22.

[393] Menschen, deren wir uns, ohne mit ihnen in andern als allgemeinen Verhältnissen zu stehn, kräftig angenommen, sie der Noth entrissen, in Wohlstand versetzt, im bürgerlichen Leben zu einträglichen Aemtern erhoben, ihnen Ruf, Bekanntschaften, Schutz und die Gelegenheit verschafft haben, mit ihren Talenten zu wuchern, kehren uns den Rücken, sobald sie Unsrer nicht mehr bedürfen, suchen sich auf unsre Unkosten zu erheben, zu bereichern, und die Wege zu einem redlichen Fortkommen, die wir ihnen gebahnt haben, uns zu versperren. Personen, denen wir unser Herz ohne Rückhalt eröfneten, wenn sie als Hausfreunde, täglich um uns waren und unser Brod aßen, verrathen uns, um andre Freunde zu gewinnen, misbrauchen[393] unser Zutraun, verlästern uns, stiften uns Feindschaften, oder plaudern die kleinen Schwachheiten und häuslichen Geheimnisse aus, die sie, bey vertraulichem Umgange, uns abgelockt haben. Da es wenig gutherzige Menschen geben wird, die nicht wenigstens einmal in ihrem Leben auf ähnliche Weise sind mishandelt worden; so enthalte ich mich, von meinen eignen häufigen Erfahrungen dieser Art zu reden.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 393-394.
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