Entbehrungen, Anstrengungen und Arbeiten des redlichen Hausvaters, dem der Unterhalt seiner Familie obliegt und oft so schwer wird. Der Ordnung der Natur nach, sollte jedes vernünftige Wesen, wenn es sich selbst forthelfen und ernähren kann, nicht länger von dem Fleisse und Vermögen Anderer leben; allein bey unsern Verfassungen, besonders in den höhern Ständen, nimmt gewöhnlich erst dann der größere Aufwand, die größere Sorge für die Kinder, den Anfang, wenn diese ein Alter erreicht haben, das sie vollkommen in den Stand setzt, mit ihrer Hände Arbeit und mit den erworbenen Kenntnissen ihr Brod zu gewinnen. So verschwendet und verschwelgt zuweilen der Jüngling auf Universitäten eine größere Summe, als die übrigen Mitglieder der Familie, die sich seinetwegen die sparsamste Einschränkung[386] gefallen lassen müssen, zu Hause zu ihrem Unterhalte verwenden; Eltern und Geschwister arbeiten für ihn, der das Geld mit vollen Händen ausspendet. So trägt vielleicht die erwachsene Tochter die ganze jährliche, sauer erworbene Einnahme ihres fleißigen Vaters, in Flitterstaat angelegt, auf einmal an ihrem Körper. Und wie wenig Ersatz haben nicht nachher oft die Eltern im hohen Alter dafür zu erwarten, wenn dann endlich die Kinder versorgt, glücklich verheyrathet sind, oder in einträglichen Bedienungen stehen! Es kömmt ihnen gar nicht anders in den Sinn, als daß sie ein Eigenthumsrecht auf des Vaters Vermögen haben, zu dessen Herbeyschaffung von ihrer Seite kein Finger ist gerührt worden. Sie murren über seine Verschwendung, wenn er auch einmal von demjenigen etwas mit geniessen will, was ihm allein gehört. Die unbedeutendsten Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten,[387] die sie den Eltern erweisen, rechnen sie sich zum hohen Verdienste an, uneingedenk der unzähligen Opfer, die diese ihnen gebracht haben. Warnung und Rath, Bestreitung ihrer Thorheiten, Empfehlung weiser Mäßigkeit und Versagung, auf richtige Erfahrung und reife Vernunft gestützt, nennen sie unerträglichen Zwang, Eigensinn, mürrische Laune. Hat, durch die Sorgfalt der Eltern, Erzieher und Lehrer, ihr Verstand sich so ausgebildet, haben sich ihre Kenntnisse so vermehrt, daß sie vielleicht in einem einzelnen Fache größere Fortschritte als Jene machen; so vergessen sie, daß dies ohne eine gute Grundlage unmöglich gewesen seyn würde; glauben sich weit über die erhaben, glauben die zu übersehn, welche diese Grundlage gelegt haben, schreiben überhaupt das, was größtentheils fremdes Werk ist, allein auf die Rechnung ihres Fleißes, ihres Scharfsinns und ihrer Naturgaben,[388] und überheben sich der Pflicht der Dankbarkeit. Es ist indessen auch nicht weniger wahr, daß die Eitelkeit der Lehrer und ihre Anhänglichkeit an alte Formen sie, wenn sie nicht selbst mit dem Zeitalter fortgerückt sind, oft verleitet, von ihren Schülern blinde Unterwürfigkeit unter den Despotismus ihres Systemgeistes und ihrer Orakelsprüche zu verlangen.

Die undankbarste aller Bemühungen zur Bildung der Jugend ist wohl die eines Prinzen-Hofmeisters. Es ist bekannt genug, mit welchen Schwierigkeiten aller Art ein solcher Mann zu kämpfen hat. Wird dennoch seine Arbeit mit Erfolge gekrönt; so rechnet man doch fast nie die guten Eigenschaften, welche sein fürstlicher Zögling in der Folge zeigt, dem Mentor zum Verdienste an; der Prinz aber, wenn er herangewachsen, oder gar zur Regierung eines Landes gekommen ist, betrachtet seinen bisherigen[389] Führer wie einen beschwerlichen Sittenrichter. Er weiß, daß niemand vertrauter mit seinen Schwachheiten ist, als dieser; und das ist schon ein großes Verbrechen. Werden die jüngern Hofschranzen diese Stimmung ihres gnädigen Herrn, den sie möglichst an Leib und Seele zu verderben suchen, gewahr, und der ehemalige Hofmeister ist nun vielleicht alt und stumpf geworden; so wird er der Gegenstand ihrer schaalen Spöttereyen. Froh endlich, wenn er sieht, daß er jedermann im Wege steht, ein mäßiges Jahrgeld in Ruhe genießen zu können, zieht er sich in irgend ein Winkelchen des Landes zurück und bringt da den Rest seiner Tage in Verborgenheit zu. Dies ist das Schicksal so vieler Prinzen-Hofmeister und fast sollte man argwöhnen, es werde dies Geschäfte allgemein für das undankbarste von allen gehalten, wenn man sieht, daß so oft Leute dazu gewählt werden, die kaum zu irgend[390] einem andern Geschäfte in der Welt taugen.


Im Allgemeinen ist das große Publikum unerkenntlich gegen die Bemühungen der Erzieher. Wie geringschätzig behandelt und wie ärmlich besoldet man nicht noch immer, in so manchen Gegenden, die Schul- und Hauslehrer! Wird ein Jüngling seiner guten Eigenschaften wegen gelobt; so geschieht selten dabey des Mannes Erwähnung, dem er seine Bildung zu danken hat. Will man es an einem jungen Menschen rühmen, daß er sich die Fehler nicht zu Schulden kommen läßt, die an seinem Vater auffallend sind; so erhebt man deswegen seine festen Grundsätze oder seine glückliche Gemüthsart. Daran aber wird nicht gedacht, daß vielleicht gerade der weniger vollkommene Vater am sorgsamsten seinen Sohn vor den Fehlern zu bewahren gesucht hat, deren schädlichen[391] Einfluß er lebhaft fühlte, ohne die Kraft zu haben, sich selbst davon zu befreyn. Mislingt hingegen eine Erziehung; so wälzt der große Haufen die Schuld davon fast immer auf die öffentliche oder häusliche Anstalt, in welcher der junge Mensch einen Theil seiner Bildung erhalten hat.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 382-392.
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