32.

[411] Nationalstolz, Neid, Eitelkeit, Vorurtheil und Leichtsinn, machen undankbar gegen ganze Nationen, gegen besondre Classen und Stände und gegen lebende und verstorbene einzelne große Männer. Von jeder dieser Arten des Undanks wollen wir einige Beyspiele vor Augen nehmen.

Von der Zeit an, da sich unsre teutsche Literatur ein wenig aus der Dunkelheit hervorgehoben hat, so daß unsre Geistesproducte kaum anfangen, auch der Ausländer Aufmerksamkeit auf sich zu ziehn, fehlt es[411] nicht an einheimischen Schriftstellern, die, in ihrem Dünkel, unsern Geschmack und unsre Gelehrsamkeit schon jetzt auf einem solchen Gipfel der Vollkommenheit zu erblicken wähnen, daß sie dreist alle andre Völkerschaften auffordern, ihre Werke gegen die unsrigen auf die Wage zu legen. Besonders ist es bey diesen Herrn zur Sitte geworden, der französischen Oberflächlichkeit in wissenschaftlichen Fächern, der Characterlosigkeit dieser Nation, der Leichtfertigkeit ihrer Sitten und des wäßrichten, schaalen Geschmacks, der in ihren poetischen und andern Kunstwerken herrscht, zu spotten. Dabey freuet man sich, wenn man durch eine Stelle aus einem französischen Schriftsteller, (der etwa den, für ihn unbedeutenden Namen eines unsrer Büchermacher, oder eines Landstädtchens, eines Wässerchens, das wir einen Strohm nennen, unrichtig schreibt, oder eine unsrer unzählichen Residenzen mit[412] der andern verwechselt) den Beweis ihrer Unwissenheit begründen kann. Teutscher Fleiß, teutsche Gründlichkeit, Treue, Wahrhaftigkeit und Biedersinn, gute alte Sitte und Häuslichkeit, verdienen gewiß alle Achtung; allein lasset uns auch erkennen, daß es den Leuten jenseits des Rheins wahrlich nicht an gründlichen Gelehrten, besonders in dem Fache der Geschichte, der Naturkunde, der Arzeneykunst und der mathematischen Wissenschaften gefehlt hat und noch fehlt! Lasset es uns nicht vergessen, daß wir dem Studium ihrer Literatur zuerst die Wohlthat verdanken, uns von den schwerfälligen Banden einer widrigen Pedanterey losgemacht und die Kunst gelernt zu haben, auch ernsthafte Gegenstände in ein gefälliges Gewand zu hüllen, der Wahrheit, durch Lebhaftigkeit und Anmuth des Vortrags, allgemeinern Eingang zu verschaffen, nach ihrem Vorbilde, auch unsre Sprache zu reinigen[413] und bestimmten Gesetzen zu unterwerfen; endlich, daß unser Theater zuerst durch die Nachahmung des ihrigen das geworden, was es nun ist und, daß, wenn ihre Trauerspiele jetzt für uns zu leichte Speise sind, wir hingegen im Lustspiele sie noch lange nicht erreicht haben! Lasset es uns nicht vergessen, daß durch die vertrautere Bekanntschaft mit den französischen Sitten der Ton unsers geselligen Umgangs leichter, ungezwungener und unterhaltender geworden, und daß dadurch bey uns der Sinn für die feinern Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten zuerst erweckt worden ist. Sind wir hie und da in der Nachahmung zu weit gegangen; haben sich einzelne Teutsche, oder ganze Classen und Gegenden, statt gebildeter Franzosen, Carricaturen und Abartungen zu Mustern gewählt; haben wir, zugleich mit dem Guten, auch Fehler und Laster mit angenommen;[414] wen anders, als uns selbst, dürfen wir dann deswegen anklagen?

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 411-415.
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