29.

[408] Nirgends darf man weniger die Dankbarkeit suchen, als da, wo überhaupt keine Tugend einheimisch zu seyn pflegt – ich meine: an Höfen. Hier arbeitet Jeder nur darauf los, sich, auf Unkosten Andrer, Vortheile zu erschleichen und tritt mit lachendem Munde den Wohlthäter unter die Füße, wenn der Weg zum vermeintlichen Glücke über diesen hin geht. Auch wird da der stillschweigende Vertrag, sich einander so viel möglich zu betrügen, allgemein anerkannt. Niemand erwartet etwas anders, oder verlangt mehr, als daß dies nur mit gehöriger Manier geschehe. Man bleibt in immerwährendem Vertheidigungsstande und hält sich gegenseitig durch Furcht in den Schranken.[408]

Der große Haufen ist fast immer undankbar gegen die Bemühungen derjenigen Männer, welche das Ruder der Staaten führen. Ohne einen Begriff von der Last zu haben, die auf den Schultern der Regenten liegt, von den Schwierigkeiten, die ihnen von allen Seiten her Eigennutz, Betrug, Widerspenstigkeit und Nachlässigkeit in den Weg legen; ohne zu überlegen, daß, wenn ein Fürst, oder ein Minister auch hundert Augen hätte, er doch nicht durch alle diese Täuschungen hindurch zu schaun vermöchte; ohne zu bedenken, daß Unvollkommenheit von allen menschlichen Anstalten und Einrichtungen unzertrennlich ist; daß die Befriedigung aller Wünsche jedes Einzelnen sich unmöglich mit der Wohlfahrt des Ganzen vereinigen läßt; daß auch manche offenbare Misbräuche mit dem Systeme, worauf die allgemeine Ordnung beruht, so fest und vielfach[409] verwebt sind, daß sie, wenigstens nicht auf einmal, ausgerottet werden können, ohne eine noch schädlichere Verwirrung anzurichten; wirft Jeder sich zum Richter und Tadler in Regierungssachen auf. Aber was würde wohl aus manchen Ländern werden, wenn man an die Spitze der Geschäfte solche Klügler stellte, die oft ihr eignes Hauswesen nicht zu verwalten verstehen?

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Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 408-410.
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